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Integration in Etappen
Am 25. März 1957 wurde in Rom die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet; in ihrem vierten Jahr zieht der Verfasser Bilanz. Ihm scheint es, die Einigung habe wohl ökonomische, doch noch keine politischen und sozialen Fortschritte gemacht. Noch seien die Beziehungen zu Großbritannien, zu den USA und zum Schwarzen Kontinent, doch auch zu den Oststaaten durchaus ungeklärt. Was wollte das „Petite Europe“ der Sechs (Frankreich, Italien, Bundesrepublik Deutschland, Belgien, die Niederlande, Luxemburg) gegen die von allen Seiten drohenden Riesenblöcke unternehmen? Der Verfasser ruft alle Europäer auf, ihr Gewissen zu erforschen und schnellstens an den Aufbau eines geeinigten Europas heranzugehen. Er leugnet nicht, daß die angestrebte europäische Einigung eine Bewegung mit politischen Zielen sei: „Jede wesentliche wirtschaftliche Frage der Gemeinschaft fordert eine politische Entscheidung ... noch wichtiger aber ist die
Koordinierung der Verteidigung.“ Als Etappen zur Integration, deren Schwierigkeiten nicht verkannt werden, gelten: die Überwindung der Einzelsouveränitäten, die Konföderation und schließlich die Integration. Die Größe der Gefahr, heißt es weiter, zeigt sich nicht mehr bei der militärischen Kraft, sondern im Bild der Produktion, des Konsums und der Verteilung. Wenn also Europa den hilfsbedürftigen Völkern nicht beispringt, wird es von diesen verurteilt werden.
Diese Beschwörung aller Europäer wird ihre Wirkung nicht verfehlen, doch werfen sich für den Leser neue gewichtige Fragen auf. Wenn nämlich die Integration nur den Zweck hat, die Europäer politisch-militärisch abwehrbereit. zu machen, gilt es zu überlegen, ob die Integration der «inzige-mtie- der ■VOTWrrhaftwte Weg zu diesem Ziel ist. Die Geschichte hat viele Beispiele aufzuweisen, wie bis zu den beiden letzten Weltkriegen umfangreiche Koalitionen zusammengeschweißt und zum
Erfolg geführt werden konnten, ohne daß eine wirtschaftliche Integration vorangegangen wäre. Eine wirkliche Integration verlangt immer neue überstaatliche Ämter, und es ist der Fluch der Ämterschaffung, daß sie fortzeugend Ämter muß gebären. Eine solche auf die Spitze getriebene gigantische Zentralisierung müßte im Chaos enden. Außerdem müßte sie eine Reihe von Kleinstaaten, die seit je den größten Wohlstand zu entwickeln verstanden haben, in ihrer Individualität auslöschen und sie der Wucht der freien Niederlassung der Mächtigen ausliefern. Es wird somit sehr zu prüfen sein, ob Abwehrbündnisse, verbunden mit einer wohl reformierten, doch konventionellen Handelspolitik, nicht vorzuziehen bleiben einer die Vaterländer beseitigenden, rein kommerziell-materiell orientierten Integration.
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