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Entwicklungshilfe muß direkt zur Basis gelangen

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ICH finde, daß ein Neubau in Djakarta den größten Fehlschlag im Weltgeschehen seit 1945 symbolisiert: Ein Palast, für die Erwachsenenbildung bestimmt, gespendet von der Bundesrepublik Deutschland, bezugsfertig — jeder weiß, die indonesische Polizei oder Armee wird einziehen: Entwicklungshilfe für den herrschenden Apparat.

Das Scheitern der Entwicklungshilfe hebt den Erfolg des Marshall-Planes auf, politisch und n wirtschaftlich. Sie hat das Solidaritätsgefühl in den westlichen Demokratien für die Ent-

wicklungsländer fast ausgelöscht. Sie hat das Mißtrauen der Staaten, die heute als Dritte Welt gelten, gegen die westlichen Demokraten vervielfacht. Jetzt aber, da die Trennungslinie zwischen westlichen Industriestaaten und Dritter Welt zugleich zur Demarkationslinie zwischen Demokratie und Diktatur geworden ist, hat die Zukunft der Entwicklungshilfe entscheidende Bedeutung. Weitere Fehlinvestitionen, aber auch Einschränkungen, müssen katastrophale Wirkungen auslösen. Eine neue politische Strategie, eine neue Qualität der Ent-

wicklungshilfe, Kredit und Hilfslieferung, könnten verhindern, daß aus der Demarkationslinie eine Frontlinie wird.

In der Dritten Welt sind Führungsschichten an die Macht gekommen, die sich mit der Unabhängigkeit ihrer Länder und deren Fortschritt ohne eine Prise Zweifel identifizieren. Sie halten die Stabilisierung ihrer eigenen Macht für ihre erste patriotische Pflicht. So wird alles, was, von außen kommend, durch ihre Hände geht, in den Eisenbeton gemischt, aus dem die Sockel ihrer Macht gemacht sind: Rüstung, Exekutive, Bürokratie, Prestige — und Schwerindustrien. Nur ein Bettel dringt zu jenen Schichten, durch, die noch immer die Basis aller Länder der Dritten Welt bilden und auf die ein Mahatma Gandhi alle Hilfe gelenkt hätte: in das Dorf, in die Landwirtschaft. Die herrschenden Schichten glauben keinen Grund zu haben, Not und Mißwirtschaft als Gefahrenquellen zu fürchten, denn sie sind Diktaturen mit wachsenden Exekutiven.

Alte und neue, gerechtfertigte und ungerechtfertigte Forderun-

gen helfen auch, die Ansprüche der artikulierten Mittelschichten von sich ab- und gegen die westlichen Demokratien zu lenken. Das gilt von der „Wiedergutmachung für die Ausbeutung in der Kolonialzeit“ — bis zur „gerechten Aufteilung der Reichtümer der Erde“. Der neue Reichtum in den Händen der ölreichen Bruderstaaten ist natürlich ausgeklammert. Die gelegentlich auch in Diktaturen unruhig werdenden Mittelschichten registrieren, daß auf jeden Fall soziale Gerechtigkeit durch Druck nach außen zu erwirken ist. Die mehr oder weniger unfreiwilligen Geber sind also zugleich die rückzahlungsunwilligen Ausbeuter von gestern und die Stützen der repressiven Apparate von heute.

Dazu kommt die Bedeutung des Geschenkes in vielen Staaten der Dritten Welt. Im Feudalismus schenkt man von unten nach oben. Das Geschenk \st noch Tribut — oder Korruption. Ist nun der Westen, so wurde ich oft gefragt, so demoralisiert, daß er die Gunst unserer Regierungen sucht? Oder ist er so schwach und so schuldbewußt, daß er unseren

Zorn fürchtet? Oder sind seine Geschenke Investitionen für die Zukunft? Eben Neokolonialismus?

Das Scheitern der konventionellen Entwicklungshilfe fordert, daß man nach neuen Wegen sucht. Darauf sollten die Untersuchungen über die Dritte Welt konzentriert sein. Doch schon der Reporter sieht den Ausgangspunkt des neuen Weges: Produktionsbehelfe für jenen Produzenten, der an der Basis arbeitet — und direkt in dessen Hände. Mit dem Widerstand der Führungsschichten muß freilich gerechnet werden. Die beziehen sich auf „No strings attached“, verlangten zunächst Hilfe ohne politische Bindung, heute bedingungslose Hilfe. Doch es wird sicher Vorschläge geben, die von den Apparaten einfach nicht zurückgewiesen werden können. Und es ist kein Staat so wie Österreich, kein Staatsmann so wie Kreisky geradezu dazu geschaffen, der neuen Entwicklungshilfe den Weg durch die Dschungel der Dritten Welt zu bahnen. Wirtschaftliche Hilfe für die Basis ist aber zugleich politische Hilfe für deren politische Emanzipation.

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