Ein Papst, zwei Bischöfe und DER TOD IM AUGUST

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L ange vor seiner Wahl zum Papst hütete Angelo Giuseppe Roncalli als kostbaren Erinnerungsschatz eine Schatulle, darin lagen das weiße Käppchen von Pius X. und daneben das violette "seines" Bischofs Radini Tedeschi. So gegensätzlich die beiden Charaktere auch sein mochten, Roncalli hatte sie beide hochgeschätzt, ja geliebt: den fortschrittlichen Bischof als seinen wichtigsten Mentor und den konservativen Papst in bedingungsloser Loyalität und in Erinnerung an die seligen Tage der Priesterweihe und der ersten heiligen Messe am 11. August 1904 "am Grab des heiligen Petrus". Noch für den 80-jährigen Papst Johannes XXIII. ist jener Augenblick lebendig, als - bei der anschließenden Audienz - Pius X. "seine Hände auf mein Haupt legte, um mich und mein beginnendes Priesterleben zu segnen. Und jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert später, breite ich meine Hände über die Katholiken der ganzen Welt, und nicht nur über die Katholiken Ich habe ein gewaltiges Programm abzuwickeln, auf das die ganze Welt erwartungsvoll blickt".

Auch Pius X. glaubte, ein gewaltiges Programm bewältigen zu müssen: die Bewahrung der Kirche vor jeder Berührung mit der Moderne. Er tat alles, um die Kirche unbefleckt zu halten von allen vermuteten Irrtümern. Und so ließ er zu, dass seine engsten Mitarbeiter in diesem Sinn mit inquisitorischer Härte gegen alles Verdächtige vorgingen.

Tod im beginnenden Weltkrieg

Zehn Jahre nach Roncallis Priesterweihe - es ist August 1914 -liegen zwei Prälaten der katholischen Kirche im Sterben, während das Gebrüll des immer weiter um sich greifenden Krieges bis in die Sterbezimmer dringt: am 20. August stirbt Giuseppe Sarto, als Papst Pius X., und zwei Tage später - 57-jährig -Giacomo Radini Tedeschi, der Bischof von Bergamo, dessen treu ergebener Sekretär Don Angelo Roncalli zehn Jahre lang war. Während der Kriegsherr und Kaiser Franz Joseph I. die "Glück-und Segenswünsche der gesamten Wehrmacht" zur Vollendung seines 84. Geburtstages empfängt und huldvoll dafür dankt, bittet der Bischof mit seinem letzten Atemzug "um Frieden, Frieden ...". Und am Papst erfüllt sich seine eigene, bereits vor Jahren geäußerte Prophezeiung, "der drohende Krieg" werde sein Tod sein.

Giuseppe Sarto, von ganzem Herzen Seelsorger, wollte auf keinen Fall Papst werden. Dass er es dennoch wurde, "verdankt" er wahrscheinlich dem Einspruch des österreichischen Kaisers gegen den aussichtsreichsten Kandidaten Mariano Rampolla, dem liberalen und politisch wendigen Staatssekretär von Leo XIII., dessen Sympathie für Frankreich Österreich überhaupt nicht passte. Vermutlich hielten es die Kardinäle dann für opportun, statt eines politisch umstrittenen einen "religiösen" Papst zu wählen.

Der junge Roncalli hatte vermutlich einen bedrückenden Loyalitätskonflikt auszuhalten. Begonnen hat es damit, dass Pius X. 1904 die sogenannten Opera dei congressi, die Vereinigung aller katholischen sozialen Aktivitäten Italiens, auflöste. Ihr geistiger und geistlicher Kopf war der Professor für Kirchenrecht und Kurienprälat Graf Giacomo Maria Radini Tedeschi. Der Grund für die Auflösung fand sich in einem programmatischen Rundschreiben, in dem sich diese Bewegung -in gewissem Sinn eine Vorläuferin der Katholischen Aktion - als hundertprozentig "christlich-demokratisch" definierte.

Die Katholiken wurden darin aufgefordert, "zu handeln, Epochen und geschichtliche Ereignisse als Meilensteine eines Weges nach vorwärts zu betrachten." Diese Formulierung hält Roncalli nachdrücklich in seiner Biografie von Radini wörtlich fest. Als Trostpflaster wurde Radini zum Bischof von Bergamo berufen und vom Papst höchstpersönlich in der Sixtina geweiht. Für die Kurie war wichtig, so scheint es, dass Radini Tedeschi mit dieser Bischofsernennung von Rom möglichst weit entfernt wurde.

Unter dem Verdacht des Modernismus

Radini stand unter Verdacht des Modernismus. Und mit ihm sein Sekretär. Die zahlreichen sozialen und pastoralen Initiativen, wie sie die Zeit und sein Gewissen forderten, trugen dem Bischof schließlich sogar eine gestrenge Visitation ein. Durchaus möglich, dass dabei auch das Zimmer seines Sekretärs durchsucht worden ist, agierte doch mit Zustimmung des Papstes eine Art Geheimorganisation mit dem Namen Sodalitium Pianum, die Bischöfe, Theologen und Politiker nicht nur in Italien bespitzelte. Roncalli hält fest, dass Radini von der Sorge, ob der Papst nicht vielleicht doch an seiner Loyalität gezweifelt hat, noch auf dem Sterbebett gequält wurde.

Treu zur Seite stand Don Angelo seinem Bischof, als im Jahr 1909 die Textilarbeiter im benachbarten Ranica einen fünfzigtägigen Streik ausgerufen hatten und Monsignore Radini den Ausstand "nicht nur von der Kanzel", sondern auch finanziell großzügig unterstützte, "um Brot für die Arbeiter zu kaufen", wie Roncalli festgehalten hat, denn "das Evangelium und die Enzyklika 'Rerum novarum' waren stets gegenwärtig in seinem Sinn". Organisiert hatte den Streik eine katholische Aktionsgruppe mit dem Ziel, dass in den Betrieben eigene christliche Vereinigungen gebildet werden könnten.

Bischof Radini wurde natürlich beim Papst denunziert. Doch Pius X. hielt sich heraus und schrieb nach Bergamo: "Wir können die Maßnahmen, die Ihr für klug befunden habt, nicht missbilligen, da Ihr mit den örtlichen Gegebenheiten, den in Frage kommenden Personen und den Umständen voll vertraut gewesen seid." Roncalli hingegen lobt posthum seinen Bischof: "Wir ehren Monsignore Radini dafür, dass er es als seine Pflicht gespürt hat, dieses Zeichen zu setzen und dass er den Mut hatte, entsprechend zu handeln."

Radini Tedeschi hatte natürlich mit jenen Bischöfen beste Kontakte, die seine pastoralen und sozialen Anliegen teilten. Davon konnte auch Roncalli profitieren. Einmal besuchte er auf Empfehlung Radinis für einige Tage Geremia Bonomelli, den Bischof von Cremona, einen "alten Vulkan, der immer noch innen glüht". Bonomelli hatte bereits in den Anfängen der großen italienischen Auswanderungswellen eine Verpflichtung der Kirche darin gesehen, dass sie die Emigranten bei ihrer Suche nach besseren Lebensbedingungen in anderen Ländern Europas oder in Übersee unterstützt. Er gründete ein Hilfswerk, das noch heute besteht, die Opera d'assistenza degli emigranti , und rief die Katholiken auf, sich für die Menschen an den Rändern der Gesellschaft einzusetzen: "Wir haben aus den Tempeln und Kirchen hinauszugehen zu den Menschen, nicht zuletzt, um ihre Rechte einzumahnen."

Bonomelli zählte zu jenen italienischen Bischöfen, die eine zunehmende Erstarrung der Kirche unter Pius X. nicht hinnehmen wollten. Einige hatten sogar die Idee eines Konzils, das "frei und öffentlich die großen Probleme des religiösen Lebens diskutieren" sollte, es könnte "Wege für die Zukunft eröffnen".

Übrigens: Geremia Bonomelli ist ebenfalls im August 1914 gestorben; sein Geburtsort Nigoline am Lago d'Iseo hat daher das Jahr 2014 zum Anno Bonomelliano, zum "Bonomelli-Jahr", ausgerufen.

Man mag in dem Umstand, dass mit dem Beginn der Katastrophe des Ersten Weltkriegs drei so unterschiedlich profilierte Gestalten der italienischen Kirche innerhalb weniger Tage gestorben sind, nicht allzu viel Bedeutung sehen. Das Gedächtnisjahr ihres Todes ist dennoch ein guter Anlass, sich ihrer zu erinnern.

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