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Europa ist kein Nebenthema

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Welche Werte werden im Europa von morgen gelten? Daß dies die Kirchen interessieren muß, zeigte die Pastoralta- gung 1993 in Wien-Lainz

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Welche Werte werden im Europa von morgen gelten? Daß dies die Kirchen interessieren muß, zeigte die Pastoralta- gung 1993 in Wien-Lainz

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Man näherte sich dem Thema anfangs historisch, ging aber dann immer konkreter auf aktuelle Herausforderungen ein: Die Pastoraltagung 1993 über „Christliche Visionen für ein offenes Europa“ ließ Christen ihre Weltverantwortung und ihren Auftrag spüren, einen bisher von Politik und Wirtschaft dominierten Prozeß „kritisch zu begleiten“ (Wilhelm Zauner). Helmut Erharter, als Generalsekretär des Österreichischen Pastoralinstituts durch drei Dezennien Motor solcher Tagungen, wurde feierlich bedankt und verabschiedet.

„Europa und die ganze Welt braucht Christen, die sich für das Wohl der Menschen einsetzen“, betonte Kardinal Hans Hermann Groer zur Eröffnung. Während der Wiener Politologe Heinrich Schneider das Werden der heutigen Europäischen Gemeinschaft darstellte, bezog sich der ungarische Kirchenhistoriker Thomas Nyiri auf die geistigen Wurzeln des Kontinents: Griechen, Römer, Judentum und Christentum. Europa habe nur „als Kulturganzes“ verstanden Einheit.

In einer Podiumsdiskussion hielt der seit 20 Jahren in Österreich lebende Nigerianer Rasheed Akinye- mi Europa („Was ist das für eine Gesellschaft, in der Tote jahrelang unbemerkt in ihrer Wohnung liegen?“) den Spiegel vor: Europa halte „Stammeskonflikte“ in Afrika für üblich, nun herrsche in Europa selbst ein Krieg, dem man tatenlos zusehe. Zur Wende 1989 habe man „Halleluja“ gerufen, nun werde man mit den Problemen nicht fertig. Die Sorge bestehe, daß Afrika aus dem Auge verloren wird, die übliche Entwicklungshilfe habe freilich die Dinge oft noch schlechter gemacht und Waffenhandel und Umweltzerstörung begünstigt. Für den „grünen“ Abgeordneten und Theologen Severin Renoldner ist die Frage, ob Österreich der EG beitrete, „drittrangig“, ihm ist wichtig, daß keine „Verlierer“ auf der Strecke bleiben.

Am klarsten formulierte der Sozi- alethiker Johannes Schasching, was aus christlicher Sicht gefordert ist: Teilen und Umverteilen zwischen West und Ost, aber auch zwischen Nord und Süd, vor allem ein Umverteilen der Arbeit, aber auch ein

Teilen mit künftigen Generationen. Heutige Durchschnittseuropäer seien in die Freiheit, in das Diesseits und in sich selbst verliebt. Die Probleme könnten nur auf Weltebene in umfassender Ökumene gelöst werden. Dazu nötig seien Sachverstand in Wirtschaft und Politik und ein Bewußtsein „jenseits von Angebot und Nachfrage“.

Annäherung an die „Sozialutopie Jesu“ ist für den deutschen Religionsphilosophen Eugen Biser das Ziel der Christen. Er konstatierte, „daß der Boden der tragenden, konsensfähigen und noch allgemein akzeptierten Wertvorstellungen ständig schrumpft“, und kritisierte heftig die Rolle der elektronischen Medien. Biser wertete aber anderseits den Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen 1989 als eine „der größten Zäsuren der Weltgeschichte“. Die christlich vermittelten

„Konstanten einer Lebensorientierung für das nächste Jahrtausend“ seien Freiheit, Friede und Menschenwürde. Die Sorge um letztere war auch in der Diskussion eingemahnt worden: Zumindest die Kirche sollte in einem Europa, das gegenüber Flüchtlingen dicht macht, Asylort bleiben und jenen Würde geben, welche die wachsenden Anforderungen nicht schaffen.

Kardinal Franz König gab am Schlußtag zur Überwindung von Nationalismus und zum Zusammenwachsen Europas Anregungen: grenzüberschreitende Wallfahrten und Partnerschaften auf der Ebene von Gemeinden und Diözesen, Ferienaufenthalte junger Menschen in ausländischen Familien, Lernen von Fremdsprachen, gegenseitiges Lernen von Osten und Westen. Was König Hoffnung gibt, sind der wachsende Einsatz für Menschenrechte, die ökumenische Bewegung und das Phänomen Taizė.

Der Linzer Pastoraltheologe Wilhelm Zauner faßte zusammen, Europa sei für die Kirche kein Nebenthema, sie habe den Auftrag, für Werte, für die Benachteiligten, für den Sonntag, für die Familie, für die Gleichstellung der Frauen, einzutreten und dabei die Wege der Ökumene und des Dialogs zu beschreiten.

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