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Die Ungleichgewichte

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Dreimal im vergangenen Mai wurde die Volkspartei „verschwiegen“: dreimal innerhalb von einunddreißig Tagen und von zweiundsechzig „Zeit-im-Bild“-Sendungen, die allabendlich um halb acht und spät abends im Fernsehen laufen. Dem Durchschnitts-TV-Konsumenten fällt das natürlich nicht auf, wenn an einem Abend irgendeine der großen Parteien zu kurz kommt; die Politiker sind sich darüber aber einig: verschwiegen zu werden, ist das schlimmste, was einer Partei widerfahren kann.

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Dreimal im vergangenen Mai wurde die Volkspartei „verschwiegen“: dreimal innerhalb von einunddreißig Tagen und von zweiundsechzig „Zeit-im-Bild“-Sendungen, die allabendlich um halb acht und spät abends im Fernsehen laufen. Dem Durchschnitts-TV-Konsumenten fällt das natürlich nicht auf, wenn an einem Abend irgendeine der großen Parteien zu kurz kommt; die Politiker sind sich darüber aber einig: verschwiegen zu werden, ist das schlimmste, was einer Partei widerfahren kann.

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Man sollte aber keine voreiligen Schlüsse dahingehend ziehen, daß etwa der ORF die ihm gesetzlich zugewiesene Rolle nicht erfüllt hätte. Berücksichtigt man nämlich die Auswahl der Nachrichten nach Dringlichkeit und Gehalt, so ergibt sich freilich für die 30 Minuten lange Sendung „Zeit im Bild“ (die Nachtausgabe dauert nur 15 Minuten) ein wesentlich engerer Sektor als für die Tageszeitungen, die alles drucken können, was wert ist, veröffentlicht zu werden. Darüber hinaus liegt es in der Natur der Sache, daß ein Wort aus dem Mund des Regierungschefs eher in Meldungen oder in Schlagzeilen aufgenommen wird als eine Äußerung eines Oppositions-politikers.

Ein Maximum an „Ausgewogenheit“ gibt es heute im TV bei den gesprochenen Nachrichten, wobei es hier sicher kleinlich wäre, mit der Stoppuhr zu zählen. Zieht man aber eine Gesamtbilanz über alle politischen Berichte, gleichgültig, ob Nachricht, Bildbeitrag oder Interview, kommen echte Zweifel auf, ob wirklich ein Maximum an Ausgewogenheit zwischen Regierung und Opposition erreicht wird. Das ist freilich nicht nur in Österreich ein Grund-satzpreoblem.

In der Bundesrepublik Deutschland hat das sozialwissenschaftliche

Forschungsinstitut der Konrad-Adenauer-Stiftung eine umfassende „Pilot-Studie“ veröffentlicht. Diese Studie befaßt sich im wesentlichen mit dem Abschneiden von SPD-FPD-Minderheitsregierung und der CDU-CSU-Opposition in den Nachrichtensendungen im bundesdeutschen ARD und ZDF. In Deutschland rückte man dem Problem mit aller Gründlichkeit und mit Stoppuhr und Magnetophon zu Leibe. Und nach 31 Tagen wußte man: CDUCSU waren erschreckend schlecht weggekommen. Als Grundlage hatte das Institut jede politisch relevante Meldung genommen, ganz gleich, ob sie für diese oder jene Partei als „positiv“ oder „negativ“ einzuordnen war.

Davon entfielen auf die Nachrichten über die Bundesregierung und die Koalition 18,3 Prozent, auf die Nachrichten der Opposition kamen bloß 4,6 Prozent. Ähnlich beim ZDF: Gesamtsendezeit der Nachrichten 52.809 Sekunden; davon entfielen auf Regierung und Regierungsparteien 16,2 Prozent, auf die Opposition jedoch nur 4,4 Prozent. Oder kurz: Regierung-Regierungsparteien zu Opposition = 4:1.

Die Studie zieht aus diesem nicht sehr positiven Ergebnis für die demokratische Einstellung in der Bundesrepublik den Schluß, daß es eben ein Kennzeichen der Demokratie sei, daß die Opposition in ihrer Bedeutung unterschätzt werde. Sie spricht von einer normativen Unterbewertung der Opposition, die langfristig auch die Stabilität dieser Demokratie in Frage stelle. Meinungsumfragen unter der Bevölkerung sollen gezeigt haben, daß die Internationa-lisierung des Normensystems der Demokratie und des Rollenverständnisses der einzelnen Institutionen gerade im Hinblick auf die Opposition noch nicht in ausreichendem Umfang erfolgt ist. Der Minderheitenschutz wird nicht als der zentrale Wert verstanden, den er in einer Demokratie einnimmt, und das Verständnis von den Aufgaben der Opposition erschöpft sich häufig in der Feststellung, sie müsse die Regierung unterstützen. Man erwarte, heißt es in der Studie, konstruktive Kritik und Kooperation, nicht so sehr die Präsentation von Alternativen.

2,5 :1

In Österreich existiert keine gleichwertige Studie über den ORF. Mit der Stoppuhr ist hier noch niemand zu Werke gegangen. Doch wenn es lediglich um die Erfassung der Beiträge über die Parteien geht, schneidet auch in Österreich die Opposition sehr schlecht ab.

Im Mai 1971 wurden in „Zeit im Bild“ insgesamt 176 politische Beiträge und Meldungen ausgestrahlt. 125 befaßten sich mit der Regierung oder mit der sozialistischen Partei, lediglich 51 mit der großen Oppositionspartei. Das entspricht einem Verhältnis von 2,5 :1 für die SPÖ, wie bereits erwähnt, sind die gesprochenen Nachrichten nahezu paritätisch verteilt, das läßt sich auch über größere Zeiträume verfolgen. Ein Ungleichgewicht tritt aber bei den Bildberichten ein. Gerade bei einem optischen Medium zählen jedoch die Bildbeiträge. Im Laufe eines Monats ergibt sich in dieser Beziehung ein sehr unausgewogenes Bild. Dreimal wurde die Opposition überhaupt nicht erwähnt; eben an diesen Tagen wird aber die Regierungspartei besonders oft genannt, nämlich am 8. Mai neunmal, am 11. Mai siebenmal und am 29. Mai viermal. Ein umgekehrtes Bild gibt es selten. Nur am 13. Mai befaßten sich drei Beiträge mit der Volkspartei, einer mit der Regierung.

Ob allein die häufigere Nennung der Namen von Politikern, Parteien, Institutionen, Ideen, Zielen und Leistungen wahlentscheidend sein kann, darauf gibt die Pilot-Studie keine Antwort. Mit „Ja“ würden sicherlich alle Werbefachleute antworten, wäre Politik eine Ware. Die Frage allerdings ist: wie große Unterschiede macht der durchschnittliche TV-Konsument zwischen der Informationssendung „Zeit im Bild“ und der anschließenden Werbesendung ... ?

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