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Säulen der Verwaltung

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Die Bezirkshauptmannschaften in ihrer heutigen Form gehen im großen und ganzen auf die Dezemberverfassung des Jahres 1867 zurück. (Also deswegen sind sie „Relikte des Feudalismus”.) Aber trotz ihres Alters — unser Bürgerliches Gesetzbuch ist noch älter — haben sie sich bewährt. Wie schnell haben doch nach dem Chaos des Zusammenbruchs im Jahre 1945 die Bezirkshauptmannschaften wieder funktioniert! (Es verdient am Rande vermerkt zu werden, daß in diesen Tagen in Niederösterreich die damaligen provisorischen Landeshauptleute Figl und Helmer mit russischen Kommandanten unterwegs waren, um von Stadt zu Stadt die Bezirkshauptleute einzusetzen.)

Es besteht kein Zweifel: die Bezirkshauptmannschaften sind zu Säulen unserer Verwaltung geworden.

Was will man nun durch die sogenannte Demokratisierung, wie sie von manchen Politikern angestrebt wird, wirklich erreichen?

Sehen wir einmal von Niederösterreich ab, wo die Sozialisten damit rechnen, daß sie ein paar der 21 Bezirkshauptmannschaften mit Leuten ihres Couleurs besetzen könnten. Man kann auch noch nicht sagen, wie diese Frage durch den Entwurf des Innenministeriums beantwortet werden wird. Jedenfalls ist sie für den Verwaltungsjuristen viel problematischer als für den Politiker.

In Land und Gemeinde besteht ein durch die Verfassung geschaffener autonomer Kompetenzbereich. Der Bezirkshauptmann hat dagegen keinen eigenen Wirkungsbereich, sondern vollzieht Bundes- und Landesgesetze. Besteht überhaupt die Möglichkeit und ist es zweckmäßig, zwischen Land und Gemeinden einen eigenen Selbstverwaltungkörper einzubauen? Oder geht es nur um die Wahl der Bezirkshauptleute, die im Hinblick auf ihre Kompetenzen (kein autonomer Wirkungsbereich, weisungsgebunden) doch sehr problematisch wäre.

Eine weitere Frage: Können für das Amt des Bezirkshauptmannes nur Juristen mit Verwaltungspraxis oder auch Politiker ohne entsprechende Vorbildung kandidieren? Dem Politiker, der ja — sein ehemaliger Beruf als Parteisekretär, Arbeiter, Bauer oder Angestellter in Ehren — von der Vollziehung der Gesetze wenig Ahnung haben dürfte, müßte vermutlich ein juristisch geschulter Amtsdirektor (ein Posten für die jetzigen Bezirkshauptleute?) zur Seite gestellt werden.

Auch „Bezirksparlamente”?

Dem Vernehmen nach soll außer der Wahl der Bezirkshauptleute auch die Errichtung eines Bezirksrates geplant sein. Weisungsgebundene Agenden können freilich niemals einem Mehrheitsbeschluß unterzogen werden. Ohne autonomen Geschäftsbereich wäre aber ein „Bezirksparlament” illusorisch. Im Schulwesen und im Fürsorgewesen — hier gab es bis 1938 Bezirksfür sorgeverbände; die Verfassungsfrage ist zur Zeit immer noch nicht geklärt — könnte man unter Umständen einen eigenen Wirkungsbereich für diese neue Körperschaft konstruieren.

Schon bei diesen kurzen Über legungen fragt man sich: Wäre die sogenannte Demokratisierung der Bezirksverwaltung heute zweckmäßig — oder müßte das Land nur noch für mehr Bezüge, Diäten und Pensionen aufkommen, nur noch mehr Schreibtische, Sekretärinnen und Dienstautos erhalten?

Ein schwieriger Aufgabenbereich

Aber geht es hier nicht um viel entscheidendere Dinge als um den finanziellen Mehraufwand? Diesen könnte man vielleicht verschmerzen, wenn die Änderung eine noch bessere Verwaltung, eine noch schnellere und gerechtere Erledigung der Akten mit sich bringen könnte.

Man braucht sich nur einmal den so schwierigen und umfangreichen Aufgabenbereich eines Bezirkshauptmannes vor Augen führen, um ein einigermaßen objektives Urteil fällen zu können. Der Bezirkshauptmann, ein monokratisches Organ, hat in unterer Instanz für die Vollziehung fast sämtlicher Landesgesetze und eines großen Teils der Bundesgesetze — hier im übertragenen Wirkungsbereich — Sorge zu tragen. Die Bezirkshauptmannschaft ist es, die fast in allen Lebensbereichen des „kleinen Mannes” immer wieder eingreift.

Es seien hier nur einige der wichtigsten Agenden angeführt: Die Bezirkshauptmannschaft erteilt Gewerbeberechtigungen; sie stellt Reisepässe aus; die regelt Kulturangelegenheiten, erteilt Genehmigungen für Betriebsgründungen und für Rodungen, und sie greift in Ausführung des Verwaltungsstrafgesetzes immer wieder in die Rechtssphäre der Bürger ein. Ihr unterstellt sind auch die Lebensmittelpolizei, die Jugendfürsorge und die Mütterberatung Sie ist die erste Berufungsinstanz für das Bauwesen; sie gibt Waffenscheine und Sprengbewilligungen aus, und sie hat ein Aufsichtsrecht über die Vereine.

Am Schalthebel

Alle diese Agenden — die Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig — werden unter der Verantwortung und obersten Aufsicht des Bezirkshauptmannes geführt. Er ist übrigens auch erster Chef der Gendarmerie im Bezirk. Ob und wie die Sicherheitsorgane in außergewöhnlichen Fällen eingesetzt werden, bleibt in vielen Fällen der Verantwortung des Bezirkshauptmannes überlassen.

Wäre es wirklich von Vorteil, wenn ein Politiker am Schalthebel der heute oft sehr komplizierten

Verwaltung säße, die manchmal entscheidend in das Leben der einzelnen wie auch der Gemeinden eingreift? Würde er sich manchmal — etwa in Ermessenssachen — nicht von (partei-) politischen Aspekten leiten lassen? Noch eines: Würden im Wege der Demokratisierung nicht die Parteisekretariate ihren Einflußbereich auch auf die Bezirkshauptmannschaften ausdehnen? Ein gewählter Bezirkshauptmann — wir sehen das bei den gesetzlichen Körperschaften — müßte schließlich bei seinen Maßnahmen immer wieder darauf Bedacht nehmen, ob und wieweit sie ihm für die nächsten Wahlen nützlich sein können.

Die Stadt mit eigenem Statut

Man könnte einwenden, daß in Städten mit eigenem Statut ja auch Politiker, nämlich die gewählten Bürgermeister, die politische Bezirksverwaltung in erster Instanz innehaben. Sicher. Aber erfahrungsgemäß beschäftigt sich der Bürgermeister in erster Linie mit den Angelegenheiten der autonomen Gemeindeverwaltung, während er die BH-Angelegenheiten fast ausschließlich dem Magistratsdirektor überläßt. Dann ist hier noch ein wesentlicher Unterschied zum Bezirkshauptmann, der nicht übersehen werden darf: Der Bürgermeister einer Statutarstadt hat die politische Verwaltung nur für seine Gemeinde zu führen, der Bezirkshauptmann dagegen für eine Vielzahl — so umfaßt zum Beispiel der Bezirk Sankt Pölten 74 Gemeinden. Die Gefahr einer „Verpolitisierung” der Bezirksverwaltung ist also in der Statutarstadt viel kleiner.

Sicherung des Rechtsstaates

Ein essentieller Bestandteil des rechtsstaatlichen Prinzips ist die Möglichkeit der Kontrolle und Überprüfung der Verwaltung auf ihre Gesetzmäßigkeit. Ist diese Überwachungsmöglichkeit bei den heutigen Bezirkshauptmannschaften gegeben? .

Man kann wohl mit Recht behaupten, daß Österreichs gesetzliche Einrichtungen auf diesem Gebiet vorbildlich sind. Die Überwachung der gesetzmäßigen Tätigkeit des Bezirkshauptmannes ist durch den Instanzenweg, aber auch durch die Möglichkeit der Anrufung des Ver- waltungs- oder Verfassungsgerichtshofes entsprechend gesichert. (Leider kann eine Beschwerde an den Ver- waltungsgerichtshof für den kleinen Mann sehr kostspielig sein. Hier eine Änderung zu schaffen, wäre Sache des Gesetzgebers.)

Der Bezirkshauptmann kann selbstverständlich auch auf dem Zivilrechtsweg (Amtshaftungsgesetz) und auf Grund des Strafgesetzes (zum Beispiel Geschenkannahme in Amtssachen, Amtsmißbrauch) belangt werden. Wäre das auch immer beim gewählten Bezirkshauptmann der Fall?

Aber das ist noch viel wichtiger: Es besteht auch die Möglichkeit, einen Bezirkshauptmann auch aus disziplinären Gründen — auf Grund der Dienstpragmatik — zur Verantwortung zu ziehen. Hier sind die Bräuche streng. Wer einmal zu tief ins Gläschen schaut und über Dinge spricht, die ihm nur von Amts wegen bekannt sind, oder wer eine Partei unfreundlich hinauskomplimentiert, kann bereits in ein Verfahren verwickelt werden.

Würde ein gewählter Bezirkshauptmann — außer der Parteidisziplin — einem disziplinären Verfahren unterworfen werden können?

Wie wird man Bezirkshauptmann?

Das Ernennungsprinzip, das auch für die politische Bezirksverwaltung gilt, ist manchen — aus falsch verstandener Demokratie — ein Dorn im Auge. Dieses Prinzip gilt jedoch auch für die Richter und selbst für die Minister. (Letztere müssen allerdings das Vertrauen der führenden Parteien und des Parlaments haben.) Namhafte Verfassungsjuristen haben jedoch wiederholt erklärt, daß das Ernennungsprinzip in der Verwaltung der Demokratie in keiner Weise widerspricht, da die unteren Organe von den höheren, gewählten Organen ihre Macht ableiten. Nun, die Bezirkshauptleute werden von der Landesregierung, einem gewählten Kollegialorgan, ernannt. .

Hier die Voraussetzungen für eine mögliche Ernennung: Erfolgreicher Abschluß der rechts- und staatswissenschaftlichen Studien, eine Prüfung über „politische Geschäftsführung”, die erst nach einer gewissen Probezeit als Vertragsbediensteter abgelegt werden kann, und dann rund 20 Jahre praktische Arbeit im politischen Verwaltungsdienst. Das ist also die Sachkenntnis und Erfahrung, die heute ein Bezirkshauptmann für die Führung der oft recht komplizierten Verwaltung mitbringen muß.

Einem real denkenden Politiker wird es einleuchten: eine Institution, die sich ein Jahrhundert lang bewährt hat und die so einschneidend in das Leben des einzelnen eingreift, darf nur nach sehr reiflicher Überlegung einer Neuregelung unterzogen werden. Es ändert auch nichts daran, wenn vor mehr als vier Jahrzehnten die Schöpfer unserer Verfassung anderer Meinung waren. Die sogenannte Demokratisierung — eigentlich ein falscher Ausdruck — soll nur dann in Angriff genommen werden, wenn sie dem Allgemeinwohl wirklich dient. Die gesellschaftliche und politische Realität, die zunehmende Kompliziertheit der Vollziehung, bedingt durch den enormen Anfall an neuen Gesetzen, spricht heute für ä?ne Versachlichung und Rationalisierung der Verwaltung.

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