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Antipoden des Theaters

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Unsere Hippies, die sich der Vagabundage ergeben, sind vielfach Söhne und Töchter vermögender Eltern. Sie widersetzen sich der Einordnung in den Wohlstand, ins Festgefügte, lehnen den Reichtum ab. Vagabondage anderer Art gibt es in Nestroys nach wie vor beliebtestem Stück „Lumpazivagabundus“, das derzeit im Burgtheater gespielt wird. Es beantwortet die entgegengesetzte Frage, ob drei vagabundierende Hallodris durch plötzlichen Reichtum gebessert werden können.

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Unsere Hippies, die sich der Vagabundage ergeben, sind vielfach Söhne und Töchter vermögender Eltern. Sie widersetzen sich der Einordnung in den Wohlstand, ins Festgefügte, lehnen den Reichtum ab. Vagabondage anderer Art gibt es in Nestroys nach wie vor beliebtestem Stück „Lumpazivagabundus“, das derzeit im Burgtheater gespielt wird. Es beantwortet die entgegengesetzte Frage, ob drei vagabundierende Hallodris durch plötzlichen Reichtum gebessert werden können.

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In einer früheren Fassung der Zauberposse unter anderem Titel, von der Gustav Manker vor zwölf Jahren vor allem den Schluß in den Text seiner Aufführung^ im Volkstheater einarbeitete, verfallen Zwirn und Knieriem wegen Unverbesserlichkeit unter allgemeinem Hallo der Hölle. In der neuen Einrichtung von Peter Weiser verbleibt es aber bei der ironischen Wendung der „Lum-pazi“-Fassung, wonach sich die beiden bessern. Aber nur durch Feenmacht, weshalb wir ihnen die Wandlung nicht glauben. Ironie kennzeichnet dadurch Anfang und Schluß der Posse. Axel von Ambesser überdreht das Ironische aber noch als Regisseur und erschlägt es damit. Emi Kniepert begünstigt dies in den Feenszenen mit Kostümen, die dem ältesten Fundus nachgebildet zu sein scheinen. Ansonsten versucht Ambesser diesmal nicht so sehr wie sonst, sich durch Gags gegenüber Nestroy vorzudrängen. Die Aufführung wird durch die großartige Leistung von Attila Hörbiger als Knieriem sehenswert: da ist das Einfältige voll Hintersinn, da hat die Verkommenheit Charme. Peter Weck als quicklebendiger Zwirn, Heinz Ehrenfreund als verliebter Leim ergänzen trefflich das Trio. Lois Egg ließ sich für die Dekorationen von der Altwiener Bühne anregen. *

Georges Feydeau, der vor dem Ersten Weltkrieg in Paris große Erfolge als Boulevardier hatte, wurde in den letzten beiden Jahrzehnten vor allem von französischen Dramatikern, die man als Avandtgardisten einstufte, besonders geschätzt, von Audiberti etwa, von Sälacrou. Auch Ionesco, der zwar erklärte, er finde Feydeau langweilig, bezeichnete ihn aber als großen Autor, als Vollnatur, als Theatertiger. Dabei bekunden diese Stücke, in denen die Samtportieren, der Plüsch und die Pleureu-sen einer versunkenen Zeit wiedererstehen, durch die besondere Rasanz der dauernd wechselnden Situationen einen vollen Gegensatz zur meist wenig handlungsbetonten Dramatik der neueren Autoren. Was interessiert Ionesco an Feydeau? Der Mechanismus um des Mechanismus willen. Von diesem Mechanismus unübertroffen präzise funktionierender Turbulenz an Verwechslungen und Mißverständnissen kann man sich nun auch im Akademtethoter bei dem in der Bundesrepublik bereits viel gespielten Schwank „Der Floh im Ohr“, in dem die Treue eines Versicherungsdirektors von seiner Gattin auf die Probe gestellt wird, voll überzeugen. Lachsalve folgt auf Lachsalve. Unter der beschwingten Regie von Jaroslav Dudek gibt Heinrich Schweiger der Doppelrolle des Versicherungsdirektors und eines Hoteldieners unaufdringlich anti-ethisches Profil. Blanche Aubry glaubt man als Gattin nicht die Un-erfahrenheit, Annemarie Düringer hat als ihre Freundin selbstsichere Eleganz. Ernst Anders und Hanns Obonya spielen mit Verve scharf um-rissene Schwankgestalten. Zbynek Koläf rückt die beiden Bühnenbilder In zeitlose Verspieltheit.

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Der Altar „Der Garten der Lüste“ von Hieronimus Bosch, ein Tripty-chon, stellt im umfangreichen Mittelteil eine quirlende Menge nackter Menschen dar, die sich vielerlei Lüsten ergeben. Diese Tafel hat Fernando Arrabal merkbar zu seinem Stück gleichen Titels angeregt, das Im Ateliertheater zu deutschsprachiger Erstaufführung gelangte. Welche Lüste stellt er dar? Liebe und Haß in den Beziehungen der Schauspielerin Lais zu ihrer Jugendfreundin Miharca, zu einem Mann namens Teloc, zu dem menschenähnlichen Tier Zenon pervertieren zu sado-masochistisch exaltierenden Entartungen des Machttriebs, die in Andeutungen — Küssen eines Schuhs, Pferdchenspielen — vorge-

führt werden. Dabei wechseln die Positionen zwischen den Personen ständig, nach wenigen Sätzen, das jeweilige Zu- und Gegeneinander wird sofort wieder verlassen, ändert nichts, erfährt keine Weiterentwicklung, was sich begibt, wirkt daher als Spiel. Aber als ein Spiel von Regungen und Trieben aus dem Inferno des Unbewußten. Die Gestalten sind nur Gefäße dieser Triebe. Was sich aus dem Unbewußten realisiert, wirkt wie das Wogen eines Traums, in dem sich die Gesichter dauernd ändern.

Zwischen Blasphemie und Glauben ringt Arrabal um Gott, das Einbeziehen des Tierischen in der Gestalt des Zenon widersetzt sich der hochmütigen Abgrenzung des Menschen von der übrigen Schöpfung. Zeigt Hieronymus Bosch im rechten Teil des Triptychons wie die Sünder peinvolle Höllenstrafen erleiden, so gibt es bei Arrabal fast eine Apotheose. Zenon wird durch Lais ganz zum Menschen, indem sie ihm — surrealistischer Zug — ihre Seele zu essen gibt. Sie vereinen sich in unperver-tierter Liebe, entschweben in einem Ei, dem Sinnbild neuen Anfangs. Das kommt optisch — allerdings in Abwandlung — von Bosch her. Gesamteindruck: Hier Ist Dimension, hier ist Dichtung.

Das besonders schwierig zu spielende Stück erlangt auf der kleinen Bühne unter der Regie von Peter Janisch eine wirksame szenische Umsetzung. Allerdings steht ihm in Inge Rosenberg als Lais eine Darstellerin von erstaunlichem Reichtum seelischer Facetten zur Verfügung, die den wechselnden Positionen immer wieder gerecht wird. Johanna Tomek als Miharca, Karl Dobravsky als Zenon, Heinz Payer als Teloc sind in Abstand zu nennen. Das Entschwinden im Ei läßt sich auf dieser Bühne allerdings nicht realisieren, doch gelang es Peter Jurkowitsch als Bühnenbildner auf wenigen Quadratmetern den Eindruck „Säulenraum“ zu erzielen. Kurt Klinger schuf die vorzügliche Übersetzung.

Im Theater Palais Erzherzog Karl bietet Herbert Lederer unter dem Titel „die b. b. ballade“ einen Rückblick auf Bertolt Brecht Er spricht 49 Gedichte, Stellen aus Stücken und Prosaschriften, in denen er merkbar die „erhabene Banalität“ demonstrativer Ichaussage und lehrhafter Anweisungen, wie man sich zur Welt einzustellen habe, bevorzugt. Gewollte Kälte spürt man überall, sie verdeckt Emotion. Hintergründigkeit fehlt. In gewohnter Art weiß Lederer seine „Produktion“ in schlichtem, diesfalls abstraktem Bühnenbild abwechslungsreich darzubieten.

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