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Im Menschsein liegt die Frage

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Kurt Tucholskys halb ironisch, halb neugierig-ernsthaft gemeinte Frage „Wer ist das eigentlich, Gott?“ dürfte ziemlich genau die Situation charakterisieren, in der wir uns heutzutage befinden, wenn von Gott die Rede ist; es ist die Situation des Fragens. Gefragt wird ja immer dann, wenn etwas einerseits nicht mehr so selbstverständlich ist, daß sich jedes Fragen danach überhaupt erübrigt, anderseits aber doch wiederum noch nicht so weit der Beliebigkeit anheimgefallen ist, daß sich das Fragen gar nicht mehr lohnen würde.

Dennoch steckt hinter unserem Fragen nach Gott weit mehr. Wir müssen nicht bloß deshalb nach Gott fragen, weil er uns keine selbstverständliche Angelegenheit mehr ist, sondern weil wir als Menschen überhaupt nach Gott fragen müssen. Damit erhält die Frage Tucholskys einen wesentlich anderen Akzent.

Es steht nicht im Belieben des Menschen, diese Frage zu stellen oder zu unterlassen, er sieht sich vielmehr immer schon vor sie gestellt, sofern er Mensch ist. Und dies deswegen, weil es in ihr zuletzt auch um ihn selbst geht, d. h. um die Frage einer unbedingten und letztgültigen Sinngebung seines eigenen Daseins.

Die menschliche Wirklichkeit ist eine durch Freiheit konstituierte. Was der Mensch ist, ist er nie schon unmittelbar, sondern er hat sich seine Wirklichkeit immer auch erst selbst zu geben. Menschsein bedeutet somit Selbstverwirklichung in Freiheit. Allerdings spielt sich die handelnde Daseinsführung des Menschen im Sinne seiner Selbstverwirklichung niemals sozusagen im „luftleeren Raum“ ab. Der Rahmen, innerhalb dessen sie vor sich geht, ist für ihn stets in bestimmter Weise abgesteckt: Es ist die Geschichte, in derdie Menschen ihre Erfahrungen machen, sie aussprechen und sie weitergeben.

Wenn es nun stimmt, daß das Fragen nach Gott untrennbar mit dem Menschsein verknüpft ist, so kann das von hier aus gesehen nur bedeuten, daß auch das Fragen nach Gott auf ein eigentümliches Interesse des Menschen verweist, dessen Sinngehalt sich nicht einfach auf die anderen menschlichen Sinnebenen reduzieren läßt. Was das Spezifische des menschlichen Fragens nach Gott ausmacht, ist dies: daß es auf eine unbedingte Sinngebung menschlichen Daseins zielt, die im Zuge der

Selbstverwirklichung des Menschen von seinen sonstigen Interessen her nicht zu leisten ist.

Ein unbedingter Sinn unseres Daseins ist weder von den Ansprüchen der Natur noch von denen der Gesellschaft und der politischen Verfassung, aber auch vom moralisch-gewissenhaften Handeln her nicht zu erbringen. Zuletzt sind es hier die Erfahrungen des Nicht-ganz-gut-sein- Könnens (Sündhaftigkeit bzw. Erbsünde), des nicht total und ein für allemal aufhebbaren Unsinns der Geschichte und des Sterbenmüssens, die dem Menschen die prinzipielle Grenze seiner freiheitlichen Selbstverwirklichung anzeigen und ihnsein Dasein nicht als uribedingt sinn- haft erfahren lassen. ■

Weil wir uns jedoch - wie wir es auch immer drehen und wenden mögen - dem Anspruch einer unbedingten Sinngebung unseres Lebens nicht entziehen können, sind wir darauf verwiesen, nach einer letzten Instanz zu fragen, von der her das Menschsein in seiner Sündhaftigkeit, seinem Scheitern in und an der Geschichte und seiner Todverfallenheit als unbedingt sinnhaft erfahren werden kann.

Wir sind also gehalten, nach Gott zu fragen, wenn die letzten und eigentlichen Fragen unserer Daseinsführung nicht ideologisch verschleiert werden sollen.

Der Anspruch unseres Fragens nach Gott ist So tatsächlich bescheidener, als man es zunächst vermuten würde. Denn es meint eigentlich nur, um mit Kant zu sprechen, das Postulieren einer transzendenten Instanz, ohne die unser Dasein nicht als unbedingt sinnhaft erfahren werden könnte. Nichts ist jedoch damit schon darüber gesagt, wie es sich mit dieser Instanz näherhin verhält und was wir von ihr in Wirklichkeit erwarten dürfen.

Eine letzte Sicherheit und Gewißheit von Gott vermag uns das bloße Fragen nach ihm nicht zu geben. Dazu bedarf es jener Erfahrung, die sich in unserem Glauben ausspricht, nämlich der Erfahrung der Offenbarung Gottes. Aber immerhin macht uns unser Fragen nach Gott deutlich, daß wir auf ihn hin offen sind, was schließlich die unabdingbare Voraussetzung dafür bildet, daß wir ihn in seiner Offenbarung verstehen können. Das Fragen nach Gott als ureigenste Möglichkeit des Menschseins kennzeichnet uns als „Hörer des Wortes“ (K. Rahner).

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