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Neuer Steuermann

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Die große Mehrheit der Wähler erwartet nach Meinungsbefragungen vor allem, daß der Bundeskanzler zuverlässig, ehrlich und aufrichtig, fair und sachlich ist, daß er hält, was er verspricht, daß er für das Recht eintritt und sozial eingestellt ist. Er soll intelligent, volksverbunden, redegewandt, kultiviert und gebildet sein. Er soll viel von der Wirtschaft verstehen und für Sparsamkeit sorgen. Er soll große und vielseitige politische Erfahrung haben, für Zusammenarbeit ein- treten und ein wirklicher Demokrat sein.

Die Verfassung stellt nur wenige Voraussetzungen auf: Wer zum Nationalrat wählbar ist, kann Kanzler werden. Bestimmte Ämter (z. B. Bundespräsident, Landesregierungsmitglied, Mitglied eines Höchstgerichtes) sind mit dem Amt unvereinbar. Sonstige Voraussetzungen sind nicht vorgeschrieben. Aber das heißt nicht, daß sie nicht gegeben sein sollten.

So braucht der Kanzler robuste Gesundheit. Ohne Vitalität, Energie, Belastbarkeit, Gelassenheit, Regenerationsfähigkeit, Zähigkeit, Ausdauer, Durchstehvermögen und Schwung ist das Amt auf längere Sicht nicht zu schaffen.

Der’Kanzler soll mit Maß und Ziel ehrgeizig sein und ein unbefangenes Verhältnis zur Macht haben. Er soll antreiben können, darf aber kein Getriebener sein.

Er soll eine abgerundete Persönlichkeit mit ausgeglichenem Temperament und integrem Charakter sein, der sich auch im Privatleben zeigt. Er braucht stabiles Selbstvertrauen, Selbstbewußtsein ohne Selbstüberschätzung, manchmal sogar ein Sendungsbewußtsein, vor allem aber ständige Lernfähigkeit. Dazu ist es notwendig, die eigenen Lücken und Schwächen, Vorurteile und Irrtü- mer zu kennen, ohne an sich zu zweifeln. "" /

Informationsbeschaffung ist das Um und Auf des Regierens. Die beste Meinungsforschung, die besten Massenmedien und das beste Informationssystem dürfen ihm nicht gut genug sein. Er muß wissen, wo die Menschen der Schuh drückt. Er muß nicht nur gut zuhören können, sondern auch für einen echten Meinungsaustausch offen sein.

Der Bundeskanzler muß nicht nur gut reden können, er soll auch mit jedem in seiner Sprache reden können. Er sollte rhetorische Bildung haben, um die Wirkung und

Folgen seiner Worte abschätzen zu können. Mehr als jeder andere steht er in der „Verantwortlichkeit des Formulierens“. Im Zeitalter der Massenmedien hat derjenige das Gesetz des Handeln;» in der Hand, der als erster zu Wort und ins Bild kommt: der Kanzler.

Da er ständig im Scheinwerferlicht steht und repräsentieren muß, ist sein Ansehen auch von seinem Aussehen abhängig. Wer Sympathie, Charme, natürliche Autorität ausstrahlt, kontaktfreudig ist, Humor hat und mit Menschen leicht umgehen kann, tut sich als Kanzler leichter. Menschenkenntnis, Geschick im Umgang mit Menschen und in der Auswahl und Führung sind für den Regierungschef notwendig. Er kann ja nicht alles selbst machen, er muß delegieren.

Der Kanzler soll „managen“ können, d. h. „leiten, führen, bestimmen, verwalten, vorstehen, dirigieren, zustandebringen, bewerkstelligen, geschickt durchführen, deichseln, einrichten, möglich machen, einfädeln, bändigen, herumkriegen, manövrieren, verhandeln, behandeln, bewirtschaften, haushalten“. Er soll ein guter Motivator sein, also anregen, ermuntern, fördern, mahnen, tadeln, bewegen, veranlassen können. Er soll durchsetzen, vor allem sich durchsetzen können.

Der Bundeskanzler soll ein guter Verhandler sein. Das österreichische Regierungssystem ist nämlich mehr auf Kompromiß und Sicherheit als auf Raschheit und Einfachheit aufgebaut. Das entspricht einer rechtsstaatlichen und bundesstaatlichen Demokratie. Vielen politischen Entscheidungen müssen Verhandlungen Vorgehen, an vielen ist der Kanzler beteiligt. Er muß die Fähigkeit zum Ausgleich haben, ohne die Richtung außer acht zu lassen. Denn die Menschen wollen wissen, wohin es geht.

Informationen, Konsultationen, Kontakte, Kooperationen — das beginnt schon in der Partei, setzt sich in Staat und Gesellschaft fort und ist im internationalen Bereich von Bedeutung. Daher muß der Kanzler weltoffen sein, die Entwicklung auch im Ausland abschätzen können. Gerade auf diesem Gebiet ist ein Gespür für Realitäten wichtig, um die richtigen Dinge zur richtigen Zeit zu tun. Man muß ein gutes Urteilsvermögen, ein Gefühl für Proportionen, Zusammenhänge und Grenzen haben. Man darf nicht kleinkariert oder provinziell sein. Die Kenntnis der Welt in ihrer Komplexität ist wichtiger als Fremdsprachenkenntnisse. Diese können allerdings ebenso hilfreich sein wie historisches Wissen.

Der Kanzler soll nicht nur einen großen Wirklichkeitssinn, sondern auch — frei nach Musil — viel Möglichkeitssinn (was ist, wenn?) haben. Er braucht aber auch einen klaren Sinn für Prioritäten. Für den Staatsmann wird immer wieder das Bild des Steuermanns gebraucht, der das große Boot der politischen Gemeinschaft lenkt.

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