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Bewährung für „Partitocrazia”

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1974 wird wahrscheinlich als „Jahr geplanter, dann aber in letzter Minute verschobener Staatstreiche” in die italienische Geschichte eingehen. Bereits in der Nacht vom 7. zum 8. Dezember 1970 hieß es, hätten ein paar Stürmer und Dränger um den Fürsten Valerio Borghese, Ex-Chef der „X-mas”-Schlägertruppe, den Viminale-Palast besetzt gehalten, dann aber vergeblich auf den Alarm zur allgemeinen Volkserhebung gewartet.

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1974 wird wahrscheinlich als „Jahr geplanter, dann aber in letzter Minute verschobener Staatstreiche” in die italienische Geschichte eingehen. Bereits in der Nacht vom 7. zum 8. Dezember 1970 hieß es, hätten ein paar Stürmer und Dränger um den Fürsten Valerio Borghese, Ex-Chef der „X-mas”-Schlägertruppe, den Viminale-Palast besetzt gehalten, dann aber vergeblich auf den Alarm zur allgemeinen Volkserhebung gewartet.

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Diese Behauptung wurde von offizieller Seite sofort energisch in Abrede gestellt, so daß viele brave Bürger getrost annahmen, es habe sich bei der genannten Pressemitteilung wieder einmal um ein bloßes Schauermärchen gehandelt und irgendein phantasiebegabter Italiener habe die Wirklichkeit mit dem damals in Vorbereitung befindlichen Film „Voglia- mo i Colonelli” (Wir wollen die Obersten) verwechselt.

Was sich damals tatsächlich im Innenministerium zugetragen hat, weiß man erst seit dem letzten Sommer, als Verteidigungsminister Andreotti dem Untersuchungsrichter in Rom eine Art von Rechenschaftsbericht unterbreitete. Es geht daraus hervor, daß die kritische Presse besser informiert war als das Innenministerium und die ganze Regierung zuhanden der öffentlichen Meinung informiert sein wollte; was das Hirngespinst eines übernächtigen Journalisten zu sein schien, den man besser hinter schwedische Gardinen stecken sollte als ihn auf die Menschheit loszulassen, hat sich wirklich zugetragen. Vor dem Viminale stationierte Wachposten sind tatsächlich ausgeschaltet, bestochen oder übermannt worden. Wenigstens das Untergeschoß des Innenministeriums befand sich über Mitternacht hinaus in den Händen der Möchtegern-Putschisten; dann aber verließen sie plötzlich das Hauptquartier der Polizeieinheiten. Sie taten es auf Grund eines warnenden Anrufes. Wenige Minuten nach ihrem Abzug nahmen die legalen Einheiten erneut Besitz von dieser Schlüsselstelle der italienischen Staatsgewalt.

Seit Mitte Juli 1974 weiß man auch mit einiger Sicherheit, daß der von Sehnsucht nach den Zeiten des faschistischen Ordnungsstaates gepackte Fürst weniger auf eigene Rechnung als im Auftrag einiger Drahtzieher handelte, die aus der Mitte des Spionagedienstes und wahrscheinlich auch des Verteidigungsministeriums und der Heereseinheiten heraus wirkten, während die Carabinieri kaum darin verwik- kelt sind. Wieweit die Verantwortlichkeiten, die wenigstens indirekte Unterstützung des 1970 eingefädel- ten, dann aber kurzerhand abgesagten Staatsstreiches und späterer solcher Putschversuche reichen, steht noch nicht fest. Doch muß man befürchten, daß sie in der Stratosphäre des italienischen Parteienstaates, in der sogenannten „Partitocrazia”, eine Höhe erreichen, in welcher das Regime nichts mehr zugeben kann, ohne sein Gesicht völlig zu verlieren. Einiges spricht dafür, daß Andreottis Absetzung als Verteidigungsminister durch die Neubildung des Kabinetts im November damit zusammenhängt, daß er zuerst jahrelang nichts und dann plötzlich allzuviel von diesen Staatsstreichen bekanntgab. Unter diesen Vorzeichen waren vielleicht nicht nur der Heimwehkranke, mittlerweile im spanischen Exil verstorbene Haudegen, Fürst Borghese, sondern auch der im Oktober verhaftete Dreistem-General Miceli, bis zum 1. Juli Chef des italienischen Spionagedienstes, und andere im Rampenlicht der Staatsstreichhysterie stehende Persönlichkeiten nichts anderes als Strohmänner und Handlanger.

Daß der seit Kriegsende unter christdemokratischer Hegemonie stehende Staat viel von seiner Glaubwürdigkeit eingebüßt hat, führte bereits die Abstimmung vom 12. Mai über das Ehescheidungsgesetz vor Augen. Diese überhaupt riskiert und geglaubt zu haben, es werde eine Mehrheit der italienischen Stimmbürger und -bürgerinnen für die Abschaffung der 1970 eingeführ ten Scheidung eintreten, war eine Fehlrechnung vor allem des christ- demokratischen Generalsekretärs Fanfani. Daß rund 60 Prozent des Elektorates sich für die Beibehaltung des Gesetzes aussprach, läßt vor allem die Sichel- und Hammerparteien, also Linkssozialisten und Kommunisten, hoffen, daß die Stunden der christdemokratischen Vormachtstellung gezählt seien und daß im Sog einer Wirtschafts- und Vertrauenskrise das Pendel bald nach Links ausschlagen werde. Allerdings hielt sie die Angst vor einem neofaschistischen Staatsstreich bisher noch davor zurück, gewisse Reformvorschläge auf Biegen und Brechen durchzusetzen.

Überdies wissen die Linkssozialisten und die Kommunisten, nicht zuletzt die Gewerkschaftsführer, daß die ökonomischen Gegebenheiten derart prekär sind, daß wohl oder übel und trotz ihrer Dringlichkeit vieles auf einen günstigeren Zeitpunkt vertagt werden muß. Wo sie es nicht wissen wollen, gibt es ihnen ihr Anhang, nicht nur Unzufriedene sondern auch um ihren Arbeitsplatz besorgte Männer und Frauen, zu spüren, daß man nach wie vor und in der heutigen mißlichen Lage noch viel weniger als früher erpicht ist auf Experimente, die Italien vollends ins Unglück stürzen könnten.

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