"Faulheit kann etwas Wunderbares sein"

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Der Künstler Alexander Tschernek liest aus den Werken der alten Philosophen ganz moderne Erkenntnisse zum Thema Arbeit.

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Der Künstler Alexander Tschernek liest aus den Werken der alten Philosophen ganz moderne Erkenntnisse zum Thema Arbeit.

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Der Schauspieler Alexander Tschernek sucht in den Büchern der großen Philosophen nach praktischen Lebenslehren. Nach dem Erfolg seiner Philosophenlesungen zum Thema Geld geht es ab 18. November um Arbeit und Faulheit. Höchste Zeit für ein paar Nachfragen.

DIE FURCHE: Ihr neues Programm trägt den Titel "Arbeit, Muße, Faulheit". Steht da die Arbeit für den Fluch und die Faulheit für die Erlösung davon?

Alexander Tschernek: Ich war selbst auf der Suche nach Antworten: Wie verhalte ich mich in diesem Arbeitsleben? Wie gehe ich um mit dem Leistungsdruck und dem negativen Arbeitsbegriff, der mich umgibt, von dem ich selbst auch nicht ganz frei bin. Ich wollte Arbeit auf jeden Fall positiv für mich besetzen. Ich bin seit den 90er-Jahren ein freischaffender Künstler, merke aber immer wieder, dass ich oft ein mich freischaufelnder Künstler bin. Als Künstler bewegt man sich ja auch durchaus in prekären Zonen und schlechten Bezahlungslagen und man steht unter dem Druck, sich ständig neue Aufgaben setzen zu müssen. Also, was hat gerade Priorität, wo kommt der nächste Job und das nächste Geld her. Und wo bleiben da meine Visionen und Inspirationen?

DIE FURCHE: In der Ökonomie gibt es die Unterscheidung zwischen hedonistischen und utilitaristischen Gütern. Die ersten sind zum Zwecke des Genusses das, die zweiten zur Erhaltung primärer Bedürfnisse. Gäbe es demnach auch eine hedonistische und eine utilitaristische Arbeit - eine Arbeit, die Spaß macht und eine, die das Essen bringt?

Tschernek: Also für mich sind die Grenzen zwischen diesen beiden Polen fließend. Für mich ist mein Leben ein Fluss, der niemals aufhört und sich zwischen ordnender und kreativer Arbeit erstreckt. Es ist ein Prozess, eine Bewegung, in der ich mich mit dem Ziel eines guten Lebens einrichten will. Ich will fragen können, macht diese Arbeit Sinn und macht sie mir Freude. Ich nehme eher die Freude als den Spaß, weil Freude dann doch tiefer geht.

DIE FURCHE: Da würden jetzt sehr viele ebenfalls aus eigener Erfahrung einwenden, dass man sich seine Arbeit nicht aussuchen kann und die Freuden dünn gesät sind.

Tschernek: Natürlich geht es auch darum. Ich leide auch mit, wenn ich höre, dass Menschen eine Arbeit haben, die sie niemals wollten und die sie nicht befriedigt, weil sie sagen, aus gewissen Gründen muss ich arbeiten, wegen der Kinder oder der Familie. Ich erlebe uns jetzt in einer Zeit des Wandels und diesen Wandel will ich mit meiner Erkenntnisarbeit begleiten und mitgestalten.

DIE FURCHE: Es gibt verschiedene Arbeitsethiken, wobei sich die kommunistische und die kapitalistische Ethik sehr ähneln, insofern bei beiden Arbeit und Wachstum die gesellschaftsrelevanten Faktoren sind. Glauben Sie, dass das ein gutes Arbeitsethos ist?

Tschernek: Nein, Ich glaube das Ethos, wie es jetzt gelebt und gezeigt wird, macht uns eher krank. Man braucht bloß in die Werbung zu schauen auf das Familienbild das uns da gezeigt wird: Mütter, die alles unter einen Hut bekommen, von der Milchschnitte über das Familienleben bis zum Beruf. Das sind Bilder, unter deren Einfluss ich auch stehe, aber ich möchte mich der Selbstoptimierung verweigern, die da propagiert wird. Ich möchte auch lustvoll faul sein können. Faulheit ohne schlechtes Gewissen ist für mich etwas Wunderbares.

DIE FURCHE: Da landen wir beim Lob der Faulheit von Paul Lafargue.

Tschernek: Natürlich. Marx, sein Schwiegervater hat ja recht, wenn er sagt, dass Arbeit, bei der man beständig am Fließband steht, entfremdet. Das hat mit den industrialisierten Prozessen zu tun, die nun ergänzt werden durch eine digitale Revolution, die unglaubliche Abhängigkeiten schafft.

DIE FURCHE: Wie soll man dem konkret entgegenwirken? Gibt es Beispiele - auch aus Ihrem persönlichen Bereich?

Tschernek: Ich biete zum Beispiel Retrocoaching an, privat und als Performance. Etwa, indem ich Menschen, die schreiben, von den Vorzügen der Arbeit mit der Schreibmaschine erzähle.

DIE FURCHE: Mit der Schreibmaschine?

Tschernek: Ja. Ich habe insgesamt vier Schreibmaschinen an den vier Orten, wo ich mich zumeist aufhalte. Ich schreibe wichtige Texte lieber auf der Schreibmaschine. Erstens ist mein Gedanke klarer und ich bin nicht in dieser Vorläufigkeit des Computerschreibens gefangen. Beim Computer kann ein Satz so schnell gelöscht oder verschoben werden, dass man geneigt ist zu schnell zu schreiben. Bei der Schreibmaschine denke ich zwar länger nach. Aber was ich dann habe, das hat Hand und Fuß. Ich bin also mit der Schreibmaschine letztlich schneller. Das zu vermitteln, ist Retrocoaching.

DIE FURCHE: Haben Sie schon eine Arbeit gemacht, die Ihnen sinnentleert vorkam?

Tschernek: Nein. Aber ich habe mir auch zur Aufgabe gemacht, einen Sinn in jeglicher Arbeit zu finden. So war das auch vor 10 oder 11 Jahren als es gerade keine Jobs und kein Geld gab und die Stellenausschreibungen in den Zeitungen mich nur noch depressiver machten. Aber bei mir ums Eck stand immer eine Stretch-Limousine und da bin ich dann einfach hin und habe gefragt, ob sie nicht einen Stretchlimousinen-Chauffeur brauchen. Das hätte mir gefallen. Ich hab dort tatsächlich Arbeit bekommen, allerdings im Büro, aber egal mir macht ja auch Organisationsarbeit Spaß. Einmal allerdings durfte ich ein Hochzeitspaar aus Liverpool im Rolls Royce zur Trauung im Riesenrad fahren...

DIE FURCHE: Nun waren Sie schon mit ihrem jüngsten Programm sehr erfolgreich, hat das Ihren Umgang mit der Arbeit verändert?

Tschernek: Ich lebe ohne Auto und ohne große Wohnung, also bescheiden, und das macht mich unglaublich frei.

DIE FURCHE: Wie kann denn der Einzelne jetzt aus diesem System herauskommen, wenn er nicht gerade Künstler ist?

Tschernek: Der eine Weg führt über einen gewissen Verzicht, etwa, dass mein Computer oder mein Smartphone nicht immer alles können müssen oder dass ich nicht immer überall hin auf Urlaub fahren können muss. Dass man sich wirklich Muße gönnt. Dass man sich bewusst nicht von der Hektik anstecken lässt und dann ist es fast schon eine revolutionäre Tat.

DIE FURCHE: Da hört man jetzt beinahe den Soziologen Hartmut Rosa sprechen, für den die Muße auch ein Gegenmodell zur beschleunigten Gesellschaft ist.

Tschernek: Das ist richtig, zeigt aber auch, dass die Idee und ihre Anhänger schon die Form einer Bewegung angenommen haben und man muss wirklich anerkennen: Das heutige Leben ist eine Überforderung und sobald man das akzeptiert, kann man weiterdenken und fragen, was kann ich ändern?

DIE FURCHE: Gibt es in Ihrem Programm eine Erkenntnis, auf die alles hinzielt?

Tschernek: Ich ende mit Albert Camus "Der Mensch in der Revolte". Er spricht davon, dass es darum geht, der Arbeit die Würde zurückzugeben und dass wir dem Schöpferischen mehr Raum einräumen sollten als dem rein Produzierenden. Wenn wir als Gesellschaft also einen Wandel wollen, meint Camus, dann brauchen wir viel mehr an Kunst, Schönheit und Liebe.

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