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Die verhngnisvolle Gleichstellung

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Aber nicht nur historische Erwägungen sind die Beweggründe für den Wunsch, den Kreis der exemten Druckwerke zu erweitern, sondern auch praktische, die sich auf die Art und Weise der wissenschaftlichen Publizistik, ins-besonders in der Heilkunde, beziehen.

Die letztere hat zwei Hauptaufgaben: Veröffentlichung von Originalartikeln einschließlich der Sitzungsberichte ärztlicher Tagungen und kritische Referate über Neuerscheinungen auf dem Büchermarkte.

In der bestehenden Pressegesetzgebung und im Referentenentwurf sind wissenschaftliche Zeitschriften den Tageszeitungen gleichgestellt und allen Bestimmungen unterworfen, welche im dritten Abschnitt „Erzwingbare Veröffentlichungen“ des Referentenentwurfes 1954 zusammengefaßt sind.

Handelt es sich um einen Originalartikel, so ist derselbe das Ergebnis einer wissenschaftlichen Arbeit, die auf Grund von Untersuchungen, Versuchen, Krankenbeobachtungen usw. zustande kam. Mit einer Berichtigung in der durch das Pressegesetz vorgeschriebenen Form kann das Ergebnis einer wissenschaftlichen Arbeit niemals eine Aenderung erfahren. Ganz anders steht es aber, wenn ein zweiter Autor auf Grund seiner Arbeit zu anderen Resultaten gelangt, die aber wieder nur in Form einer zweiten, neuerlichen Publikation den Lesern zur Kenntnis gebracht werden können. Diese Form ist seit langem in wissenschaftlichen Publizistiken der Medizin ein alltägliches und begrüßenswertes Vorkommnis. Wird aber eine Entgegnung in der Form einer pressegesetzlichen Berichtigung eingesendet und lehnt der verantwortliche Schriftleiter dieselbe ab, ergibt sich bei Einbringung einer Klage in der Regel eine außerordentlich schwierige, wenn nicht unlösbare Situation für den Presserichter: einen Entscheid in einer wissenschaftlichen Streitfrage zu treffen an der vielleicht zwei Fachmänner seit Jahren gearbeitet haben und zu einer gegensätzlichen Meinung gelangt sind.

So wurde versucht, ein über Auftrag des Obersten Sanitätsrates erstattetes Referat, das auf Beschluß dieser Körperschaft in einer medizinischen Wochenschrift veröffentlicht wurde, auf Grund des Pressegesetzes abzuändern. Da dies in der gesetzlich vorgeschriebenen Form natürlich nur in wenigen Zeilen nicht möglich war, wurde die Berichtigung abgelehnt. Die Berichtigung wurde ja nur deshalb verlangt, um im Wege eines aufgezwungenen Kompromisses das Erscheinen eines außerordentlich langen Gegenartikels zu erreichen.

Viel weitgehender werden durch die Bestimmungen des Pressegesetzes die Rezensionen, die nicht minder wichtige zweite Aufgabe der medizinischen Publizistik, beeinflußt. Bei der auf immer weitere Gebiete sich ausbreitenden medizinischen Wissenschaft ist es für den Arzt erforderlich, auch darüber orientiert zu sein. Die Trennung in zahlreiche Fachgebiete macht es unmöglich, die erscheinenden Originalarbeiten zu studieren, daher die Notwendigkeit, sich zusammenfassender Bücher zu bedienen, über die in den Fachzeitschriften ein Bericht gebracht wird. Je kritischer derselbe gehalten ist, um so mehr gewinnt er an Wert.

Somit ist Rezension Kritik. Solche kritische Rezensionen erregen, wenn sie ablehnend ausfallen, naturgemäß bei dem betroffenen Autor Anstoß. Der Versuch, durch eine Berichtigung eine andere, günstigere Beurteilung zu erreichen, ist naheliegend.

So ist gelegentlich des Erscheinens einer Broschüre über eine sehr verbreitete Krankheit, die in einer wissenschaftlichen Wochenschrift eine ablehnende Rezension erfuhr der Versuch gemacht worden, mit Berufung auf das Pressegesetz dieselbe zu berichtigen Die wegen Verweigerung der Aufnahme eingebracht? Klage wurde abgewiesen und auch ein Rekursverfahren hatte keinen Erfolg.

Aber gerade dieser Fall beweist, wie das Pressegesetz für die wissenschaftliche, insbesondere medizinische Pufcldtstik völlig ungeeignet ist. Zwei Fragen standen bei einer bestimmten Erkrankung im Streit: die Aetiologie,also die Ursache, und die Behandlung. Von vielen Autoren war eine bestimmte Ursache anerkannt, von zahlreichen anderen Fachmännern abgelehnt, von anderen wieder werden mehrere Ursachen angenommen. Daß bei einer solchen Divergenz der Aetiologie auch in der Therapie keine einheitliche Meinung bestehen kann, ist eine sich zwangsläufig ergebende Selbstverständlichkeit.

Daß ein allgemein gültiges Pressegesetz somit auch für die wissenschaftlichen Publizistik nicht am Platze ist, kann aus beiden Fällen ersehen werden.

Dazu kommen aber noch die nachteiligen Folgen der Pressebestimmungen für die medizinisch-wissenschaftliche Publizistik, vor allem für das Rezensionswesen, das einen ausgezeichneten Fachmann voraussetzt. Denn nur durch einen mit der Materie vertrauten Rezensenten kann eine richtige Beurteilung erfolgen, die mit einem positiven oder negativen Urteil abschließen soll. Für eine mit bestem Wissen im Interesse der Wissenschaft geleistete unbezahlte Arbeit noch Unannehmlichkeiten, wie Klagen usw., ausgesetzt zu sein, führt dazu, daß entweder die Besprechungen nicht übernommen werden oder nur unkritische Rezensionen zustande kommen. Damit aber wird die Pressegesetzgebung zu einer für die medizinische Wissenschaft und ihren Fortschritt schädlichen Einrichtung.

Auch die im zweiten Abschnitt behandelte Ordnung in Pressesachen, welche über den verantwortlichen Redakteur handelt, stellt Anforderungen, die „ohne Entgelt“, wie dies in der medizinisch-wissenschaftlkhen Presse im allgemeinen üblich ist. nicht verlangt werden können. Ebenso nimmt der vierte Abschnitt, Pressestrafrecht — es handelt sich überwiegend um Geldbußen —, auf die Sonderstellung eines wissenschaftlichen Schriftleiters keinen Bezug, wie der Hinweis auf das „offene Geheimnis“, daß in der Regel der Zeitungseigentümer die über den verantwortlichen Redakteur verhängten Geldstrafen bezahlt. Auch dies trifft für die wissenschaftliche Fachpresse nicht zu, ein Beweis mehr für die vollkommen differenten Verhältnisse bei der wissenschaftlichen Fachpresse.

Da schon vor mehr als 100 Jahren der Akademie der Wissenschaften nach langem Kampf eine Ausnahmestellung in den sonst allgemein gültigen Pressevorschriften eingeräumt wurde, dürfte es kein unbilliges Verlangen sein, in den Kreis der exemten Druckschriften auch die wissenschaftliche Fachpresse einzubeziehen. Wie weit der Kreis gezogen werden könnte, müßte weiteren Erwägungen überlassen werden.

Wenn nach vielen anerkennenden Worten auch von höchster Stelle über die kulturelle Stellung Oesterreichs im Kreise aller Kulturstaaten nun schon Taten, die mehr als den guten Willen zu helfen zum Ausdruck bringen, gefolgt sind, so wäre eine Bedachtnahme auf Oesterreichs sehr schwer ringende wissenschaftliche Publizistik nicht nur ein Zeichen, sondern eine weitere wirkliche Hilfe. Geholfen wäre aber letzten Endes nicht nur der Wissenschaft, sondern — soweit es die Heilkunde betrifft — den hilfesuchenden Kranken des ganzen Erdkreises, vor allem aber unseres Vaterlandes.

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