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Nicht nur Modelle für Verlustbetriebe

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In den letzten vierzig Jahren sind in Europa viele Versuche unternommen worden, Alternativen zum Lohnarbeitsvertrag zu etablieren - mit unterschiedlichen Ergebnissen.

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In den letzten vierzig Jahren sind in Europa viele Versuche unternommen worden, Alternativen zum Lohnarbeitsvertrag zu etablieren - mit unterschiedlichen Ergebnissen.

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Ein kurzer Blick in die Rechtsgeschichte zeigt, daß der Lohnarbeitsvertrag erst seit 200 Jahren die hauptsächliche Rechtsgrundlage von Arbeitsbeziehungen darstellt. Es hat daher gar nichts mit einer romantisch oder sonst wie verbrämten Kritik am Lohnarbeitsvertrag zu tun, wenn man sich die Frage vorlegt, ob Alternativen zu ihm für die gegenwärtige Wirtschaftsverfassung vor stellbar, ja vielleicht sogar schon wahrnehmbar sind.

Es geht vielmehr — wie so oft bei der Beurteilung rechtlicher Phänomene — um ein von möglichst viel Realismus getragenes Kalkül.

In den letzten vier Jahrzehnten ist im mitteleuropäischen Raum eine beträchtliche Anzahl von Versuchen unternommen worden, Alternativen zum Lohnarbeitsvertrag zu etablieren.

Im Zeichen der Auf bruchsstimmung nach dem Ende des 2. Weltkriegs stand das Werksgenossenschaftsgesetz vom 26. Juli 1946, das der österreichische Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem ersten Verstaatlichungsgesetz vom selben Tag in Kraft gesetzt hat.

Die Bildung von Werksgenossenschaften wurde vorgesehen für staatseigene Unternehmen ohne Monopolcharakter, wenn der Betrieb ein arbeitsintensiver war.

Ein Teil des Gesellschaftskapitals konnte einer Werksgenossenschaft der Belegschaft gewidmet werden. Die Reingewinne, die sich leider nicht einstellten, sollten zur Hälfte zur Zahlung des Kaufpreises für den Kapitalanteil verwendet werden. Der Rest sollte nach Deckung der Aufwendungen der Genossenschaft und Bildung angemessener Rücklagen nach Kopf teilen an die Mitglieder ausgeschüttet werden.

ökonomischer Erfolg blieb diesen Werksgenossenschaften versagt — nicht zuletzt deshalb, weil sie sich nicht bei prosperierenden, sondern nur bei ohnedies schon in Gefahr geratenen Unternehmen bewähren konnten.

Erheblich erfolgreicher war das „Bauhütte-Leitl-Modell”, das in einer vom Linzer Arbeitsrechtler Strasser 1974 herausgegebenen Schrift sehr gut dargestellt wird. Es hat sich zum eindrucksvollsten österreichischen Partnerschaftsbetrieb entwickelt.

Dabei stellte man zwei Verträge nebeneinander: Der eine Vertrag machte Arbeitnehmer zu Unterbeteiligten des hauptbeteiligten Unternehmers. Ein zweiter Vertrag errichtete eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen den Mitarbeitern der Bauhütte, mit denen der Unternehmer einen Vermögensbeteiligungsvertrag abgeschlossen hat.

So kompliziert das juristische Instrumentar dieser Partnerschaft im Detail ausgefallen ist, so erfolgreich war bisher die Praxis.

In der Bundesrepublik Deutschland ist das „Modell Süßmuth” auf starke Beachtung gestoßen. Es hat zu einem unternehmerlosen Betrieb geführt, der sich zumindest einige Zeit (1970 bis 1975) gut zu behaupten vermocht hat.

Nachdem ein Einzelunternehmer in Schwierigkeiten geraten war, wurde folgende Konstruktion einer Glashütte geschaffen:

Zum einen wurde eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung als Unternehmensträger errichtet, zum anderen wurde ein Verein der Beschäftigten der Glashütte gegründet. GesmbH und Verein wurden durch Personalidentität der Vorstandsmitglieder bzw. der Geschäftsführer verzahnt.

Es wäre falsch, wollte man die großen Schwierigkeiten” übersehen, die sich mit jedem der denkbaren Modelle verbinden. Manche von diesen Schwierigkeiten sind ganz überraschend: Zum Beispiel droht bei einem stärkeren Einfluß der Belegschaft auf Unternehmensführung und Personalpolitik eine Abschwächung des Versetzungsschutzes für einzelne Beschäftigte.

Neben den zum Teil recht erfolgreichen Modellen in der Praxis stehen bemerkenswerte Unternehmen der Theorie.

Am meisten Bedeutung haben meines Erachtens die Gedanken von Ota Sik, die er 1979 in seinem Buch „Humane Wirtschaftsdemokratie” vorgetragen hat. Es ist bemerkenswert, daß Sik ähnlich wie alle in der Praxis zu Erfolg gelangten Modelle von einem Nebeneinander zweier Gesellschaftstypen ausgeht.

Nach Sik soll eine Vermögensverwaltungsgesellschaft mit einer Betriebsführungsgesellschaft verbunden werden.

An dieser Zweiteilung fällt auf, daß sie schon in der heutigen gesellschaftsrechtlichen Praxis häufig begegnet, ohne überhaupt für den Gedankenkomplex Partizipation — Mitbestimmung — Arbeiterselbstverwaltung in An-spruch genommen zu werden.

Bei Sik dominiert der Gedanke der Neutralisierung des Kapitals. Einen Wettbewerb der unternehmerlosen Gesellschaften, die er ropagiert, schließt freilich auch ik nicht aus.

Dies lenkt unseren Blick auf einen sehr wichtigen Aspekt: auf die Vereinbarung von Alternativen zum Lohnarbeitsvertrag mit marktwirtschaftlichen Strukturen.

Es ist keineswegs so, daß jeder Schritt vom Lohnarbeitsvertrag weg auch ein Schritt weg von der Marktwirtschaft sein müßte. Vielmehr können fast alle Vorzüge der Konkurrenzwirtschaft gewahrt bleiben, wenn neben Arbeitsverhältnissen aufgrund von Lohnverträgen Arbeitsbeziehungen mit anderer Rechtsgrundlage 'treten.

Für das Verständnis der Sozialenzyklika „Laborem exercens” ist die Beobachtung der Entwicklung praktischer und theoretischer Alternativen zum Lohnarbeitsvertrag von erheblicher Bedeutung.

Die Enzyklika hält (Abschnitt 14) eine Revision des ausschließlichen Rechtes des Privateigentums an Produktionsmitteln für erförderlich.

Dabei werden folgende vier Gestaltungsmöglichkeiten genannt:

• Miteigentum an Produktionsmitteln;

# Mitbestimmung;

# Gewinnbeteiligung;

• Arbeitnehmeraktien. Erschöpfend will diese Aufzählung nicht sein. Es ist ja auch nicht die primäre Aufgabe des Lehramtes, konkrete Rezepte auszustellen. Die wünschenswerte Richtung aber wird unmißverständlich bezeichnet.

Vor allem wird deutlich gemacht, daß die Präferenz nicht einer Fortschreibung lohnvertraglicher Konstruktionen, sondern jenen Alternativen zum Lohnar- beitsvertrag gebührt, über die der' unvergessene Karl Kummer schon 1952 nachgedacht hat.

Was die Sozialenzyklika Johannes Paul II. zur Uberwindung des Lohnvertrages sagt, konvergiert weithin mit praktischen Modellen und theoretischen Überlegungen.

Mehr als Sozialromantik?

Es kann aber nicht übersehen werden, daß der Gedanke an einen Schritt über das Lohnarbeits-verhältnis hinaus auch auf Opposition stößt.

Kein Geringerer als Oswald von Nell-Breuning hat erst in diesem Jahr seine Bedenken angemeldet. Soweit er vor bloßer Sozialromantik warnt, ist er gewiß im Recht. Wenn er aber zur Behauptung eines Rechtes der Arbeitnehmer auf den vollen Arbeitsvertrag sagt, ein solches Recht wäre ein Unbegrif f und sei daher nicht diskussionsfähig, so bleibt er zu formal.

Man muß nur an die Bemühungen der österreichischen Grenznutzenschule um die Entwicklung einer Zurechnungslehre denken, um zu erfassen, daß eine formale Widerlegung der gewiß sehr problematischen Behauptung eines Rechts auf den vollen Arbeitsertrag nicht ausreicht.

Die Entwicklung über das Lohnarbeitsverhältnis hinaus ist längst nicht mehr ein bloßes Postulat, sondern eine Diagnose schon stattfindender Prozesse.

Diese führen gewiß nicht in naher Zukunft zu einer völligen Uberwindung des Lohnarbeitsverhältnisses, aber mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Phase, in der verschiedene Rechtsformen der Arbeitsbeziehung nebeneinander stehen.

Univ.-Prof. Dr. Theo Mayer-Maly ist Professor für österreichisches und deutsches Privatrecht sowie für römisches Recht am Institut für juristische Dogmengeschichte der Universität Salzburg.

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