7215159-1992_46_08.jpg
Digital In Arbeit

Dollfuß: Verbrecher oder großer Retter?

19451960198020002020

Denkmäler sollten der Bewahrung des Andenkens bedeutender Personen als Ergänzung und nicht als Ersatz einer angemessenen Darstellung dienen. Eine angemessene Darstellung ist nur in Wort und Schrift möglich. Denkmäler und Bilder ohne weitere Erläuterung sagen sehr wenig aus.

19451960198020002020

Denkmäler sollten der Bewahrung des Andenkens bedeutender Personen als Ergänzung und nicht als Ersatz einer angemessenen Darstellung dienen. Eine angemessene Darstellung ist nur in Wort und Schrift möglich. Denkmäler und Bilder ohne weitere Erläuterung sagen sehr wenig aus.

Werbung
Werbung
Werbung

Gerade bei der Bewahrung des Andenkens des so umstrittenen Kanzlers Engelbert Dollfuß (FURCHE 42/ 1992) wäre eine Erläuterung seiner Beiträge zur politischen Geschichte Österreichs ein Beitrag zum Verständnis für die Entwicklung der damaligen Zeit und damit zum politischen Verständnis überhaupt.

Bei der Aufarbeitung der Vergangenheit geht es nicht um Verurteilung oder Rechtfertigung. Die Geschichte hat alle Urteile bereits gefällt und wir haben diesen Urteilen nichts hinzuzufügen. Unsere Aufgabe ist es, bei dieser Aufarbeitung der Geschichte zum politischen Verständnis beizutragen. Das ist natürlich in diesem Land, dessen traditionelle politische Lager sich damals als Feinde gegenüberstanden, besonders schwierig. Dennoch erscheint eine solche Aufarbeitung notwendig. Die trügerischen Ideologien, welche damals die einzigartige Bürgerkriegsatmosphäre motiviert haben, sind zwar von der Geschichte völlig kompromittiert worden.

Sie glimmen jedoch in der Form von parteigebundenen Geschichtsbildern unterschwellig weiter. Heute stehen die Politiker aller drei politischen Lager auf dem Boden der Demokratie, aber innerhalb der drei Lager ist die Geschichtsschreibung in den Händen von Lagerpatrioten. Damit könnten im Zusammenhang mit verzerrten und verfälschten Geschichtsbildern auch die diesbezüglichen antidemokratischen Ideologien konserviert werden. Im

Zusammenhang mit dem 100. Geburtstag von Bundeskanzler Dollfuß erscheint auch eine Diskussion über dessen Leistungen und dessen Fehlleistungen angezeigt, mit Anerkennung der beachtlichen Leistungen und Erklärungen für die - zum Teil kaum verzeihlichen - Fehlleistungen.

Als Leistung ist jedenfalls anzuerkennen, daß er den damals steil aufsteigenden deutschen Nationalsozialismus von Anfang an erkannt hat, um ihm mutig entgegenzutreten. Damit unterschied er sich von den marxistisch verblendeten Politikern wie Otto Bauer, die versucht haben das Phänomen des Nationalsozialismus zusammen mit dem Faschismus in ein Schema einzuordnen, welches sie Karl Marx unterstellten. Der gegen Bundeskanzler Dollfuß auch in seinem Lager bisweilen erhobene Vorwurf, daß er die Verfassung gebrochen hat, hält keiner Prüfung stand.

Die demokratische Verfassung ist tatsächlich durch die politischen Entwicklungen außer Kraft gesetzt worden, nämlich einerseits durch den, steilen Aufstieg des Nationalsozialismus zur Massenpartei und der gleichzeitigen Fehleinschätzung dieser Entwicklung seitens der Sozialdemokratie.

Die Fehlleistungen von Dollfuß beruhten seinerseits auf Fehleinschätzungen der Sozialdemokratie. Er übersah völlig die großen emanzipa-torischen Leitungen der Sozialdemokratie und die daraus entstandene tiefe Verwurzelung der Arbeiterschaft in dieser Partei.

Dabei spricht gegen Dollfuß, daß er die Warner in der eigenen Partei ignorierte. Es hätte ihm doch zu denken geben sollen, daß sich der christliche Arbeiterführer Leopold Kunschak und der Präsident des Industriellenverbandes, Ernst Streeruwitz, gegen seine Politik stellten und für eine Verständigung mit der Sozialdemokratie eintraten.

Die gewaltsame Unterdrückung der Sozialdemokratie und vor allem die Hinrichtungen der Widerstandskämpfer sind sehr wohl als Verbrechen, als verbrecherische Fehler, einzustufen. Das ist jedoch kein Grund, seine Leistungen nicht anzuerkennen. Vor allem, daß er durch seine autoritäre Politik die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus um fünf Jahre verschoben hat.

Das war, dank der von Otto Bauer geführten sozialdemokratischen Politik nur durch Verfassungsbruch möglich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung