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Kein Marsch auf Rom

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Seit dem Sturz der chilenischen Volksfrontregierung Allendes wird in Italien wieder einmal die Frage eines zweiten „Marsches auf Rom“ erörtert. Die Aufdeckung eines neuen Komplotts, in das sogar ein Abgeordneter der neofasohistischen Sozialbewegung verwickelt ist, gießt natürlich öl ins Feuer solcher Diskussionen. Im Unterschied zu früher wird dabei die Möglichkeit eines Staatsstreiches nicht mehr als Hirngespinst einiger Phantasten hingestellt, sondern von gewissen Politikern „unter gewissen Voraussetzungen“ sogar als einziger Ausweg betrachtet. „Bei einer Verschlechterung der Wirtschaftslage und des politischen Klimas bleibt vielleicht gar nichts anderes mehr übrig, als ein Staatsstreich“, meinen unter vier Augen hohe Vertreter der italienischen Sozialbewegung des neofasehi-stischen MSI.

Auf die Frage, wer denn in Italien einen Staatsstreich durchführen könnte, gibt es vielerlei Antworten. Daß dergleichen rechtsextremen Schlägertrupps ä la Giovani d'Italia gelingen könnte, wird allgemein bestritten. Nach herrschender Ansicht könnten solche Außenseiterorganisationen lediglich im Verein mit disziplinierten Einheiten zum Zuge kommen. Dabei erhebt sich die Frage, ob die Armee einen solchen entscheidenden Rückhalt abzugeben vermöchte. Der ehemalige NATO-General und jetzige Präsident der Sozialbewegung, Birindelli, schließt rundweg aus, daß das italienische Heer, so wie es nun einmal ist, Bannerträger eines zweiten „Marsches auf Rom'“ sein könnte. Sind die höheren Chargen durchaus für die „Freiheit durch, Ordnung“ zu haben.

so lautet die Devise bei den jüngeren Offizieren „Freiheit und Ordnung“, und in der Truppe bleibt nur noch viel für die Freiheit, kaum mehr etwas für die Ordnung übrig.

Da auf die Armee offensichtlich kein Verlaß ist, hat Birindelli dem Parlament einen Gesetzesentwurf zur Bildung einer Elitetruppe unterbreitet. Die Vertreter der anderen Parteien hüteten sich freilich, ihn zu unterstützen, wissen sie doch, daß sie sich damit das eigene Grab schaufeln würden. Der Oberbefehlshaber einer solchen Elitetruppe könnte im Handumdrehen der italienischen Demokratie und ihrem ungezügelten Parlamentarismus den Todesstoß versetzen.

Auf den Einwand, es bedürfe in Italien gar keiner solchen Spezialabteilung des Heeres, weil es ja 80.000 Carabinieri gebe, die gut ausgerüstet und noch besser organisiert seien, stößt man in rechtsextremen Kreisen statt eines Gegeneinwandes auf leuchtende Augen. „Ja, für die Carabinieri lege ich die Hand ins Feuer“, sagte uns ein hoher Offizier.

Noch aber steht Italien vor keinem Staatsstreich. Die Meldungen der Sensationspresse hatten mehr die hohen Auflageziffern als die Aufdeckung der Wahrheit im Auge. Überdies sind in Südamerika mehr oder minder blutige Umstürze und gewaltsame Konsolidierungen der Machtverhältnisse beinahe an der Tagesordnung, während sie in Europa weniger leicht in Szene gesetzt werden können, dafür aber auch einen eher definitiven Charakter haben und über längere Zeiträume die Verhältnisse bestimmen. Am meisten fällt für Italien di“ Elektrizität der linksextremen Opposition ins Gewicht. Seit der Verstärkung der faschistischen Come-back-Chancen geben sich die Kommunisten- und Gewerkschaftsführer sehr gemäßigt. Den neuesten Beweis liefern die geradezu einsichtigen Forderungen der drei großen Linksgewerkschaften für die 200.000 Arbeitnehmer bei Fiat.

Daß gerade in der norditalienischen Millionenstadt Turin, dem Sitz der Fiat-Werke, die Forderung nach vermehrten Investitionen im Süden gestellt wird, ist weder widersprüchlich noch merkwürdig. Der Zuzug von mehr als 100.000 Einwanderern aus südlichen Regionen hat das sogenannte Wirtschaftswunder-Dreieck Mailand-Turin-Genua vor ungeheure, ungelöste Infrastruktur-und andere Probleme gestellt, die es angezeigt erscheinen lassen, das Heil eher in einer Verlegung der Fabriken nach dem Mezzogiorno als in der weiteren Heranziehung von Arbeitern aus dem Süden zu suchen. Nicht zuletzt unter dem Einfluß der KPI verfolgen die Gewerkschaften jetzt mehr als früher eine globale Politik in dem Sinne, daß sie bei ihren Forderungen nicht mehr einseitig ohnehin wirtschaftlich und sozial bevorzugte Regionen und Berufskategorien, sondern die Interessen aller Arbeitnehmer des Landes ins Auge fassen. Da die Linksparteien besonders für eine Erhöhung der Minimalsätze eintreten, sorgte Rumors Links-Mitte-Regierung für eine beträchtliche Aufbesserung der Gehälter und Pensionen für die höheren Chargen bei Armee und Polizei. Zufriedengestellte Offiziere haben offensichtlich weniger Lust, ihre Haut bei einem zweiten Marsch auf Rom mit unbestimmtem Ausgang zu riskieren.

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