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EIGENTLICH GIBT ES ZU WENIGE BAUERN

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Immer noch geben die Bauern scharenweise ihre Tätigkeit auf, weisen die Indikatoren nach unten. Aber läßt sich dieser Trend beliebig lang fortsetzen? Im Osten hat die Agrarindustrie Schiffbruch erlitten. Hat sie bei uns größere Chancen?

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Immer noch geben die Bauern scharenweise ihre Tätigkeit auf, weisen die Indikatoren nach unten. Aber läßt sich dieser Trend beliebig lang fortsetzen? Im Osten hat die Agrarindustrie Schiffbruch erlitten. Hat sie bei uns größere Chancen?

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FURCHE: Wie weit werden bei Fortsetzung der bisherigen Trends die Zahlen der landwirtschaftlichen Bevölkerung zurückgehen?

HEINRICH WOHLMEYER: Die österreichische Zukunft ist in Vorarlberg schon vorweggenommen. Dort gibt es nur mehr 1,9 Prozent bäuerliche Bevölkerung. Österreich bewegt sich auf zwei, drei Prozent bäuerlicher Bevölkerung zu, wenn das weiterläuft, was jetzt programmiert ist.

FURCHE: Wenn wir der EG beitreten?

WOHLMEYER: Ein EG-Beitritt wird uns eine Senkung des durchschnittlichen Agrarpreisniveaus von etwa einem Drittel bringen. Die EG-Maßnahmen zugunsten kleinerer Betriebe - unter 20 Hektar - greifen erst, wenn die Preissenkung erfolgt ist. Gehen wir also in die EG, so müssen wir neben den 15 Milliarden Schilling in die Gemeinschaftskasse auch noch im österreichischen Budget rund 20 Milliarden Schilling mobilisieren, um die Kleinen in der Übergangszeit zu erhalten. Ich sehe nicht, woher dazu das Geld kommen soll.

FURCHE: Würde eine weitere Liberalisierung des Agrarhandels im Zuge der Gatt-Verhandlungen diese Situation noch weiter verschärfen?

WOHLMEYER: Derzeit wird die EG als das kleinere Übel gepriesen. Auch sie tut sich in der internationalen Konkurrenzmit Australiern, Nord-und Südamerikanern schwer. Dort haben sich einst die europäischen Eroberer als Kolonisatoren eingerichtet. Sie sind nicht nur mit den dort lebenden Menschen brutal umgegangen, sondern auch mit der Natur. Um auf den kaufkräftigen europäischen Märkten maximalen Gewinn zu erwirtschaften, wurden großflächige Monokulturen forciert. Liquidiert wurden dabei die alten, ausgewogenen Formen des Wirtschaftens. Mit diesem ausbeuterischen Latifundiensystem zu konkurrieren ist sinnlos. Sie zerstören die Umwelt. Allein in den USA werden die Bodenverluste auf eine Milliarde Tonnen pro Jahr geschätzt.

FURCHE: Konkurrenz ist aber das dominierende Prinzip unserer Wirtschaft. Daher meinen viele, wir könnten uns auf Dauer die teuren Bauern nicht leisten. Wir hätten sie lange genuq subventioniert.

WOHLMEYER: Die Frage stellt sich anders. Dazu ein Vergleich: Die Entlohnung in den ehemaligen Ostblockländern beträgt etwa ein Zehntel der österreichischen. Wer käme auf die Idee, dem österreichischen Gehaltsempfänger diese Differenz als Subvention zuzumessen, weil der Weltmarktpreis der Arbeit nun einmal so niedrig sei? So ein Argument würde jeder unerhört finden. Bei den Bauern aber argumentiert man so. Da rechnet man alles, was über den Weltmarktpreis hinausgeht als Stützung der Landwirtschaft. Als Subvention gilt auch noch alles, was irgendwie im Agrarbudget aufscheint: Berufsschulen, Beratung, Ausbildung, Forschung und Entwicklung, die Infrastruktur (Wege, Wasser, Strom...). Hier wird - ist es Dummheit oder Zynismus? - mit zweierlei Maß gemessen. Wer würde etwa dem österreichischen Maschinenbau die technischen Universitäten, die Berufsschulen, die Wirtschaftsberatung als Subvention zurechnen? Das ist nors maier Standard. Wer würde einem Städter seine Straße, seinen Kanal, seinen Stromanschluß, seine Straßenbahn als Subvention zumessen?

FURCHE: Bei der Landwirtschaft gilt all das als Subventionierung?

WOHLMEYER: Selbstverständlich. Hier müßte man schon einmal vom Konzept her eine Bereinigung durchführen.

FURCHE: Aber wie steht es mit der Differenz zwischen Weltmarkt- und Inlandpreis der Agrarprodukte?

WOHLMEYER: Hier muß man fragen, wie diese Differenz zustandekommt. Soweit Weltmarktpreise niedriger sind, weil sie auf der Plünderung der Umwelt beruhen, kann man dies doch nicht als Subventionierung einer umweltschonenden Landwirtschaft betrachten. Um das Beispiel von vorher noch einmal aufzugreifen: Wir betrachten ja auch nicht den Unterschied zwischen normal bezahlter und Sklavenarbeit als Subventionierung.

FURCHE: Aber eine gewisse Subventionierung gibt es doch.

WOHLMEYER: Vor kurzem hat die EG erstmals einen ehrlichen Subventionsbericht veröffentlicht. Das Ergebnis überrascht: Am meisten subventioniert die EG ist den Verkehrssektor, dann kommt die Kohle und erst an dritter Stelle folgt die Landwirtschaft.

FURCHE: Benachteiligen Verkehrsubventionen nicht auch die heimische Landwirtschaft?

WOHLMEYER: Selbstverständlich. Erst dadurch entsteht die Konkurrenzsituation, können Produkte in der Welt spazieren geführt werden. Ist es nicht verrückt, daß neuseeländische Äpfel ui Südtirol den einheimischen Produkten Konkurrenz machen? Man muß nur an die vielen verheerenden Umweltfolgen des Verkehrs denken! Die derzeitigen Strukturen auf dem Agrarweltmarkt können nur durch Plünderung der Ressourcen und massive Subventionierung des Verkehrs aufrechterhalten werden. Hier ist ein fundamentales Umdenken gefordert.

FURCHE: Was heißt das konkret? WOHLMEYER: Der neue Ansatz muß lauten: Es gibt ökologisch notwendige Preisniveaus. Sie werden durch behutsame Produktionsverfahren und die dafür erforderlichen Strukturen (meist wird vom Familienbetrieb auszugehen sein) bestimmt.

FURCHE: Für das Überleben unserer Landwirtschaft genügt es also nicht, dem einzelnen zu sagen: Such' dir eine Produktnische, dort wirst du Erfolg haben?

WOHLMEYER: Solange generell ein Überschuß an Agraprodukten vorhanden ist, wird es zwar immer wieder Nischen geben. Kaum ist aber eine entdeckt und erschlossen, versuchen alle dort ihr Glück. Ein Beispiel: In Deutschland hat man den Dinkel „entdeckt". Vor vier Jahren konnte man dafür noch zwei Mark erzielen. Dann haben sich viele auf diese Nische gestürzt. Der Erfolg: Der Preis liegt heute bei 50 Pfennig.

FURCHE: Das ist also auch keine Lösung?

WOHLMEYER: Nein. Will man das Übel an der Wurzel packen, muß man auf drei Ebenen ansetzen: Schluß mit der Vergeudung fossiler Energie! Damit wäre auch Schluß mit den Agrarüberschüssen. Die zweite Maßnahme: In der Landwirtschaft muß die jeweils umweltfreundlichste Technologie zum Einsatz kommen. Das bedeutet Vorrang für den naturnahen Landbau mit möglichst wenig Bio-zideinsatz und mineralischem Dünger.

FURCHE: Die Landwirtschaft käme also als Lieferant nachwachsender Energieträger zum Zug?

WOHLMEYER: Eine Diplomarbeit an der TU-Graz hat folgendes aufgezeigt: Um Österreich voll mit verschiedenen Formen der Sonnenenergie (Nahrungs- und Futtermittel, sowie organische Rohstoffe und Energie) beim heutigen Lebensstandard zu versorgen sind pro Kopf 3.000 Quadratmeter Boden erforderlich. Das ist weniger als ein Drittel der Staatsfläche.

FURCHE: Sie sprachen von drei Ebenen. Welche ist die dritte?

WOHLMEYER: Wenn wir vom Familienbetrieb als ökologisch geeigneter Produktionseinheit in der Landwirtschaft ausgehen, dann müssen wir diese Struktur auch gezielt fördern, also Einheiten von maximal 30 Hektar in Gunstlagen anstreben. In Ungunstlagen werden es vielleicht sogar nur zehn sein. Durch steuerliche Anreize wird man diese Betriebsgrößen anzustreben haben, etwa durch eine progressive Grundsteuer. Weiters wird es Ausgleichszulagen brauchen, die den Erschwernissen, unter denen gewirtschaftet wird, entsprechen. Um das Ganze abzurunden, wird man besondere, fürdie Allgemeinheit relevante ökologische Leistungen direkt abgelten müssen.

FURCHE: Und wenn das nicht geschieht?

WOHLMEYER: Dann zerstören wir unsere Lebensgrundlagen. Die UNO hat die Elementarrisken in den sechziger und in den achtziger Jahren verglichen. Sie haben sich verdreifacht. Das ist dramatisch. Noch schlimmer ist es bei den versicherten Risken. Sie haben sich verfünffacht.

FURCHE: Was sind versicherte Risken?

WOHLMEYER: Jene, fürdie Versicherungen haften: Sturmschäden, Springfluten, Lawinen, Hochwässer... Da sind die Prämien massiv erhöht worden (bei der Schweizer Gesellschaft „Rück" um 50 Prozent). Einige Risken lassen sich überhaupt nicht mehr versichern. Es ist an der Zeit, sich über dieses kollektive Risiko klar zu werden. Außerdem steigen die Umweltreparaturkosten stark. Aber bei vergleichsweise unbedeutenden Beträgen, die wir für die Erhaltung einer ökologisch tragbaren Landwirtschaft locker machen müßten, wird gegeizt!

FURCHE: Derzeit geben viele Bauern ihren Beruf auf. Ist so ein Prozeß wieder rückgängig zu machen?

WOHLMEYER: Das ist sehr ungewiß. Daher sagt die FAO, die Welternährungsorganisation, daß gerade jene Bauern, die äußerst behutsam die Grenzertragsböden bewirtschaften, etwa in Gebirgslagen, erhalten werden sollten. Sie werden in Zukunft dringend gebraucht werden.

FURCHE: Heute bleiben viele nur dank des Nebenerwerbs. Ist das eine Lösung mit Zukunft?

WOHLMEYER: Der Nebenerwerb ist die große Lüge einer Gesellschaft, die die Bauern nicht gerecht bezahlen will. Ich habe es an meinen Nachbarn erlebt. Der eine war froh, in der Papierfabrik arbeiten zu können, ein anderer, Totengräber zu werden, ein dritter Gemeindearbeiter. Damit hatten sie ein Bareinkommen. Zwei, drei Jahre schaffen sie es physisch... In manchen Fällen halten die Frauen durch. Aber auch da geben viele auf.

FURCHE: Würde die von Ihnen geforderte Neuorientierung statt weiterem Bauernsterben nicht langfristig sogar erhöhte Beschäftigung im Agrarsektor bedeuten?

WOHLMEYER: Beim jetzigen Stand der Technik würde eine ökologisch verträgliche Wirtschaft eine Quote von rund 20 Prozent landwirtschaftlicher Bevölkerung erfordern.

FURCHE: Das klingt utopisch.

WOHLMEYER: Es setzt voraus, daß die „Sekundarisierung der Landwirtschaft" ein Ende findet, also das Übertragen industrieller Denkmuster in einen Bereich, für den diese nicht geeignet sind.

FURCHE: Von diesem Denkmuster sind aber auch viele Bauern geprägt.

WOHLMEYER: Man hat es ihnen auch lang genug so beigebracht. Das war ja gleichbedeutend mit Fortschritt. Wer nicht mitgemacht hat, galt als hinterwäldlerisch. Heute wissen wir es besser. Industrielle Produktion heißt möglichst große Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen. Ihr Ideal: die menschenleere, computergesteuerte Produktionshalle. Die Landwirtschaft aber kann sich nicht abkapseln. Sie muß Rücksicht auf die Lebewesen nehmen.

FURCHE: Ist diese Herausforderung für die Landwirtschaft somit nicht eigentlich eine Herausforderung für die ganze Industriegesellschaft?

WOHLMEYER: Ja, es geht um den angemessenen Umgang mit lebendiger Vielfalt, um vorsichtiges Verändern, um langfristiges Denken, um Verantwortung für die Schöpfung.

Mit Prof. Dr. Heinrich Wohlmeyer, dem Präsidenten der Österreichischen Vereinigung für Agrarwissenschaftli:he Forschung sprach Christof Gaspari.

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