7027132-1989_15_24.jpg
Digital In Arbeit

Neue Politik?

Werbung
Werbung
Werbung

Seit Monaten beschwert sich unser deutscher Bundeskanzler darüber, daß die gute Politik seiner Regierung so schlecht verkauft wird. Er sinkt samt seiner Koalition bei allen Umfragen ift der Wählergunst gleichmäßig ab wie ein Unterseeboot, in dem sich mehr Blei als Luft befindet.

Strittig sind jedoch folgende Frageti: Sind die deutschen Wähler wirklich so blöd, daß sie eine gute Politik der Regierung nach sechs Jahren immer noch nicht als solche erkannt haben? Sind auf Kohls Regierungsschiff nur ein paar Matrose» aus Blei und müssen nur durch neue Leichtmatrosen ausgetauscht werden? Oder ist die Ladung aus Blei — nämlich der Inhalt der Politik?

Dann nämlich ist die Kabinettsumbildung — wie der CSU-Vorsitzende Theo Waigel meint — nur eine sinnlose Kosmetik, und das Schiff kann erst wieder flott werden, wenn politischer Ballast abgeworfen und eine neue Politik geladen wird.

Die Spekulation der CDU/ CSU und FDP bei der „Wende“ hieß — grob vereinfacht: wenn man soziale Minderheiten vernachlässigt und dafür sorgt, daß es der Mehrheit nicht nur gut, sondern besser geht, dann müßte auch die Wähler-Mehrheit langfristig zu sichern sein.

Diese Aschenputtel-Rechnung — die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen — ging aber nicht auf. Jedenfalls nicht so, daß jene zwei Drittel wirtschaftlich Begünstigten nun dankbar die konservativ-bürgerlichen Parteien unserer jetzigen Koalition unterstützen, wogegen dann das restliche Drittel der Erfolglosen und sozial Benachteiligten als Jammer-Klientel für die Linken übrigbleibt.

Jetzt ist es so, daß bei allen Wahlen und Umfragen die CDU/CSU stark verliert, die SPD wenig bis nichts dazugewinnt, die FDP rausfliegt und sich alle Stimmengewinne auf die radikaleren Außenseiter verteilen: teils auf die Grünen, teils auf die sogenannten Republikaner. Das heißt: der soziale Protest stärkt die politischen Extreme.

Dies aber vergrämt auch die oberen sozialen Schichten, die sich ihres Wohlstandes kaum freuen können, wenn sie ständig Angst haben müssen, daß die sozial Benachteiligten irgendwann die politische Oberhand gewinnen und dann die Burgen der Reichen schleifen.

Soziale Gerechtigkeit ist eben nicht bloß Humanitätsduselei, sondern dient dem sozialen Frieden, und dieser ist auch für sich schon ein materielles Gut.

Bei uns gibt es nämlich jetzt auch nicht mehr Nazis als noch vor zehn Jahren, aber es gibt ein soziales Protestpotential, das nicht notwendig wäre.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung