"Scherben aufgekehrt und zusammengekittet"

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Günter Schmidt, langjähriger ORF-Korrespondent in Brüssel, vergleicht die zwei österreichischen EU-Präsidentschaften 1998 und 2006 und lobt den "EU-Senior" Schüssel.

Die Furche: Herr Schmidt, wenn Sie die gerade abgelaufene österreichische eu-Präsidentschaft mit unserer ersten im Jahr 1998 vergleichen - was ist dieses Mal anders, besser, schlechter gelaufen?

Günter Schmidt: Im Vergleich zu unserer ersten eu-Ratspräsidentschaft ist Österreich dieses Mal viel realistischer an die Arbeit herangegangen - das hat sich schon im Vorfeld der Präsidentschaft daran gezeigt, dass man dieses Mal nicht den falschen Glauben wecken wollte, was man als eu-Präsident nicht alles an Großartigem leisten könne.

Die Furche: 1998 hat man zu große Erwartungen geweckt?

Schmidt: 1998 waren wir ja erst kurz dabei und man wollte es sich selbst und den anderen zeigen. Und die Österreicher sind ja auch einige Themen ambitioniert angegangen, aber im letzten Moment haben wir dann oft zurückgesteckt. Damals hat es auf unserer Seite auch zu wenig Geduld und letztlich zu wenig Verhandlungsgeschick gegeben. Deswegen gab es nach dieser ersten österreichischen Präsidentschaft die berechtigte Kritik, dass in einzelnen Punkten, Stichwort Transit, noch mehr möglich gewesen wäre.

Die Furche: Konnten wir dieses Mal das, was möglich war, erreichen?

Schmidt: Dieses Mal ist Österreich an den Themen dran geblieben und wir haben im Rahmen der Möglichkeiten, die wir gehabt haben, das Beste herausgeholt und keine Chance verpasst, wo eine Einigung möglich war. So ist es doch noch zu einer Verständigung bei der Dienstleistungsrichtlinie oder beim Budget gekommen - man hätte das ja auch bis zur finnischen Präsidentschaft verschieben können, aber die österreichischen Verhandler haben gesehen, es könnte gehen, und es ist gegangen.

Die Furche: Wem geben Sie die größten Lorbeeren für diese Erfolge?

Schmidt: Zweifellos hat die enorme Erfahrung, die Schüssel mittlerweile hat, eine große Rolle gespielt. Schüssel war ja schon seinerzeit als Wirtschaftsminister an den ewr-Verhandlungen beteiligt und ist heute sicher einer der erfahrensten eu-Politiker, auch was Taktik betrifft. Auf europäischer Ebene kann man Schüssel heute mit Fug und Recht einen "senior politician" nennen.

Die Furche: War diese Präsidentschaft somit eine "One-Man-Show"?

Schmidt: Nein, die Abstimmung zwischen Bundeskanzleramt und Außenministerium hat dieses Mal sehr gut gepasst - besser als 1998, aber damals waren ja auch nicht beide Stellen parteipolitisch in einer Hand. Dazu kommt, dass sich die Österreicher in der eu, angefangen bei Botschafter Gregor Woschnagg, große europäische Routine und Ansehen erarbeitet haben. Man muss ja nicht nur gut sein, die anderen müssen das ja auch akzeptieren, um sich auf einen zu verlassen.

Die Furche: Meinen Sie, diese Präsidentschaft hat die eu-Stimmung der Österreicher beeinflusst?

Schmidt: Glaub' ich nicht, dass diese Präsidentschaft etwas bewirken konnte - die Österreicher wollen nichts von der eu wissen und sie verstehen es eh nicht.

Marc Sondermann, Geschäftsführer des unter anderem in Mailand ansässigen internationalen Europa-Journals "europolitan", zur österreichischen EU-Präsidentschaft "à la Hofburg".

Die Furche: Herr Sondermann, ist Ihnen ein Bild, eine Szene der österreichischen eu-Ratspräsidentschaft besonders in Erinnerung geblieben?

Marc Sondermann: Politisch war die österreichische Ratspräsidentschaft das, was architektonisch die Wiener Hofburg ist: eine sehr gelungene Repräsentation.

Die Furche: Das heißt, viel Inszenierung und wenig Inhalt?

Sondermann: Nicht so negativ: Es wurden sehr große Gipfel veranstaltet, bei denen die konkreten Ergebnisse nicht herausragend waren, bei denen ich aber gleichzeitig die atmosphärischen Fortschritte als nicht gering erachte.

Die Furche: Zum Beispiel der Versuch, den transatlantischen Graben mit dem Bush-Besuch in Wien wieder ein wenig kleiner zu machen?

Sondermann: Wobei die eu-Dimension dieses Treffens oder des eu-Lateinamerika-Gipfels für meine Begriffe zu kurz gekommen ist. In der medialen Aufbereitung hat es vielfach so ausgesehen, als würden Bush und zuvor ein paar Lateinamerikaner vor allem das schöne Wien besuchen - dass die eu dabei eine zentrale Rolle spielte, ist fast untergegangen.

Die Furche: Wenn Sie die vorhergehende eu-Vorsitzführung Großbritanniens mit der österreichischen vergleichen - was war anders?

Sondermann: Die österreichische Präsidentschaft war viel konsensorientierter und weniger konfliktbeladen. Die Österreicher haben eher versucht die Scherben aufzukehren und wieder zusammenzukitten, die von den Briten hinterlassen wurden.

Die Furche: Da hat Österreich aber doch wohl auch das Glück gehabt, die eu-Präsidentschaft zu einem besseren Zeitpunkt zu übernehmen.

Sondermann: Das spielt auch eine Rolle, denn der stimmungsmäßige Tiefpunkt war nach dem letzten Jahreswechsel gerade vorbei. Für mich war der Finanzgipfel im Frühjahr ein wichtiger Wendepunkt auf europäischer Ebene: Mit ihren Zugeständnissen zum eu-Budget konnte Angela Merkel eine neue Offensive einläuten, und Wolfgang Schüssel hat es sehr gut verstanden, diese Initiative zu nützen und sowohl eine inhaltliche als auch eine atmosphärische Erholung voranzutreiben.

Die Furche: Tut sich dafür ein kleines eu-Land generell leichter?

Sondermann: Konsensorientierung und die Fähigkeit und der Wille, die eigenen Eitelkeiten hintanzustellen, sind sicher von entscheidender Bedeutung - die Erfolge, die man damit schlussendlich erreicht, kann man an dieser österreichischen eu-Präsidentschaft sehr gut sehen.

Die Furche: Trotz allem: wirklich neuen Schwung in die eu-Verfassungsdebatte haben aber auch die Österreicher nicht bringen können.

Sondermann: Es war richtig, dass von österreichischer Seite in dieser Frage so behutsam wie nur möglich vorgegangen wurde - im Moment wäre mit großer Rhetorik und vollmundigen Ankündigungen mehr Schaden als Nutzen angerichtet worden.

Die Gespräche führte Wolfgang Machreich.

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