6832772-1974_48_10.jpg
Digital In Arbeit

Voller Gegensatz

Werbung
Werbung
Werbung

Die heutigen Autoren neigen unter dem täglichen Eindruck erschreckender Ereignisse dazu, den Menschen ausschließlich negativ darzustellen. Das Schauspiel „Die zwölf Geschworenen“ des Amerikaners Reginald Rose und des Deutschen Horst Bud- juhn, das gegenwärtig im Theater in der Josefstadt auf geführt wird, zeigt dagegen ein Verhalten, wie es sein sollte. Das war auch schon vor sechzehn Jahren, als das Stück in München uraufgeführt wurde, eine Seltenheit.

Die zwölf Geschworenen, die zum Abschluß eines amerikanischen Gerichtsverfahrens gegen einen Neunzehnjährigen, der angeblich seinen Vater ermordete, zu entscheiden haben, ob er zum Tod zu verurteilen oder freizusprechen ist, ringen sich bekanntlich nach eingehenden Überlegungen und hitzigen Debatten dazu durch, daß gegen die Zeugenaussagen begründete Zweifel bestehen, was eine Verurteilung ausschließt. Damit führen die Autoren einen Spannungszustand ständig •sich erneuernder Gegensätze vor, w&bei Argumente herangeholt, widerlegt, durch neue stichhältigere ersetzt werden, so daß sich zeigt, wie selten „Beweise“ durch Zeugenaussagen wirklich beweiskräftig sind. Ein packendes Lehrstück.

Bühnenwerke dieser handfesten Art, denen Tiefgang fehlt, können erfahrungsgemäß von jedem Ensemble recht gut wiedengegeben werden. Selbstverständlich gelingt dies im Theater in der Josefstadt unter der Regie von Hermann Kutscher vorzüglich. Leopold Rudolf als der zunächst einzige, stets ruhig argumentierende Zweifler und Kurt Heintel als sein heftig auffahrender Gegenspieler, aber auch alle anderen Darsteller — keine Frauen — zeichnen einprägsame Gestalten. Treffliches Bühnenbild von Wolfgang Müller-Karbach, ein über Eck gestellter, schlichter Raum.

Obwohl im Theater am Kärntner tor seit ein paar Jahren von Kleinbühnen gespielt wurde, mußten nun Umbauten vorgenommen werden, aber auch dann erlaubte die Baubehörde dem „Ensemble Theater am Kärntnertor“ erst nach einigen Wochen die Aufführung des fertig geprobten Stücks „Im Dickicht der Städte“ von Bertholt Brecht. Diese über 50 Jahre alte, in Chikago spielende Szenenreihe nimmt jene erschreckende Gefühlskalte vorweg, die heute die ungeheuerlichen täglichen Verbrechen möglich macht. These, die Brecht am Widereinander des malaiischen Holzhändlers Shlink und Gangas, des Angestellten einer Leihbibliothek, darzutun versucht: Nicht einmal Feindschaft erlöst von der Vereinzelung des Menschen im Dschungelder Städte. Trotz des ständigen Hin und Her bleibt man unberührt von diesen Gestalten, die weitgehend motivlos handeln. Doch bietet Regisseur Dieter Haspel im Verein mit dem Ausstatter Hans Hoffer eine beachtliche Inszenierung. Die Spielfläche zwischen zwei gegenüberliegenden Zuschauertribünen hat verschiedene Ebenen, es gibt viel Dunkel, die Spielenden werden nur partiell aufgehellt, schwarz Gekleidete mit steifen Hüten und weiß vermummten Gesichtem stehen mitunter wie Lemuren um sie herum. Ausgeglichene Leistung des Ensembles mit Axel Klingenberg als Shlink, Hagenot Elischka als Gargal

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung