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Eine neue sozialistische Spaltung?
Das Schicksal Italiens wird sich ln den kommenden Monaten entscheiden, aber keineswegs in einem gewaltsamen Ablauf, sondern in der Logik der geschichtlichen Entwicklung. „Die Italiener sind niemals für etwas, sondern immer gegen etwas.” Daher haben sie niemals eine Revolution gemacht. Sie machten die Gegenreformation, obwohl es keine Reformation gegeben hatte; sie machten die Restauration, obwohl keine Revolution vorangegangen war. DC und PSI und die hybride Verbindung beider in der „linken Mitte” werden an ihrer Abnützung zugrunde gehen. Rechnet Vecchietti mit einer neuen Spaltung im PSI, vielleicht durch die Loslösung der Gruppe Lombardis? Der Sekretär des PSIUP weicht der Frage aus. Von Lombardi scheint er keine große Meinung zu haben, einer boshaften Bemerkung nach zu urteilen, die er einmal während einer Rede machte, daß nämlich Lombardi immer „mit Festigkeit nachgebe”. In Rom heißt es, Vecchietti fürchte nichts so sehr, als daß Lombardi, „der Schrecken der Mehrheiten”, tatsächlich aus der Nenni-Partei austreten und zum PSIUP stoßen könnte, der den zersetzenden Eigenschaften des konstitutionellen Fron- disten nicht widerstehen würde.
Das „Trojanische Pferd”
Tullio Vecchietti steht weiter links als die KP, weil er kompromißlos ist. Das hat ihm den Vorwurf eingebracht, daß er das Trojanische Pferd der chinesischen KP in Italien sei. Er leugnet es. Der PSIUP habe offiziell Stellung gegen die Chinesen bezogen, und aus drei Gründen: erstens ist die chinesische Analyse des westlichen Kapitalismus völlig überholt; sie geht auf das 19. Jahrhundert zurück, als man glaubte, daß Kapitalismus zur absoluten Verarmung der Arbeiterklasse führe. Zweitens wegen des fortdauernden Personenkults Stalins in China, ohne daß man aus den bloßgelegten Irrtümern des Stalinismus Lehren ziehen wolle. Drittens, weil sie glauben! daß der Sozialismus realisiert werden müsse, auch wenn das Risiko eines Atomkrieges besteht. Aber Vecchietti und der PSIUP sind auch gegen die Exkom- munizierung der Chinesen aus der kommunistischen Familie und möchte, daß die Kontraste wegdebattiert werden. Er leugnet, daß der PSIUP von den Chinesen finanziert werde. Ebensowenig wie von den Sowjets oder den Polen. Von wem also? Die organisatorische Tätigkeit der Proletarsozialisten ist überaus rege, das propagandistische Material sehr reichhaltig. Das kostet alles Geld, viel Geld. Doch die Frage ist gestellt worden, ohne Hoffnung auf eine Antwort. Italien ist ein merkwürdiges Land, wo niemals Geld für die Kriegsinvaliden und immer Geld für die politischen Parteien und Bewegungen vorhanden ist. Staatsbetriebe und private Interessenverbände subventionieren gleichzeitig Presseorgane der äußersten Rechten wie der extremen Linken, Parteien der Regierungsmehrheit wie der Opposition.
Die nächsten Wahlen werden dem PSIUP mindestens vier von Hundert der Gesamtwählerstimmen bringen, ist die feste Überzeugung seines Sekretärs. Das würde ein Drittel der sozialistischen Stimmen überhaupt bedeuten. Bei den Gemeindewahlen in Grosseto, Frosi- none, Reggio Calabria und Potenza, um nur die Provinzhauptstädte zu nennen, ist man bereits bei 3,5 Prozent der Gesamtstimmen angelangt. Das ist ein interessantes Ergebnis, denn es zeigt, daß Vecchietti nicht .allein Nenni Stimmen weggenommen hat, sondern auch Togliattl.
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