Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Überzeugend tendenziös
Streng wissenschaftlich und hart im Urteil versuchen fünf Autoren ein Ungarn der Gegenwart darzustellen, das, wenn es es gäbe, die größte Tragödie des Jahrhunderts für das 10,6 Millionen Volk bedeuten müßte.
Der Leser wird von den einschlägigen Argumenten für die sagenhafte Unfähigkeit der christlich-nationalen Regierung fast schon überzeugt; das Bild von der Wirtschaft, mit Daten und Fakten gründlich belegt, stimmt jedoch mißtrauisch: Bei den geschilderten Zuständen dürfte es ja nicht einmal mehr mit der Strom- und Wasserversorgung funktionieren. Hinzu kommen auch noch Zitate, die die Seriosität der Arbeiten in Frage stellen dürften. Denn auf einmal heißt es, „der ehemalige (kommunistische) Wirtschaftsminister Istvan Hetenyi erzählt". Es ist jammerschade, daß der Inhalt der Erzählung, ohne geprüft zu werden, zur Grundlage für weitere Aussagen der Autoren dient.
Der Leser, sofern er nicht tagtäglich das politische Geschehen verfolgt, kann (oder soll?) nicht wissen, ob die Äußerungen von Ex-Politikern stimmen. So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die beiden Oppositionsparteien, vor allem der liberale Bund Freier Demokraten, ein Sammelbecken von Genies sei, während die Koalition einen Verein kläglicher Versager darstellen.
Tendenzen dieser Art dürfen freilich nicht überraschen, wenn die Autoren krampfhaft bemüht sind, den Beweis dafür zu erbringen, daß es mit Ungarn „in Richtung Dritte Welt geht". Eine Alternative, so wird es von Seite zu Seite geradezu suggeriert, kann es nicht geben, solange die jetzige Regierung an der Macht ist. Darüber hinaus witzeln die Autoren auch über Erscheinungen, die in Ungarn selbst in vielen Menschen jahrzehntelang das Gefühl der Hilflosigkeit erzeugt haben. Und da liegt auch der grundlegende Fehler: es wird vollends auf den menschlichen Faktor verzichtet.
Schade: passend zusammengefaßte Statistiken und logische Argumente können auch auf Kosten der Wissenschaft übertrieben werden. Man müßte sich schon fragen, ob all dies dem menschlichen Individuum tatsächlich zuzutrauen ist. Je deutlicher diese Frage übergangen wird, umso geschmackloser äußert sich die Tendenz, von welcher Seite auch immer. Und diese hat mit Wissenschaft recht wenig zu tun.
UNGARN IM UMBRUCH. Von Franz Dela-pina/Hannes Hofbauer/Andrea Komlosy/Ger-hard Melinz/Susan Zimmermann. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1991. 144 Seiten, öS 148,-.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!