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Kleinbühnen dominieren

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Gedränge an Premieren, sieben in einer Woche. Was bieten sie? — Im Theater in der Josefstadt werden unter dem Titel „Der gute Doktor' acht Szenen aufgeführt, die Amerikas routinierter Boulevardier Neil Simon nach Erzählungen von Anton Tschechow geschrieben hat. Die ersten Szenen bringen primitiven Klamauk. Sind wir in einem Bauerntheater? Was die weiters verwendeten Erzählunigen hergeben, ist für das Theater nicht tragfähig genug. Unter der Regie von Dietrich Haugk stellt Eugen Stark den „Erzähler“, es ist Tschechow, und zwei der Figuren glaubhaft dar. In einer Schlußszene vermag Ursula Schult zu ergreifen.

In den Kammerspielen? Das alte Motiv „alter Mann und junge Frau“ wird in der Komödie „Jane“ von S. M. Behrman nach einer Novelle von Somerset Maugham umgedreht in „alte Frau und junger Mann“, aber sonst nur aufgefüllt, einfallslos. Doch gibt es eine wirksame Hauptgestalt, die alte Jane und ihr prächtiges Mundwerk, unter der Regie von Kurt Nachmann von Louise Ullrich witzig dargestellt. Trotz Carola Höhn und Fritz Holt ist ansonsten der Fraß für Unterhaltungssüchtige dürftig.

Unvergleichlich qualitätsvoller, attraktiver ist das von zwei Kleinbühnen Gebotene. Das Ensemble Theater am Kärntnertor führt die szenische Umformung einer alten Vorlage vor. Obwohl bereits Dramatisierungen des Romans „Germinal“ von Emile Zola bestehen, haben Dieter Haspel, Suzanne Abbre-deris und Christine Bauer eine eigene geschaffen, wodurch die politischen Vorgänge, der Streik der im Elend lebenden, ausgebeuteten französischen Bergarbeiter anno 1885, dem kraß Realistischen enthoben werden. Dadurch entsteht eine neue Sicht auf das Werk. Unter der Regie von Dieter Haspel wird — Bühnengestaltung: Georg M. Resetschnig — auf einem erhöhten großen Podium mit drei kleinen Gruppen von Holz-fauteuils gespielt. Die Begebnisse setzt er vorwiegend in vorzüglich geleitete Bewegungsvorgänge um, die der Aufführung etwas von einem Ritual geben. Das Geschehen im Stollen, hinter einer die Bühne abschließenden Schleierwand chorisch und pantomimisch wiedergegeben, ent-

rückt die Darbietung vollends dem politisch Agitierenden, wie es gemäß Programmheft merkbar beabsichtigt war. Die Szenenfolge wird dem Tragischen nähergebracht. Sehenswerte Aufführung mit dem für Kleinbühnen erstaunlichen Einsatz von neunzehn Darstellern, darunter Axel Klingenberg glaubhaft als Organisator des Streiks.

Was Phantasie, sprühende Einfälle vermögen, das zeigt sich im Theater der Courage an einer Bearbeitung des Lustspiels „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ von Christian Dietrich Grabbe als Musical durch den jungen bundesdeutschen' Regisseur Helmut Polixa. Er schöpft die Vorgänge aus dem Stück, übernimmt das grundgescheit Scharf-züngige und durchsetzt es mit einer Fülle trefflicher Songs. Gespielt wird auch hier auf völlig leerer Bühne, ja, es gibt nicht einmal Kostüme. Und doch, welche Wirkung! Die Figuren werden wechselnd von verschiedenen Darstellern verkörpert, die Weiblichkeiten setzen Zylinder auf und sind Mannsbilder, eine schwarze Augenmaske macht jeden und jede vorübergehend zum Teufel, sie ballen sich für den Gesang zu optisch aparten Gruppen, lösen sich in rhythmischen Bewegungsvorgängen, werden mitunter Silhouetten. Alls das wirkt überaus präzise, packt Szene für Szene. Dies um so mehr, als die rhythmisch und melodisch ansprechende Musik des jungen Portugiesen Carlo Picardo, auf dem Klavier vom Komponisten exekutiert, das Gebotene noch steigert. Unter den Darstellern profilieren sich besonders Judith Estermann und Christoph Künzler.

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