"Linkssein ist hipper"

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Warum die Linke mit Udo di Fabios Buch "Die Kultur der Freiheit" nichts anfangen kann.

Die österreichische Wahrnehmung des Buches von Udo di Fabio "Die Kultur der Freiheit" reduzierte sich bisher auf einen Artikel von Robert Misik in der Berliner taz. Der Wiederabdruck im Falter - früher einmal ein Medium für originäre Beiträge - ist sicherheitshalber nicht als solcher gekennzeichnet. Zweifel an der Kompetenz des Rezensenten werden von der nicht im Verdacht der Rechtsradikalität stehenden Süddeutschen Zeitung genährt: In seinem Buch "Genial dagegen. Kritisches Denken von Marx bis Michael Moore" gehe es Misik nie um die Sache, sondern um die "Geste der Distinktion: Linkssein ist einfach hipper".

Es gibt natürlich einiges zu kritisieren. So ist schon die Analyse des Richters am deutschen Bundesverfassungsgericht und Professors für öffentliches Recht an der Universität Bonn Udo di Fabio für "antikapitalistische" Kritik eine Provokation: Es sind die üblichen "Verdächtigen", wenn es um konservatives - das heißt langfristig verantwortliches - Denken geht: Die westlichen Gesellschaften leiden an wirtschaftlicher Stagnation, wohlfahrtsstaatlicher Überversorgung und mangelndem Gemeinsinn. Di Fabios depressive Sicht - die Menschen sind zu alt, bekommen keine Kinder mehr und haben den Glauben an die Zukunft verloren - scheint für die europäische Gesellschaft allerdings zu pessimistisch. Da ist er wohl Opfer der deutschen Diskussion geworden, die das Wehklagen auf hohem Wohlstandsniveau pflegt. Auch das Klagen über den Zerfall des Bürgertums, den Abbau von Traditionen und das Fehlen verbindender Werte wird in dieser Pauschalität nicht ohne Diskussion hingenommen werden können.

Bedrohte Freiheit

Di Fabio sieht die Freiheit des Westens jedenfalls mehrfach bedroht: die kulturellen Sinnquellen seien verschüttet, wir zu hoffnungslosen Individualisten verkommen, die nur mehr dem Lustprinzip frönten. Da er als konservativer Intellektueller eingestuft wird, fallen einige seiner Thesen sofort der "Political-Correctness-Keule" zum Opfer. Vor allem das selbstbewusste Besetzen von Begriffen wie Vaterlandsliebe und Patriotismus lässt man ihm nicht durchgehen. Die Nation ist längst im multikulturellen Postnationalismus aufgegangen. Die Debatte um die Leitkultur war da nur ein vorsichtiges Dagegenhalten, das man dann ohnehin schnell beendete. Dass di Fabio hier anknüpft und diese Diskussion neu entfacht, erfordert zumindest Mut.

Auch das Nachzeichnen des Traumes vom gesellschaftlichen Reichtum, der frei verfügbar sei und in seiner Realisierung zu einem staatlichen Verantwortungsimperialismus geführt habe, ist schlüssig nachvollziehbar. Er äußerte sich im politischen Wettlauf aller Parteien um den Ausbau des Wohlfahrtsstaates. Di Fabio verwundert daher nicht, dass Freiheit und Leistung als zwei konservative Leitbegriffe in den letzten Jahren in der politischen Diskussion zu kurz gekommen sind. Auch das Einfordern von mehr Eigenversorgung für eine wettbewerbsfähige Gesellschaft gehöre dazu. Allerdings bleibt er hier - wie bei vielen anderen aufgeworfenen Punkten - sehr an der Oberfläche und hält offensichtlich nichts von der Rezeption parallel oder schon Jahre zuvor geführter Diskussionen. Ansonsten hätte er gerade hier darauf eingehen müssen, dass im Zentrum einer freien Gesellschaft der Wettbewerb steht, der Macht begrenzt, Auswahlmöglichkeiten bietet und entscheidender Motor der Innovation ist. Gleichzeitig gehört als Last der Freiheit zur Eigenverantwortung wohl auch die Gefahr des Scheiterns. Dabei hat die Bereitschaft zu Freiheit und Eigenverantwortung wenig mit der gesellschaftlichen Stellung zu tun, was von linken Ideologen immer als Hauptargument gegen den Wettbewerb angeführt wird: ererbtes Vermögen und körperliche oder geistige Gaben spielten eine Rolle. Es ist einzig der Wille jedes einzelnen, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen.

Auch die zu führende Diskussion der Werte ist nicht mehr eindimensional und auf einen Wert festgelegt zu führen, wie es di Fabio immer wieder versucht. Es gilt wohl eher die richtige Balance zwischen Werten zu finden - wie etwa zwischen Freiheit und Sicherheit: Selbstverständlich hat der Bürger frei von der Willkür des Staates zu sein, gleichzeitig muss allerdings die neue Sicherheit auch ein Angebot gegen Existenzängste beinhalten.

Überschaubare Räume

Konservative Konzepte sind eher nationalstaatsorientiert, versuchen Traditionslinien mit Zukunftssträngen zu verknüpfen. Sie erfüllen damit für viele die Sehnsucht, überschaubare Räume zu schaffen, innerhalb derer die Welt in Ordnung ist oder zumindest in diese gebracht werden kann. Die Grenze zu alten nationalistischen Konzepten ist dabei oft fließend, weshalb als klare Distanzierung zu solchen Konzepten das Andenken eines supranationalen Überbaus nicht fehlen darf. Di Fabio hat auch hier Nachdenkbedarf. Er suggeriert dem abendländischen Menschen Schutz vor den Unbilden der Globalisierung. Demokratie im nationalstaatlichen Rahmen gelangt an ihre Grenzen. Hier wäre wohl ein Nachdenken über die Verbesserung nationalstaatlicher Politik notwendig gewesen. Eigentlich eine faszinierende Aufgabe für einen Staatsrechtslehrer und Soziologen, die er noch nachholen sollte.

Luhmann-Schüler Udo di Fabio muss sich natürlich auch mit dem gesamtgesellschaftlichen Zustand beschäftigen: Er denkt dabei über eine Kultur der Bürgerlichkeit nach, mit der er die gesellschaftliche Einheit wiederherzustellen hofft. Nun wissen wir freilich, dass die vorhandenen autonomen Funktionssysteme ihren eigenen Regeln gehorchen. Dies gilt für die Politik genauso wie für die Wirtschaft oder die Wissenschaft. Sie alle folgen ihrer je unterschiedlichen Systemlogik, was die Neubildung einer gesellschaftlichen Einheit wohl erheblich erschwert. Di Fabios Buch zeigt aber gerade, dass eine Beeinflussungsmöglichkeit der in sich schon getrennten Welten als durchaus gegeben angenommen werden kann.

Konservative als Reformer

Dass di Fabio im Zuwanderungsbereich das "amerikanische Modell" bemüht, ist angesichts laufender Diskussionen um den amerikanischen Kulturimperialismus wohl eher gewagt. Trotzdem ist ihm beizupflichten, dass Integration auch heißen muss, die eigene Kultur an Zuwanderer weiterzugeben und sie damit zu bereichern, genauso wie auch die Kulturen der Zuwanderer bereichern.

Eine offen bekundete und auch praktizierte Liebe zu Heimat und Vaterland, wie sie Udo di Fabio schildert, beinhaltet eine praktizierte pluralistische Demokratie auf der Grundlage einer ganz fraglosen Achtung von Bürger- und Menschenrechten. Damit wird der Verfassungspatriotismus zu einem wesentlichen Bestandteil eines konservativen Patriotismus. Bei einem Staatsrechtslehrer keine allzu unerwartete Sichtweise. Aber gerade hier zeigt sich doch, dass das Buch sehr Deutschland-spezifisch geschrieben ist.

Durch das ganze Buch zieht sich die Selbstverständlichkeit, mit der eine Systemänderung in allen Bereichen vertreten wird. Die Veränderungsdynamik konservativer Konzepte macht es daher immer schwerer, deren Verfasser als reaktionäre Systemverteidiger abzustempeln. Der wahre Konservative ist ein Reformer. Di Fabio stellt sich mit seinem Buch daher durchaus in die Reihe konservativer, "nach-denklicher" Autoren, die bei den rückwärtsgewandten Konzepten sozialdemokratischer Vordenker Unbehagen spüren. Dass er in vielem Suchender ist, macht das Buch nur sympathischer. Solange von anderen politischen Richtungen keine besseren Konzepte vorgelegt werden, wird man sich mit Udo di Fabio auseinandersetzen müssen. Allein das ist schon ein Zeichen dafür, dass Linkssein offensichtlich wirklich nur mehr hipp ist.

Der Autor ist Direktor der Politischen Akademie der övp.

Der deutsche Verfassungsrichter Udo di Fabio (Bild Mitte) war zuletzt im Zusammenhang mit den deutschen Bundestagswahlen in der Öffentlichkeit präsent: Als Berichterstatter im zuständigen Senat stellte er eine Schlüsselfigur im Verfahren um die vorzeitige Auflösung des Bundestags dar; mit seinem Urteil machte das Höchstgericht schließlich den Weg zu den vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder angestrebten und von Bundespräsident Horst Köhler befürworteten Neuwahlen am 18. September letzten Jahres frei. Di Fabio gilt als prononcierter Konservativer, mit seinem Buch "Die Kultur der Freiheit" (s. u.) hat er einen stark polarisierenden Beitrag zur Debatte um den Konservativismus vorgelegt.

Die Kultur der Freiheit. Von Udo di Fabio. Beck, München 2005. 295 S., e 19,90

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