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Offen für Alternativen

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Politisches Handeln ist ethisches Handeln, wenn Ethik Antwort auf die Frage sucht: „Was soll ich tun?” Wie stellt sich nun diese Problematik des „Was soll ich tun?” für den Politiker dar, der sich als Christ versteht? Gibt es für ihn besondere Handlungsanweisungen oder hat er sie sich selbst zu suchen?

Ich möchte nun nicht auf die lange Geschichte des Verhältnisses von Kirche und Staat, Kirche und Gesellschaft eingehen, sondern Karl Rahner zitieren, der geschrieben hat:

„Das Christentum hat keine Vorhersage, kein Programm und keine eindeutigen Rezepte für die innerweltliche Zukunft des Menschen.” Und weiter: „Die Eschatologie des Christentums ist keine inner weltliche Utopie, setzt keine innerweltlichen Aufgaben und Ziele … (Der Christ) hat das sittliche Gesetz der Natur und des Evangeliums. Aber diese allgemeinen Prinzipien müssen von ihm selbst in konkrete Imperative umgewandelt werden… Indem der Mensch sich und seine Umwelt ändert, indem diese Änderungen selbst doch wieder den Charakter des Unvorhersehbaren haben … sind den Prinzipien, die das Christentum vertritt, immer neue und immer überraschende Aufgaben gestellt, die sich die Christenheit früherer Zeiten nicht träumen lassen konnte und die einen langen mühsamen Akklimatisationsprozeß für die Christen und die Kirche an sie erfordern, damit sie überhaupt bewältigt werden können.”

Möglicherweise wird diesen radikalen Standpunkt Rahners nicht jeder akzeptieren. Er ist aber zumindest klar und eindeutig. Wer als Christ politisch handelt, kann sich daher auf kein innerweltliches christliches Textbuch, auf keine konkreten Handlungsanweisungen verlassen.

Ist das nun die Aufforderung zum hemmungslosen Pragmatismus, in welche Richtung er immer sich entwickeln mag? Ziemlich sicher nicht. Noch immer gilt das christliche Menschenbild, daß die einzige volle Realität in der Gesellschaft die Einzelmenschen sind, daß aber diese Gesellschaft mehr als die Summe der Einzelmenschen ist. Sie enthält nämlich außer ihnen noch die realen Beziehungen unter den Menschen und zum gemeinsamen Zweck.

Der Einzelmensch, und er allein, bleibt das letzte irdische Ziel jedes gesellschaftlichen Han- delns^jeder Politik, wie Bochens- ky meint. Dieses Ziel kann aber nur so erreicht werden, daß die Realität der Gesellschaft und ihres eigenen Zieles anerkannt wird.

Aber dieses Ziel ist im Einzelwohl begründet. Die Pflichten, die wir der Gesellschaft gegenüber erfüllen, sind echte Pflichten — sie binden uns mit derselben morali schen Kraft wie jene gegen die Individuen, denn die Gesellschaft ist keine Fiktion. Und doch bleibt sie ein Werkzeug der Erfüllung des einzelmenschlichen Schicksals.

Das klingt ebenfalls klar und eindeutig, aber im praktischen Handeln ist es sicher nicht immer einfach, den richtigen Weg zu finden. Was für einen aus dem christlichen Raum kommenden Politiker sicher nicht vertretbar ist, ist die Hinwendung zu irgendwelchen innerweltlichen Heilslehren.

Das ist schon sehr viel. Tut er es, dann muß er wissen, daß er offensichtlich in Konflikt mit gegenwärtig akzeptierten christlichen, und im besonderen katholischen Auffassungen,gerät.

Für das demokratische System unserer Tage hat das den Vorteil, daß der christlich eingestellte Politiker nicht an ein unabänderliches irdisches gesellschaftliches Entwicklungsgesetz glaubt, daß er offen ist für Alternativen und einen großen Handlungsspielraum besitzt. Freiheit, Entschei- dungs- und Entfaltungsmöglichkeit des Einzelindividuums muß er sichern. Vor den Fehlern eines überspitzten Individualismus oder Kollektivismus sollte ihn aber die ethische christliche Position schützen.

Der christliche Politiker hat es sicher nicht leichter als andere Politiker, seinen Weg zu finden, aber wenn er das philosophische Fundament des christlichen Humanismus akzeptiert hat, ist für den Bürger immerhin die Gewißheit beruhigend, daß er sowohl kollektivistischen als auch individualistischen Experimenten aus christlichem Denken heraus seine Zustimmung nicht geben kann.

Der Autor war Bundesparteiobmann der OVP (1975-79) und Begründer der Europäischen Demokratischen Union (EDU) 1978.

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