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Zur Revision des ABGB

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Wir haben heute den Auftrag zu erfüllen, das Haus unseres Staates nach schweren Erschütterungen neu aufzubauen, und stehen damit zugleich vor der Notwendigkeit, unsere Rechtsordnung neu zu gestalten, damit auf diesem Fundament der Staat sein neues Leben voll entfalten kann.

Es liegt nun nahe, daß die Bestrebungen nach einer umfassenden Rechtserneuerung auch vor unserem ehrwürdigen ABGB nicht halt machen können. Es regen sich daher heute auch allenthalben Stimmen, welche für eine umfassende Revision des ABGB eintreten. In einer der letzten Nummern der „Furche“ *) nahm Doktor Kittl zu dieser Frage Stellung; er kam dabei zu dem Schlüsse, daß das ABGB „eine höchst konkrete, realste Ordnungsmacht und heute die einzige dauernde Ordnungsquelle“ sei, an welcher nicht gerührt werden dürfe, da sonst „ein Hauptbollwerk menschlidier, aus Ewigem schöpfender Ordnung“ für den Staatsbsreich dahin wäre.

Tatsächlich ist das ABGB das Herzstück unserer Gesetzgebung, die größte Geistestat der österreichischen Rechtsschöpfung, die wie kein anderes Gesetzeswerk die Rechtswissenschaft und Rechtspraxis Österreichs auf tiefste befruchtet hat. Kein anderes Gesetz ist daher auch den österreichischen Juristen so ans Herz gewachsen wie das ABGB und es ist deshalb begreiflich, wenn viele Anhänger dieses Meisterstücks der Gesetzgebungskunst bei dem Gedanken erschaudern, daß pietätlose Hände in verständnislosem Verbesserungseifer das einmalige Kunstwerk zerstören könnten. Wer aber dieses Gesetzbuch liebt und ihm eine möglichst tiefgreifende und langdauernde Wirkung wünscht, würde ihm aber einen schlechten Dienst erweisen, wenn er auch jene Bausteine des Gesetzesgebäudes nicht erneuern ließe, die im Laufe der Zeit zweifellos schadhaft geworden sind und dringend der Auswechslung bedürfen. Wesentliche Gebiete des bürgerlichen Rechtes, wie zum Beispiel das Miet-, Arbeitsund Eherecht haben in den letzten Jahrzehnten bereits außerhalb des ABGB ihre Sonderregelung gefunden, wodurch die einheitliche Systematik unseres Privatrechts völlig zerstört und die Gefahr heraufbeschworen wurde, daß im Laufe der Entwicklung an die Stelle des einst guten Gesetzes ein Haufen unzusammenhängender Sondergesetze trete. Bei einem ständigen Fortschreiten in dieser Richtung würde das ABGB Stück um Stück seine Geltung verlieren und allmählich ganz beiseite geschoben werden. Hiedurch würde jedoch gerade das Gegenteil dessen erreicht werden, was die pietätvollen Verehrer des Gesetzbuches bezwecken; anstatt, daß die Kraft des ABGB unverändert erhalten bliebe, würde es bald zur gänzlichen Bedeutungslosigkeit verurteilt sein.

Ist der Einwand, daß unsere Zeit für eine so grundlegende Reform arbeit nicht reif sei, stichhältig? Senatspräsident Doktor Klang hat in seinem letzten Vortrag in der Wiener Juristischen Gesellschaft überzeugend dargelegt, daß die Meinung, gute Gesetze könnten nur in einer politisch und wirtschaftlich völlig ruhigen Zeit entstehen, nicht zutrifft. Er verwies darauf, daß die römischen Digesten im belagerten Konstantinopel entstanden sind und daß die Vorarbeiten zum ABGB während des Siebenjährigen Krieges begonnen wurden, während seine Vollendung in dem Zeitraum zwischen den Schlachten von Aspern und Leipzig erfolgte, unmittelbar nach dem Staatsbankrott von 1811. Mit Recht hat Klang ferner darauf hingewiesen, daß ein längeres Zuwarten in der Frage der Revision des ABGB nichts anderes hieße, „als die Herrschaft der Gelegenheitsgesetzgebung ins Ungemessene zu verlängern und auf die Wiederherstellung eines einheitlichen Rechtssystems ein- für allemal zu verzichten“. Hiedurch würde sich aber unser Recht noch mehr vom ABGB entfernen und jene Entwicklung weitergefördert werden, deren Tendenzen jeder Anhänger unserer überlieferten alten Privatrechtsordnung schon längst aufs tiefste bedauert. Es ist ein Verkennen wahrhaft traditioneller Politik, zu glauben, daß diese unter allen Umständen in der Unterdrückung jeglicher Neuerung und in der Verhinderung einer organischen Weiterbildung des Staatslebens bestehen müsse. Erklärte doch selbst der konservative Friedrich von Gentz, daß „das System regelmäßiger Fortschritte mit dem System der Erhaltung nicht notwendig im Widerspruche stehen müsse“, und aus dem klassischen Land traditioneller Staatsentwicklung äußerte sich einmal der englische Außenminister Lord Pälmerston: „Ist es nicht besser, dem Unvermeidlichen entgegenzugehen und es zur rechten Zeit zu gewähren, als es sich durch eine Revolution aufzwingen zu lassen? Konservativ sein heißt: zu Reformen und Verbesserungen raten, wo die öffentliche Meinung sie als notwendig bezeichnet.“

Auch unserem Staatswesen kann heute nur durch eine zeitgerechte Reform der staatlichen Ordnung wirksam geholfen werden. Wir wissen aus der Geschichte unseres Landes nur zu gut, wie oft sich schon die Politik des „Fortwursteins“ als schädlich erwiesen hat. Jede Zeit ist reif für jene Aufgaben, die der historische Augenblick ihr stellt. Die Gegenwart aber verlangt heute nach einer klaren und übersichtlichen Systematik des Rechts und nach einem Bruch mit der in den letzten Jahrzehnten immer mehr um sich greifenden Methode einer vielfach überstürzten und zusammenhanglosen Gesetzesfabrikation. Die neuerliche Zusammenfassung des gesamten Privatrechts in einem einheitlichen Gesetzeswerk, welches das ganze bürgerliche Rechtsleben zumindest in seinen Grundzügen regelt, entspricht einer dringenden Forderung der Gegenwart. Was liegt nun näher, als diesen Neubau auf dem ehrwürdigen Fundament des ABGB zu errichten, damit dessen Geist befruchtend auf die Arbeit des Gesetzgebers einwirke und auch das neue Recht nichts anderes sei, als eine organisdie Weiterentwicklung aus der unschätzbaren Tradition des alten Gesetzes und der ihm innewohnenden naturrechtlichen Ideen. Dann wird auch unsere Rechtssprechung nicht mehr Gefahr laufen, bei erbärmlichen Paragraphen irgendeines abseitigen Sondergesetzes in kleinlicher Kasuistik zu versanden. Denn ein einheit'icher Geist wird die gesamte Rechtsordnung beherrschen; ein Geist, der seine Kraft aus der ewigen Idee des Naturrechts nimmt und seine wunderbare Elastizität und die fortschrittliche Aufgeschlossenheit der Gesinnung der kulturellen Blütezeit um die Wende des 18. Jahrhunderts verdankt.

Alle österreichischen Juristen von Rang und Namen, Martini wie Zeiller. Unger, Klein und Schey, sie alle wirken in der Tradition des ABGB noch heute fort. Sie sind zugleich ein Beweis dafür, daß Rechtserneuerung und Rechtsüberlieferung keine Gegensätze sind, daß sie vielmehr fruchtbar einander durchdringen und sich zu einer echten Synthese vereinen können. Wer daher die dem österreichischen Juristen der Gegenwart gestellte Aufgabe erfüllen will, der wird sich zu der Parole bekennen: „Schafft ein neues ABGB aus dem Geiste des alten!“

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