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Die Wahrheit macht frei

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DAS TROJANISCHE PFERD IN DER STADT GOTTES. Von Dietrich von Hildebrand. Aus dem Englischen übertragen von Josef Seifert. Verlag Josef Habbel, Regensburg, 1968, 315 Selten, Leinen, DM 24,80.

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DAS TROJANISCHE PFERD IN DER STADT GOTTES. Von Dietrich von Hildebrand. Aus dem Englischen übertragen von Josef Seifert. Verlag Josef Habbel, Regensburg, 1968, 315 Selten, Leinen, DM 24,80.

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Rudolf Augstein hat ein vor kurzem erschienenes Buch eine „zwischen zwei Buchdeckeln eingebundene Atombombe“ genannt. Sehr mit Recht. Die Atombombe ist in unserer Zeit der Ausdruck der größten Zerstörungskraft, die der menschliche Geist bisher zu entwickeln vermochte. Daher bietet sie sich von selbst als Symbol für die geheimnisvolle Potenz des menschlichen Geistes an, durch Freisetzen von Gedanken, die nicht der Wahrheit dienen, sondern explosiven Ressentiments oder verschiedenen anderen Strömungen Luft machen, ungeheure Zerstörungen auszulösen.

Heute tritt jedoch häufig an die Stelle offener Angriffe auf die Wahrheit eine ganz andere Erscheinung. Man versucht der unangenehmen Kampfsituation dadurch zu entgehen, daß ein Gegensatz von Wahrheit und Irrtum überhaupt geleugnet wird. Das „erlösende“ Schlagwort ist die Pluralität der Meinungen, das an die Stelle der Achtung einer echten Vielfalt der Meinungen in Freiheit tritt. Einst glaubten die Trojaner, der Kampf sei zu Ende. In einem Freudentaumel über den scheinbar beendeten Belagerungszustand holten sie, im Glauben, ihrer Stadt einen großen Dienst zu erweisen, somit in bester Absicht, aber in Unkenntnis der Folgen, genau das in ihre Stadt, was zu ihrer Zerstörung führen sollte. Ganz ähnlich werden heute jene Kräfte, die kurz vorher noch daran waren, die Kirche als Hort der Wahrheit offen zu bekämpfen — und es auch nach wie vor tun, wo sie es können —, von vielen, die zur Verteidigung und Verbreitung der Wahrheit berufen wären, bereitwilligst in den Innenraum der Kirche eingeholt. Als Folge setzt ein gigantisches Zerstörungswerk ein, dessen Auswirkungen wohl noch niemand abschätzen kann. Diese Situation veranlaßte Hildebrand zur Wahl des Bildes vom Trojanischen Pferd. Es ist ein alarmierendes Bild. Aber erst wenn man die Analysen der Vorgänge im einzelnen liest, wird offenbar, wie sehr das Bild auf die heutige Lage zutrifft. Der Einwand, die Kirche sei doch heute eine „offene“ und nicht eine belagerte Stadt, daher passe das Bild überhaupt nicht, verkennt die geistige Lage vollkommen. Gewiß ist die Kirche eine weit offene Stadt für alle, die aufrichtig nach Wahrheit suchen, offen für ehrliche Gespräche, für alle Menschen guten Willens. Kann sie aber offen sein für die mit dem Bestand der Wahrheit unvereinbaren Irrtümer unserer Zeit?

Diese Irrtümer nun deckt Hildebrand in diesem erregenden Buch rückhaltlos auf. Allein der Wahrheit verpflichtet, durchleuchtet er die geistige Landschaft unserer Zeit. Mit voller Klarheit sieht er die Fehler der Vergangenheit. Längst vor dem Zweiten Vatikanum war er gegen viele dieser Fehler selbst aufgetreten. Aber er sieht ebenso, wie heute auf diese Fehler oft mit neuen und schlimmeren reagiert wird, statt die Erneuerung in der Wahrheit zu suchen. Im ersten Kapitel deckt er den Gegensatz „Progressismus— Konservativismus“ als falsche Alternative auf (es ist bezeichnend, daß dieser Gegensatz etwa in Polen vom Kommunismus bewußt als Kampf mittel gegen die Kirche gebraucht wird). In den folgenden Kapiteln werden alle heute bedeutsamen geistigen Strömungen und Haltungen untersucht und mit der Wahrheit konfrontiert. Mit eindringlicher Klarheit zeigt Hildebrand etwa, daß die Wahrheit nicht in der Mitte zwischen falscher These und Antithese liegt, also nicht aus der Synthese zweier Irrtümer besteht, sondern etwas anderes ist.

Es ist unmöglich, in einer kurzen Besprechung auch nur die Fülle der Themen anzudeuten, geschweige denn ihre Behandlung angemessen zu würdigen. Gegenüber dem Symbol für die zerstörende Kraft, der Atombombe, fehlt es an einem angemessenen Bild für die aufbauende und befreiende Kraft der Wahrheit, die aus diesem Buch strahlt. Die Wahr heit ist nicht spektakulär. Dennoch ist sie eine Kraft, die die Welt bewegt. Das gegenüber der englischen Ausgabe um viele Ergänzungen, einen reichen Anmerkungsapparat mit zahlreichen Belegstellen aus den Konzilsdokumenten und um einen Anhang über „Teilhard de Chardins neue Religion“ bereicherte Buch hat zweifellos die Kraft in sich, die heutige geistige Welt zu bewegen und den Weg zu jener wahren Erneuerung zu öffnen, die vom Zweiten Vatikanum angestrebt und eingeleitet wurde. Wenn von den heute modernen Ideen und zeitbedingten Irrtümern längst nicht mehr die Rede sein wird, werden die philosophischen Einsichten, die dieses Buch tragen, immer noch Gültigkeit haben. Die Wahrheit ist die einzige sinnvolle Grundlage eines jeden echten Fortschritts, denn sie allein hat Bestand für die Zukunft. Nur die Wahrheit bringt auch die heute so ersehnte Freiheit.

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