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Wahlprognose
Die Sanduhr des Wahlkam- pfes ist im Auslaufen. Die letz- ten Körner rinnen durch die Enge. Bald ist das obere Glas leer.
Sehr viel außer Sand ist nie gewesen. Über Substanz wur- de wenig geredet. Die Verspre- chungen der Parteien hielten sich in Grenzen oder glichen einander allzu sehr, als daß Unterscheidung möglich ge- worden wäre. Die Spekulatio- nen der Journalisten aber be- trafen vor allem mögliche Koalitionsvarianten nach der Wahl.
Im Lauf der letzten Wochen hat sich die Wahrscheinlich- keit neuer Konstellationen drastisch verringert. Eine Fort- setzung der rot-schwarzen Koalition ist wieder Tip eins.
Vor kurzem noch schienen drastische Verluste der ÖVP nicht unmöglich. Wenn dann ein siegreicher FPÖ-Obmann der ÖVP mit dem Kanzlerpo- sten gewinkt hätte, wäre die Versuchung für sie groß gewor- den, die schwarz-blaue Koali- tion zu wagen.
In dem Augenblick aber, in dem Jörg Haider wissen ließ, daß ein solches Regierungs- bündnis nur unter einem Kanz- ler Haider für die FPÖ in Frage komme, war dieser Traum vorbei. So selbstmörderisch ist nicht einmal die ÖVP, um sich vor den Augen einer spöttisch zuschauenden Öffentlichkeit mit dem blauen Schal erwür- gen zu lassen.
Außerdem hat die ÖVP in der Wählergunst in den letzten Wochen tatsächlich überra- schend deutlich aufgeholt. Für einen Sieg wird es wohl nicht reichen, denn dafür war der Langzeitabstand während der gesamten Gesetzgebungsperio- de zu groß, und der Kanzler- vorteil wird am Wahltag trotz wachsenden Unbehagens auch noch wirksam werden. Aber ein Halten des gegenwärtigen knappen Abstands wird genü- gen, die Ausgangsposition der ÖVP für eine Neuauflage der großen Koalititon zu wahren.
Die Frage ist nur, ob und wie lange es unter Fortdauer der jüngsten Entwicklungen noch eine große Koalition sein wird, die Sozialisten und Volkspar- tei begründen können. Das Spottwort ist bekannt: „Wir bekommen eine kleine Koali- tion. Eine rot-schwarze."
Denn als höchstwahrschein- lich darf angenommen werden, daß beide Großparteien stark an die FPÖ verlieren werden. Eigentlich wären ja die Grü- nen das prädestinierte Protest- wähler-Auffangnetz. Aber die FPÖ, konkreter: ihr Obmann, agitiert einfach geschickter. Sie lenkt die Wasser des Zornes auf die blauen Mühlen.
Viele meinen, es werden vor allem ehemalige ÖVP-Stim- men sein. Die eigentliche Über- raschung des Wahltags könnte sein, daß auch sehr viele einsti- ge SPÖ-Sympathisanten bei Haider hängenbleiben.
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