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Gegen geeignete und von qualifizierten Personen geleistete Sexualaufklärung und -beratung wird sich wohl kaum jemand. wenden, der um Vermeidung von Abtreibung besorgt ist. Die Auseinandersetzung wird sich am ehesten an der Frage entzünden, was eine geeignete Aufklärung eigentlich ist.

Bornemanns Ausführungen entnehme ich, daß er von Ärzten, Psychologen, Juristen usw. vorgebrachte Detailinfor mation über biologische Abläufe, bestimmte Paragraphen oder psychische Mechanismen nicht ausreichend findet. Seinen Ruf nach dem Einsatz von umfassend mit der Thematik vertrauten Sexualwissenschaftlern verstehe ich als Ausdruck des Anliegens, die Sexualproblematik ganzheitlich zu sehen.

Dieser ganzheitliche Zugang ist auch meiner Überzeugung nach entscheidend wichtig, er sollte sich aber nicht nur auf die sexuelle Dimension beschränken, sondern auf einem umfassenden Menschenbild aufbauen. Gerade in der heutigen Zeit besteht ja die Gefahr, daß man die sexuelle Dimension als einen weitgehend autonomen Erfahrungsbereich betrachtet. Im Gefolge der amerikanischen Sexualwissenschafter Kinsey, Masters und Johnson wird in der einschlägigen Literatur der Orgasmus zum Indikator für geglückte sexuelle Beziehungen und alles, was diesem Ziel dient, wird positiv bewertet.

Hinter einer solchen Sicht steckt—allerdings meist unausge- - sprochen — ein Menschenbild, das in der Bedürfnisbefriedigung das Heil sieht: Je mehr Bedürfnisse befriedigt werden und je besser dies gelingt, umso glücklicher ist der Mensch.

Es wäre unrecht, wollte man Bornemann vorwerfen, eine nur auf den Sexualbereich eingeschränkte Sicht zu haben. Er vertritt — und vermutlich auch die österreichische Gesellschaft für Sexualforschung — eindeutig eine Weltanschauung, die ich im folgenden mit Zitaten aus Bornemanns Lebenswerk „Das Patriarchat“ illustrieren möchte:

„Nichts ist natürlicher am Menschen als seine Veränderlichkeit. Wir können uns heute ein Leben auf dem Meeresboden oder im Weltraum vorstellen. Die technischen Schwierigkeiten sind nicht unüberwindbar. Wir werden

Menschen mit Kiemen statt Lungen entwickeln, deren Organismus nicht mehr von der Schwerkraft abhängig ist. Der Schritt von hier zur Abschaffung der Menstruation ist nicht mehr groß, und die Erforschung einer Alternative zum Austragen des Kindes im Mutterleib sollte kaum überwältigende Schwierigkeiten bereiten …

Einerlei wie lange es dauern mag, einerlei in welcher Form es eines Tages geschehen wird, eines ist sicher: die endgültige Befreiung der Frau kann nur in der Befreiung von der Geschlechtlichkeit sein. Die klassenlose Gesellschaft der Zukunft kann nur eine geschlechtslose sein.“ (S. 533f)

„Wie auch immer die zukünftige Gesellschaft aussehen mag… es kann nie wieder eine Kultur der Monogamie, nie wieder der Familie, nie wieder des Einzelhaushaltes einer einzelnen Frau mit einem einzelnen Manne und ihren Kindern sein.“ (S. 537)

Diese Zitate machen deutlich, mit welchen Inhalten man zu rechnen hat, wenn in diesem Geiste geschulte Sexualwissenschaftler ans Werk gehen und auf welchem Hintergrund sich dann Sexualaufklärung abspielen würde.

Soweit es nur um Informationen über Körperfunktionen und das Wie ihrer Nutzung und Regulierung geht, läßt sich vom weltanschaulichen Hintergrund abse- hen. Da mögen Experten das notwendige Wissen vermitteln. Bei der Sexualaufklärung und -beratung geht es aber auch um die Art des Umgangs mit anderen Menschen und somit nicht mehr nur um Wissen, sondern grundsätzlich auch um das Menschenbild.

Mit der Bezeichnung Sexualwissenschaft benützt Bornemann einen neutralen, scheinbar unangreifbaren Begriff. Seine Sexualwissenschaft — wie übrigens jede andere auch — ist weltanschaulich gefärbt. Sie steht fest mit beiden Beinen im marxistischen Weltbild. Dieses ist aber angreifbar.

So sehr ich mit Bornemanns Anliegen, alles gegen die Abtreibung zu unternehmen, sympathisiere, so sehr bin ich überzeugt, daß sein Ansatz dem Anliegen mehr schadet als nützt. Für wen Sinnerfüllung, Verzicht, Enthaltsamkeit, Monogamie, Familie überholte oder suspekte Begriffe sind, kann der wirklich hoffen, Menschen bei der Gestaltung eines erfüllten Lebens — und damit eines erfüllten Sexuallebens — helfen zu können? Die Auszüge stammen aus: DAS PATRIARCHAT. Von Ernest Bornemann. Fischer-Verlag, Frankfurt 1981 (3. Aufl.), 694 Seiten, öS 127,70.

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