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Mit allen Mitteln, mit Leib und Leben ...

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Die jüngst vom Nationalrat beschlossene Novellierung des Zivildienstgesetzes schien Anlaß, das Thema Landesverteidigung aus christlicher Sicht in der FURCHE wieder einmal zu aktivieren.

Die Linie des Blattes sollte jene sein, die hier immer eingenommen worden ist: voller Respekt vor Waffendienstverweigerern aus wirklicher Gewissensüberzeugung, aber vorbehaltlose Bejahung der Landesverteidigung „mit allen zu Gebote stehenden”, also auch mit militärischen Mitteln. Und kein Respekt vor tatsächlichen Drückebergern, die einfach einer Unannehmlichkeit entgehen möchten.

Als Einleitung einer solchen Diskussion schien der nebenstehende Beitrag des bekannten deutschen Zeitkritikers Gerd-Klaus Kaltenbrunner.

Keine Frage: Vielen wird der Autor aus der Seele sprechen. Vielen wird das, was er zu sagen hat, und nicht zuletzt die Art, wie er es formuliert, als Provokation erscheinen.

Das wäre ein dramaturgisch reizvoller Einstieg in die Diskussion über ein Problem, das jeden Österreicher angeht und allen westlichen Staaten zu schaffen macht.

Eine Diskussion in der Redaktionskonferenz der FURCHE offenbarte freilich rasch, daß vor der Frage, wie unser Land und damit unser Gesellschaftssystem verteidigt werden sollen, erst einmal zu klären wäre, was eigentlich daran verteidigungswürdig ist.

Immer mehr Menschen in unserem Land - junge vor allem, aber keineswegs nur diese - werfen heute die zweifelnde Frage auf, ob der Unterschied zwischen unserem demokratischen und einem totalitären Gesellschaftssystem in der Praxis wirklich noch so groß wie in der Theorie ist.

Konkret: Ist unsere Gesellschaftsordnung durch materiellen Uberfluß, Raff- und Machtgier der herrschenden Eliten und ihrer hundert-tausenden Nachahmer und Mitna-scher nicht schon reif zum Untergang geworden? Könnten uns russische Panzer noch etwas rauben, dessen Besitz uns nicht längst zur Verführung und Verderbnis geworden ist? ,

Wäre es nicht vielleicht ganz gesund, wenn uns ein Schicksal träfe, wie es in den kommunistischen Nachbarländern seit 1945 bis heute zum Alltag gehört hat: immer wieder auftretender Mangel an Grundnahrungsmitteln, Auto als Luxus, Überfluß als bloßer Traum?

Würde uns ein bißchen materielle Not nicht stärker als die Konsumfülle unseres westlichen Alltags zu geistigen Zielsetzungen, zu immateriellen Bedürfnissen, zum Wesentlichen hinführen?

Kurz: Ist das System der korrupten Prassergesellschaft der westlichen Welt wirklich besser? Ist sie allen Ernstes verteidigungswert?

Die FURCHE wird in den nächsten Wochen namhafte Persönlichkeiten zu Wort kommen lassen und die kritische, die selbstkritische Auseinandersetzung nicht scheuen.

Aber niemand soll uns den Vorwurf machen können, wir betrieben mit einer solchen Diskussion Desorientierung, wir trügen auch unsererseits zur wachsenden Unsicherheit durch ein unterschiedsloses Nebeneinander von Pro und Kontra bei.

Deshalb ein klares Bekenntnis gleich am Anfang dieser notwendigen und vielleicht schmerzhaften Diskussion:

Es ist ein besorgniserregendes Zeichen des Bewußtseinsverfalls, daß diese Frage heute gestellt werden muß. Eigentlich dürfte es für niemanden einen Zweifel darüber geben, daß unser Gesellschaftssystem, wie unvollkommen, wie anfällig, wie verbesserungsbedürftig es auch ist, jedem totalitären System turmhoch überlegen bleibt.

Es ist überlegen nicht nur, weil es mehr materialle Güter für mehr Menschen zu erzeugen in der Lage ist. (Aber auch das ist keine Schande!) Es ist überlegen, weil es trotz aller tatsächlichen Einschränkungen noch immer die Freiheit des Gedankens, des Wortes und der Tat in hohem Maß zuläßt.

Die parlamentarische Demokratie hat tausend Mängel. Durch aktive Anteilnahme vieler Staatsbürger an ihren Möglichkeiten können freilich diese Mängel mühsam, langsam, unvollkommen, aber doch wenigstens teilweise korrigiert werden.

Ein totalitäres System hat hunderttausend Mängel. Wer sie zu korrigieren versucht, muß mit beruflicher Benachteiligung, persönlicher Schikane, oft genug mit Haft und Folter, mit Leib und Leben dafür büßen.

Hunderte fliehen aus ihren Staatenkerkern unter Risiko ihres Lebens (und Hunderttausende möchten fliehen, sähen sie auch nur eine geringe Erfolgschance gegeben) -nicht wegen leerer Fleischerläden, sondern wegen unerträglicher Gewissensnötigung.

Wo Tyrannei ihren ungezügelten Machtanspruch erhebt, muß ihr entgegengetreten werden. Wäre das nicht geschehen, hätteder Hitler-Faschismus heute die halbe Welt mit seiner Knechtschaft überzogen. Oder der Stalin-Kommunismus. Oder ein anderer -ismus, vor dem gutgemeinte, aber nicht verteidigte Humanität zu kapitulieren hätte.

Deshalb das Bekenntnis: Eine noch so unvollkommene, aber weitgehend freie Gesellschaftsordnung ist es wert, mit Leib und Leben verteidigt zu werden - indem ihre Verteidiger auf den Angreifer im äußersten Ernstfall auch schießen oder zumindest bereit sind, sich durch unbewaffnetes („entwaffnendes”) Zugehen auf den Aggressor im äußersten Ernstfall auch erschießen zu lassen. Nur solche Art von Waffendienstverweigerung verdient Respekt.

Die Diskussion ist eröffnet.

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