6955911-1984_29_12.jpg
Digital In Arbeit

Wer versteht Gesetze?!

Werbung
Werbung
Werbung

Unsere politischen Parteien betreiben geistige Umweltverschmutrtyng

Zweifellos ist die Amtssprache das Haupthindernis für die vielgeforderte Bürgernähe. So hat eine Umfrage in der Bundesrepublik ergeben, daß 73 Prozent der Befragten das Amts- und Juristendeutsch als allgemein-unverständlich einstufen; ja in vielen Fällen wisse man überhaupt nicht, „was da eigentlich vorgeht". Ombudsmänner bestätigen, daß der überwiegende Teil der Hilfesuchenden nichts gegen Ämter und Beamte an sich habe, wohl aber, daß sich der Bürger „hinten und vorne nicht auskennt". Auch gegen dieses Grundübel, so meint man, wäre Konsumentenschutz am Platz.

Der ärgerniserregende Stil der Vollziehung hat wieder in der miserablen Qualität moderner Gesetzestexte seine Wurzeln. Nun ist es sicher richtig, daß sich die Sprache der Gesetze von der Alltagssprache unterscheiden, daß sie notwendigerweise starr, unanschaulich, farblos-durchsichtig sein muß und kein bequemes Ausbiegen und Entgegenkommen erlaubt. Das war aber schon immer so, und doch hat im alten Rom selbst der Bauer sein Recht verstanden und es handhaben können wie seinen Pflug. Vorbildlich aber auch unser Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch. Von klassischer Kürze, Klarheit und Einfachheit ist es wirklich bürgernah und selbst nach 170 Jahren immer noch verständlich.

Schauen wir uns dagegen moderne Gesetze an, etwa das ASVG oder die Steuergesetze. Obgleich das Sozial- und Abgabenrecht die empfindlichsten Interessen aller Bürger berührt, sind die Texte in einem so quälenden Deutsch gehalten, daß es eine Strafe ist, sie zu lesen und fast unmöglich, sie zu verstehen. Zwar sind auf den einschlägigen Formularen „Erläuterungen" angebracht, die aber wieder der Erläuterung bedürfen, und ohne fremde Hilfe, auch im sprachlichen Bereich, kommt praktisch keiner mehr zurecht.

Freilich, in der Theorie „ist man sich des rechten Weges wohl bewußt". So wurde in Wien eine Zentralstelle zur Durchforstung des Formularwesens eingerichtet, auch gibt es „legistische Richtlinien" des Bundeskanzleramtes, in denen gleich an erster Stelle gefordert wird: „Jedes überflüssige Wort ist zu vermeiden." Aber was geschieht in der Praxis?

Sind in den Ministerien keine geschulten Leute zur Hand, die sich in die Lage des Rechtsunterworfenen hineindenken können? Man zweifelt daran. Denn selbst bei Regierungsvorlagen steht die sprachliche Gestaltung der Gesetzestexte, die wieder auf Erlässe, Verordnungen und Bescheide abfärbt, an letzter Stelle. Nur ganz ausnahmsweise finden wir korrektes Deutsch, das dem modernen Sprachgefühl entspricht.

Zugegeben, auch eine optimal gestaltete Gesetzes- und Verwaltungssprache kann das Verstehen nur erleichtern, niemals aber so beschaffen sein, daß jeder Bürger — ohne Hilfe — alles versteht. So darf denn auch dem „Konsumenten" ein Mindestmaß an Verständnis, an Bildung und gutem Willen abverlangt werden.

Eine Reform der Rechts- und Verwaltungssprache würde den Zugang zum Recht zumindest erleichtern, die Behörden und Auskunftstellen entlasten und der Staatsverdrossenheit entgegenwirken. Die Sprache verbessern heißt aber überdies, die Gedanken verbessern. Den politischen Parteien, die sich um mehr Lebensqualität und echte Bürgernähe bemühen, böte sich hier eine schöne, wenn auch schwere Aufgabe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung