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Vor 40 Jahren hat der Bildhauer Giacomo Manzù mit der "Porta della Morte" Papst Johannes XXIII. ein berührendes Denkmal gesetzt.

Im Jahr 1954 feierte Kardinal Angelo Giuseppe Roncalli, der Patriarch von Venedig, im Kreise seiner Familie in Sotto il Monte, seinem Geburtsort nahe bei Bergamo, sein Goldenes Priesterjubiläum. Zwei Jahre davor erhält Giacomo Manzú, der Bildhauer aus Bergamo, von einer Jurykommission des Vatikans den Auftrag, die Türflügel der so genannten "Pforte des Todes" an der Kathedrale von Sankt Peter zum Thema "Der Triumph der Heiligen und Märtyrer der Kirche" in Bronze neu zu gestalten. Entscheidend dafür, dass das Tor - allerdings mit geänderter Thematik - tatsächlich fertiggestellt wurde, war aber die spätere Freundschaft zwischen dem Papst Johannes XXIII. und dem kommunistischen Künstler Giacomo Manzù.

Dass beide gemeinsame Wurzeln in Bergamo beziehungsweise in der unmittelbaren Umgebung der Provinzhauptstadt hatten, trug sicher zu dieser Freundschaft bei, ausschlaggebend dafür waren aber die Offenheit der Begegnung und große wechselseitige Wertschätzung. Später schrieb Giacomo Manzù: "Das, wo wir uns trafen, war die Liebe und die Sehnsucht nach einem geschwisterlichen Zusammenleben aller auf dieser Welt voll Krieg und Hass."

Manzù, das zwölfte von vierzehn Kindern eines Schusters und Mesners in der Unterstadt von Bergamo, gab sich den ersten Zeichenunterricht selber, als er - kaum zehn Jahre alt - 1918 beim Wüten der Spanischen Grippe Leichen in Kisten legen und auf den Friedhof karren helfen musste. Um diese Eindrücke zu verarbeiten, begann er zu zeichnen.

Auch die Kindheit Roncallis war von Armut, aber ebenso von der Geborgenheit einer im katholischen Glauben verankerten bäuerlichen Großfamilie geprägt. Nahtlos mündete diese Kindheit in den damals klassischen Ausbildungsweg zum Priestertum.

Die Wurzeln des Papstes

Schon für den 17-jährigen Angelo stand fest, er müsse ein Heiliger werden. Dieses Streben war damals in den Seminarien und in allen frömmigkeitsfördernden Kongregationen etc. gewissermaßen systemimmanent. Modelle dazu waren Viten der Heiligen, die es nachzuahmen galt. Am 16. Jänner 1903 notierte der 22-jährige Roncalli in seinem "Geistlichen Tagebuch" eine fundamentale Entdeckung: Die Nachahmung von Vorbildern "ist ein falsches System. Von der Tugend der Heiligen muss ich das Wesentliche (la sostanza) und nicht die Akzidentien übernehmen [...] Ich muss nicht die kümmerliche und dürre Reproduktion eines wenn auch noch so vollendeten Typs sein. Gott will, dass wir in Nachahmung der Heiligen den lebendigen Saft (il succo vitale) ihrer Tugend in uns aufnehmen und unseren besonderen Anlagen und Lebensumständen anpassen."

Hier ist im Keim grundgelegt, was Roncalli später als Papst unter aggiornamento verstehen wird: nicht Aufgabe oder Verdünnung der Substanz, sondern die Anpassung an Chancen und Herausforderungen einer geänderten Zeit.

Die wichtigsten Lehrjahre verdankte der junge Priester jenem Mann, dem er neun Jahre als Sekretär gedient hatte: Giacomo Radini-Tedeschi, Bischof von Bergamo von 1905 bis 1914. Bei ihm konnte Roncalli den succo vitale eines großen Vorbildes gewinnen: geradlinige Kirchenpolitik, Studium der heiligen Schrift, pastorale, liturgische und ökumenische Phantasie sowie engagierten Einsatz für Arbeiter und Arme.

Der Kommunist gilt ...

Während Roncalli in den dreißiger und vierziger Jahren seine kirchliche Karriereleiter über diplomatische Dienste in Sofia, Istanbul und Paris mit der ihm eigenen Gelassenheit emporsteigt, schließt sich der junge Manzù in Mailand der künstlerischen und literarischen Avantgarde Italiens an. 1934 erlebt er in Rom den öffentlichen Auftritt von Kardinälen und beginnt die große Serie seiner eindrucksvollen und teilweise erschreckend verschlossenen Kardinalsskulpturen. Politisch steht er wie viele seiner Künstlerkollegen links. 1939 protestiert er mit acht großen Reliefs gegen die laue Haltung der römischen Kirche gegenüber Faschismus und Nationalsozialismus. Er tut dies mit den großen Motiven des Leidens Christi, der Kreuzigung, der Kreuzabnahme, der Pietá. Der nackte Christus verschmilzt mit der Gestalt eines aufgehängten Partisanen. Römische Soldaten werden zu NS-Schergen - und Prälaten schauen teilnahmslos zu: "Cristo nella nostra umanitá" - "Christus in unserer Menschlichkeit" - nannte er doppeldeutig eines dieser Reliefs. Die kirchliche Hierarchie fühlte sich verspottet, vor allem, als die Reliefs 1947 noch einmal gezeigt wurden. Von Blasphemie war die Rede und von "moralisch entartet", gerade als sich Manzù am Wettbewerb um den Auftrag der zu erneuernden Flügel der "Porta della morte" beteiligte.

... als "moralisch entartet"

Damals lernte Manzù den Priester Giuseppe de Luca kennen, einen kunstsinnigen Intellektuellen, der Kunst etwas differenzierter zu sehen imstande war. Durch De Lucas Vermittlung legte sich die kirchliche Aufregung etwas, er hatte sogar ein Zusammentreffen mit Papst Pius XII. arrangiert, bei dem Manzù unter anderem Christi Nacktheit als Zeichen der Armut erläutern wollte, aber der Papst belehrte ihn, was die Aufgabe eines katholischen Künstlers sei, nämlich Liebe und Ehrfurcht zu erwecken für den Glauben, und riet, bei "solchen Themen" geistlichen Rat zu suchen. Nach eigener Erinnerung Manzùs endete die Audienz mit der Erkenntnis: "Ich gehöre nicht zu diesem Papst in seinem Palast und ebenso wenig in seine Kirche."

Mit Giuseppe de Luca aber begann eine Freundschaft, die bis zu dessen Tod 1962 dauern wird. De Luca gehörte zu einem Kreis von Künstlern, Politikern und Schriftstellern, denen eine Erneuerung Italiens im christlichen Geiste nach Faschismus und Krieg am Herzen lag; eine ihrer Zeitschriften hieß demnach auch "Rinascimento", also Wiedergeburt. Anlässlich der Biennale 1956, bei der Manzù ein eigener Raum gewidmet war, machte De Luca den Patriarchen mit dem Künstler bekannt. Schon in Venedig war er für Kardinal Roncalli ein wichtiger Freund und Berater und ist dies auch für den späteren Papst geblieben.

Gemeinsam gegen Gewalt

1952 entschloss sich die kuriale Kommission trotz schwerwiegender Vorbehalte, den Auftrag zu dem Portal an Manzù zu vergeben. Aber das Thema - "Trionfo dei Santi e dei Martiri della Chiesa" - war für Manzù so gut wie undurchführbar, seine Entwürfe blieben blass, langweilig. Manzù hatte jede Lust verloren, sodass zwölf Jahre lang nichts geschah.

Dann kam die Zeit, in der Papst Johannes in mehreren Treffen Manzù für eine Porträtbüste Modell saß, als - angestoßen durch die Kubakrise - Johannes XXIII. die Enzyklika "Pacem in terris" in Angriff nahm. Wenn man den succo vitale dieser Enzyklika spürt, weiß man, dass sie eine prophetische Schrift ist und auch heute noch zur täglichen Lektüre eines jeden Politikers werden sollte, der sich auf christliche Wurzeln beruft - und darüber hinaus jedes gesellschaftlich interessierten Menschen "guten Willens".

In den Gesprächen zwischen Papst und Künstler kam die Rede auch auf die unvollendete Pforte. Manzù spürte, dass die Leiden der Menschen und das Mitleiden Gottes in der Person seines Sohnes viel eher ein Thema waren als der bestellte Triumphalismus. Erst jetzt, nach einer Intervention des Papstes und von diesem eindringlich ermutigt, konnte er nach seinem künstlerischen und religiösen Gewissen das endgültige Bildprogramm schaffen: seinen expressiven Protest gegen alle zerstörerischen Formen von Gewalt und Tod. Aber noch einmal änderte er das Konzept eines Relieffeldes: am 3. Juni 1963, dem Todestag von Papst Johannes XXIII. In ihm stellt er den Papst im Gebet versunken dar - vor dem gehenkten Partisanen. Und als Papst des Konzils verewigt er ihn auf dem Innenfries der Torflügel.

Am 28. Juni 1964 wurde die "Porta della morte" feierlich von Papst Paul VI. eröffnet. Sie gibt Zeugnis von der religiösen Sensibilität eines als atheistisch verschrieenen Künstlers und von einem großen Papst, dem die skeptische Politologin Hannah Arendt nach der Lektüre seines "Geistlichen Tagebuches" respektvoll nachsagte: "Sein Glaube war: Dein Wille geschehe!"

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