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Nicht nur blasse Romantiker

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Es ist heute weithin allgemeine Überzeugung, daß zu den brennenden sozialen Fragen der industriellen Gesellschaft zuerst der Sozialismus eine Antwort gefunden habe. Dies ist nur zum Teil richtig. Heute sind jene vielfältigen Initiativen fast vergessen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Bereich katholischer Sozialkritik gegeben waren und die bei aller Zeitgebundenheit doch manche Gedanken enthalten, denen auch in unserer Zeit noch Bedeutung zukommt. Es handelt sich um eine Reihe von Persönlichkeiten, die vielleicht allzu einseitig einer „romantischen" Phase der Sozialbewegung zugeordnet waren.

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Es ist heute weithin allgemeine Überzeugung, daß zu den brennenden sozialen Fragen der industriellen Gesellschaft zuerst der Sozialismus eine Antwort gefunden habe. Dies ist nur zum Teil richtig. Heute sind jene vielfältigen Initiativen fast vergessen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Bereich katholischer Sozialkritik gegeben waren und die bei aller Zeitgebundenheit doch manche Gedanken enthalten, denen auch in unserer Zeit noch Bedeutung zukommt. Es handelt sich um eine Reihe von Persönlichkeiten, die vielleicht allzu einseitig einer „romantischen" Phase der Sozialbewegung zugeordnet waren.

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Richtig ist, daß sie mit der umfassenden Kultur- und Geistesbewegung der Romantik eng verbunden sind. Das bedeutet aber noch nicht, daß sie sozialromantische Ideen vertreten hätten, sondern ganz im Gegenteil: Es zeigt sich gerade bei diesen frühen Vertretern katholischer Sozialkritik am Beginn der Industrialisierung eine überaus deutliche sozial-realistische Haltung.

Das früheste Reformprogramm konkreter Art hat Franz Joseph Ritter von Büß entwickelt, und zwar in einer berühmt gewordenen „Fabrikrede" vom 25. April 1837 im Badischen Landtag. Bei ihm steht die Betonung der Agrarwirtschaft als Gegengewicht zur Industrialisierung im Vordergrund, er fordert daher auch ein umfassendes Agrikulturgesetz, weiters die Errichtung landwirtschaftlicher Versicherungsanstalten und Lehranstalten in Verbindung mit Musterwirtschaften. .

In dem Zusammenhang wird auch eine moderne Gewerbeordnung verlangt, im besonderen durch die „Einführung eines geläuterten Innungswesens" gegen eine unbeschränkte Gewerbefreiheit.

Auf Peter Franz Reichensperger geht die Forderung zurück, eine Art Gewinnbeteiligung einzuführen, die jeden Arbeiter bei dem Resultat seiner Arbeit und bei dem Gedeihen der Fabriken direkt beteiligen solle.

Von ganz entscheidender Bedeutung ist Franz von Baader. In seiner bekannten Abhandlung über das „Mißverhältnis des Proletairs" wird ein scharfer Protest gegen den rechtlosen Zustand der Fabriksarbeiter vorgelegt, es werden aber auch pragmatische Erfahrungen vor allem aus Baaders Aufenthalt in England berichtet. Es geht Baader nicht nur um die Verbesserung einzelner Zustände, sondern um eine Integration der Fabriksarbeiter in die Gesellschaft ...

Adam Müller geht es vor allem um die Überwindung der Trennung von Arbeit und Kapital. Sein Sozialideal einer möglichst großen Ausgewogenheit von Arbeit und Kapital stellt ein ständisches Ideal heraus. In seiner scharfen Kritik der Konkurrenzwirtschaft wird wohl bis zu einem gewissen Grad übersehen, daß nicht so sehr der Wettbewerb an der Verelendung der Arbeiterschaft schuld war, sondern eher die vielen Monopole.

Bleibend an dieser ersten Phase der katholischen Sozialkritik im In-dustriefeitalter ist die ganzheitliche Orientierung. Es wird der Gesamtzusammenhang zwischen den einzelnen Gesellschaftsbereichen gesehen, es kommt zu einem Versuch einer Konzeption einer Gesellschaftspolitik auf einer breiten Basis. Man darf auch nicht vergessen, daß die Hervorhebung der Kooperation von Arbeit und Kapital doch eine bedeutende, zukunftsträchtige Grundkonzeption ist, die letztlich auch der modernen Sozialpartnerschaft zugrunde hegt...

Die für Österreich entscheidende Phase der Sozialgesetzgebung hat sich nach 1880 vollzogen, zu einer Zeit, in der liberale und konservative Kräfte in Regierung und Abgeordnetenhaus maßgebend waren.

So hat eine Gruppe von Persönlichkeiten um den Freiherrn Karl von Vogelsang eine beachtliche Initiative entwickelt Das nur beschränkte

Wahlrecht hat das Aufkommen von politischen Parteien, die breitere Gruppen der arbeitenden Bevölkerung vertreten hätten, damals noch verhindert. Immerhin erscheint es beachtlich, daß diese Phase der Sozialgesetzgebung, die die Grundlagen der heutigen Sozialversicherung geschaffen hat, weitgehend auf katholische Initiativen zurückzuführen ist.

Darüber hinaus hat das seit 1848 entstehende katholische Pressewesen eine bedeutsame Funktion in der Richtung gehabt, daß die Öffentlichkeit mit den sozialen Problemen vertraut wurde. Dies gilt schon für die im Jahre 1848 unter Sebastian Brunner gegründete „Wiener Kirchenzeitung".

Vogelsang selbst war Chefredakteur, er kam von einer katholischen Zeitung von Preßburg nach Wien und hat hier die wissenschaftliche „Monatszeitschrift für christliche Sozialreform" geschaffen, war dann auch Chefredakteur der angesehenen katholischen Tageszeitung „Das Vaterland". Nach 1867, mit der Einführung der Pressefreiheit, kam es zu einem blühenden katholischen Zei-. tungswesen, das mit der Gründung der „Reichspost" seinen Höhpunkt erreicht hatte.

In der weiteren Folge hat sich eine katholische Sozialbewegung immer deutlicher herausgebildet, die mit den Haider-Thesen im Jahre 1883 ein erstes umfassenderes Programm bekommen hat.

Man darf nicht vergessen, daß weite katholische Kreise dem so stark von liberalen und konservativen Kräften bestimmten Staat nicht nur in Österreich mit Mißtrauen gegenübergestanden sind. Viele haben sich gerade von diesem Staat keine Lösung der Sozialprobleme erwartet. Um so eindeutiger.ist es, daß noch yor dem Erscheinen der ersten Sozialenzyklika .♦ßwtrum nsvflratny iiau Jahre 1891 die Überzeugung von der Notwendigkeit einer weitgehenden Sozialgesetzgebung sich in Österreich immer mehr durchgesetzt hat.

Mit der Gründung der Christlichsozialen Partei und den großen Erfolgen des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger in der Kommunalpolitik hat sich diese katholische Sozialbewegung immer mehr den praktischen Fragen der Gesellschaftspolitik zugewandt. Daneben war aber auch immer eine bedeutsame wissenschaftliche Tätigkeit gegeben. Franz Schindler hat mit seiner „Sozialen Frage" eine erste systematische Darstellung der Katholischen Soziallehre in Österreich herausgebracht.

Aus: DIE KATHOLISCHE SOZIALLEHRE. Von Alfred Klose. Sty-ria-Verlag, 231 S.t S 180,-.

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