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Gesellschaft: offen & klassenlos

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Nach der Präsentation eines „Thesenkataloges” im September arbeiten Sozialdemokraten an einem neuen Parteiprogramm, das 1995 beschlossen werden soll.

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Nach der Präsentation eines „Thesenkataloges” im September arbeiten Sozialdemokraten an einem neuen Parteiprogramm, das 1995 beschlossen werden soll.

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DlEFURCHE: Laut Anton Pelinka haben Parteiprogramme vor allem zwei Funktionen: den gemeinsamen Nenner fiir den innerparteilichen Pluralismus sowie eine Marketingfunktion Welche Marketingsignale soll das neue SPO-Programm aussenden* Alrrecht Konecny: Da geht es in erster Linie um das Signal an die Bevölkerung: „Probleme, die Euch bewegen, werden von uns auch dann wahrgenommen, wenn sie nicht zum traditionellen sozialdemokratischen Kanon gehören.” Ob ich in das Programm hineinschreibe, daß wir die Sozialpolitik forcieren oder nicht, ist nahezu bedeutungslos. Weil da muß die SPÖ schon sehr viel anstellen, damit sie diese Komponente ihres Erscheinungsbildes verliert. Hingegen steht in den Thesen nicht zufällig eine Orientierung in Bichtung „civil society”, offene Gesellschaft, Vielfalt der Lebensformen. Das ist durchaus im Widerspruch zu vielen Entwicklungslinien sozialistischen Theoretisierens.

DieFurche: Ist die offene Gesellschaft” eine Umdeutung der früheren marxistischen „klassenlosen Gesellschaft”?

KONECNY: Ich glaube nicht, daß das neue Programm die geistige Kontinuität der Sozialdemokratie leugnen wird. Wozu auch gehört, daß über weite Strecken unserer Entwicklung ein relevanter und manchmal auch

überwiegender marxistischer Einfluß gegeben war. Ohne jetzt eine Marxismus-Debatte lostreten zu wollen: das ist heute sicherlich nicht mehr die prägende geistige Strömung in der SPÖ. Aber gerade in diesem Punkt ist kein Abgehen vom marxistischen Standpunkten nötig: weil nämlich die klassenlose Gesellschaft jene sein soll, die die Menschen freimacht das zu tun, was sie wollen und können, weil alle Behinderungen und Unterdrückungsverhältnisse wegfallen.

DlEFURCHE: In seiner Gesellschafis-analyse geht das gültige Programm von 1978 von einem vorherrschenden „Spätkapitalismus” aus. Wie lautet die aktuelle Analyse? KONECNY: Ich glaube, diesbezüglich sind wir mit unserem Programm etwas früh dran. Mit der Begrifflichkeit tue ich mit noch etwas schwer - ich würde sagen, es ist ein „geläuterteter Spätkapitalismus”.

DlEFURCHE: Im Programm von 1978 gibt es eine Fülle von Signalen an die Christen und die Kirchen In den aktuellen Thesen ist davon nichts zu lesen ... KONECNY: Die Thesen sind ja noch nicht das Programm. Aber das wird sicher kein Streitpunkt sein. Ich gehe davon aus, daß im Grundsatzteil ein Bekenntnis zu religiöser Toleranz und zur Partnerschaft mit den großen religiösen Strukturen ausgedrückt wird. Im operationalen Teil werden wohl bestimmte Strömungen innerhalb des Katholizismus als Partner angesprochen werden.

DlEFURCHE: In der jetzigen Konkordatsdebatte trat die SPÖ als Verteidiger der Kirche auf. JOSEF CaP: Die Brisanz des Themas liegt Jahre zurück. Einen Institutionen-Konflikt sehe ich nicht. KONECNY: Wir werden natürlich bis zur Beschlußfassung des Program-mes sehen, was es an Entwicklungen in der Kirche gibt. Es wir sicher eine Formulierung geben - mag sich betroffen fühlen, wer will - die ungefähr lautet: „Toleranz jenen gegenüber, die Toleranz gelten lassen...” CAP: ...was nicht heißen soll, daß . Sozialdemokraten nicht Partei ergreifen können wenn es etwa in der Kirche zu einer Tendenzbildung „pro oder contra Zweites Vatika-num” kommt. Dann sind wir - nicht als Partei, aber als Sozialdemokraten - natürlich hinter jenen Kräften, die das Zweite Vati-kanum repräsentieren. KONECNY: Sollte der Diskussionsstand dann soweit sein, dann wird man das vielleicht auch in einem Programm niederschreiben.

DlEFURCHE: Im alten Programm ist noch die Neutralität als militärische Bündnisfreiheit dezi-diert festgeschrieben CaP: Unser Standpunkt ist im Moment der: Bündnisfreiheit, Stützpunktfreiheit, keine Kriegspartei sein. Und das können wir auch als EU-Mitglied durchhalten. Es kann durchaus so sein, daß uns jemand im Bahmen der EU bei einer Verletzung des österreichischen Territoriums militärisch zu Hilfe kommt, daß wir aber im Gegenzug zwar nicht mit unseren Soldaten zu Hilfe kommen, sondern unser Know-how, unsere Vermittlertätigkeit und unser Verhandlungsgeschick als neutrales Land zur Verfügung stellen.

DlEFURCHE: Das ist doch unrealistisch: andere schützen unsere Grenze, aber wir schützen keine anderen Grenzen

CAP: Das ist eine arbeitsteilige Form eines Sicherheitsverständnisses.

DlEFURCHE: Gibt es Signale aus der EU, daß sie so ein Modell akzeptiert* CaP: Ich sage ja nicht, daß wir nicht Sanitätspersonal abstellen oder Überflugsgenehmigungen hergeben. Aber ich sehe das schon so, daß wir die Möglichkeit haben, einen arbeitsteiligen Beitrag in ein Sicherheitssystem einzubringen.

DlEFURCHE: Realistischerweise heißt es in einem Sicherheistbündnis: entweder ihr leistet einen ernstzunehmenden militärischen Beitrag, oder ihr bezahlt dafür.

CAP: Als neutrales Land können wir auch ohne militärische Integration unseren Beitrag leisten.

DlEFURCHE: Was erwartet sich der Bundesgeschäftsfuhrer und Wahlkampfleiter als konkreten Nutzen der Programmdiskussion* CaP: Es ist völlig logisch, daß man sich in einer Zeit der rasanten gesellschaftlichen Veränderungen programmatisch neu bestimmt. Das hat die herrliche Wirkung, daß das zu einem Politisierungsprozeß führt. Es werden sich einfach viele Menschen innerhalb und außerhalb der Sozialdemokratie mit der weiteren Gesellschaftsentwicklung beschäftigen. Dadurch wird die Argumentationskraft der Bewegung gestärkt.

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