Eine „nahezu surreale Küsschen- und vergib-Begegnung zweier Kardinäle“ nannte der US-amerikanische Kirchenkenner John L. Allen im National Catholic Reporter den Auftritt von Christian Schönborn und Angelo Sodano im Vatikan am 28. Juni. Zuerst hatte Papst Benedikt mit dem Wiener Erzbischof über Österreichs Kirche parliert, dann die von Sodano verlangte „Klarstellung“ getroffen – nur der Papst darf einen Kardinal kritisieren – und schließlich den „Sünder“ wieder aufgerichtet.
Das ist ziemlich starker Tobak für die Kirche und auch für die Welt, in der wir leben. Sodanos Argumentation soll gelautet haben:
Schönborns Kritik an der Untätigkeit des Vatikans im Fall Groer habe Papst Johannes Paul II. getroffen (was stimmt) und damit die Kirche selbst (was falsch ist, denn kein Papst ist „die Kirche“). Das alles ist schwer verdaulich.
Auch ein Kardinal muss über allem seinem Gewissen folgen. Schönborn hat den Papst lang in der Causa Groer gedeckt, jetzt mitten im Missbrauchsdrama aber die Wahrheit gesagt – ohnehin sehr vornehm, denn er hat sich keiner parlamentsüblichen Schimpfvokabel bedient. Wenn man aber über den in vielen Belangen unbestritten verdienten Johannes Paul nur Lobeshymnen singen darf, um die Dalli-dalli-Seligsprechung nicht zu stören, dann spricht das Bände über die weltfremden Prioritäten der Kirchenleitung!
Papst Benedikt, das wird immer deutlicher, durfte unter seinem Vorgänger nicht Ordnung schaffen. Jetzt muss er auf Druck der Bremser in der Kurie von seinem Verbündeten beim Ordnung-Schaffen, dem Wiener Kardinal, vermutlich gegen die eigene Überzeugung eine „Missverständnis“-Entschuldigung erzwingen. Ein solches System liefert auch der säkularen Welt ein schlechtes Beispiel. Deshalb kommt John Allen zu dem (mit anderen Fällen belegten) Schluss: So verspielt die Kirche ihren Einfluss auf die Politik, die sie zur Wahrheit bekehren möchte!
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