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Die richtige Selbstwertung

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Ein Problem, das bei diesen Betrachtungen auftaucht, besteht in der Selbstwertung des Menschen. Nach religiösen und ethischen Prinzipien soll er sich weder über- noch unterschätzen. Er soll nicht überheblich und auch nicht verzweifelt werden. Es ist nun eine Frage, was unter einer richtigen Selbsteinschätzung des Menschen verstanden wird. Auch hier kann es zu unheilvollen Verwirrungen kommen. Das Prinzip „sich selbst nicht wichtignehmen“ kann nur in der Beziehung Mensch-Mensch gelten, wobei also Zwischenfälle rein menschlicher Art nicht übertrieben werden sollen. Bei der Beziehung Gott-Mensch kann man sich hingegen gar nicht zu wichtig nehmen, es sei denn, daß man die Hybris hätte, von Gott die ungeteilte Aufmerksamkeit für die persönlichen Probleme zu fordern. Denn bei religiösen Entscheidungen und Handlungen geht es tatsächlich um alles und um nichts, es gibt hier keine Verwässerungen und keine „Relativität“, es herrscht das Absolute; der Mensch wird, wie schon gesagt wurde, ein ptolemäischer Pol, immer unvollständig in seinen Un-vollkommenheiten, doch jedenfalls ein endlicher Pol vor dem unendlichen Pol. Daher ist auch jede menschliche Einwirkung in Gewis-sensfragen, welche diese absolute Beziehung stören könnte, ganz entschieden ohne Kompromisse abzulehnen und zu bekämpfen. Die Beziehung Gottes zum einzelnen Menschen, wo immer sich dieser ?m Weltall befindet, ist derartig einmalig, daß eine unberufene Störung einen, wenn auch erfolglosen Versuch darstellen kann, direkt in Gottes Heilplan einzugreifen. Man kann also in dieser Hinsicht gar nicht genug „stur“ und „ptolemäisch-geozentrisch“, besser noch „theoanthropozentrisch“ sein. Dies ist bei den heutigen Gefahren seitens totalitärer Staaten besonders zu betonen.

Anderseits darf man auch nicht den Fehler der Kirche gegenüber Galilei wiederholen, bei rein exogenen Entwicklungsstadien prinzipielle Gewissensfragen aufzuwerfen, wodurch nur den Gegnern der Kirche ein Spekulationsterrain bezüglich deren angeblicher WUlkür überlassen wird und, wie es der Fall Galilei lehrt, die Kirche sich einer unnützen, nicht harmlosen Verteidigung gegen eine nicht bestehende Gefahr aussetzt. Hier wäre Sturheit nicht am Platz, und man muß schon die „Relativitätstheorie“ und ihre weiteren Entwicklungen vorherrschen lassen. Es hat sich bisher herausgestellt, daß die Religion durch die wissenschaftlichen Fortschritte absolut nicht gelitten hat und daß die Gefahr viel eher von der Unterschätzung Gottes und der Überschätzung des Menschen kommt. Eine der verbreitetsten Fehldeutungen besteht eben in der schon genannten „ptolemäischen“ Erfassung Gottes, der auf die menschliche Ebene heruntergezogen werden soll. Dieser Fehler ist um so krasser, da auch nach rein menschlichen Vorstellungen jener, der alles sieht, mehr sieht als jener, der nur einen Teil sieht, wie es einerseits bei Gott und anderseits beim Menschen der Fall ist. Katastrophen, welche als solche in der Teilvision erscheinen, mögen es in der Gesamtschau nicht sein und umgekehrt. Es ist ein fundamentaler „ptolemäischer“ Fehler des Menschen in seiner Beziehung zu Gott, die Gesamtschau Gottes über das Weltall nicht zu beachten. Der Mensch darf also in seiner Beziehung zu Gott nur den „ptolemäischen“ Pol darstellen, während Gott in seiner unendlichen Allmachtstellung „ultra Einstein“ in der menschlichen Vorstellung nicht beschränkt und nicht als ptolemäischer Gegenpol betrachtet werden soll. Der Mensch ist in seiner Unvollkommenheit „fixiert“, während Gott in seiner Allmacht „mobil“, wenn auch unveränderlich vollkommen ist.

Jedenfalls droht die Gefahr nicht auf wissenschaftlicher, sondern immer auf rein ethischer Ebene, also auf einem Terrain, das der Kirche durch Jahrhunderte bekannt ist. Daß bei solchen Anlässen die wissenschaftlichen Errungenschaften als Argument gegen die Religion ins Feld geführt werden, ist nur eine sekundäre Erscheinung, fundamental und primär geht es dabei um die alte Frage, ob man der Religion in dieser Welt den gebührenden Platz zuerkennt oder nicht.

Abschließend darf daran erinnert werden, daß unter den unendlichen Vollkommenheiten Gottes sich das absolute und höchste Wissen befindet; es wäre also vom theologischen Standpunkt unhaltbar, wenn man sich eher vor dem Fortschritt der Wissenschaft als vor den Folgen der Erbsünde fürchten würde.

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