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AUGUST M. KNOLL/IM DIENSTE CHRISTLICHER SOZIALREFORM

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Der sechzigste Geburtstag am 5. September ist nur der äußere Anlaß für die Würdigung eines Mannes, dessen Wirken im gesprochenen Wort und in der freundschaftlichen Tat sich so weit ausgebreitet hat, daß darin schon ein Lebenswerk gesehen werden kann.

August M. Knoll entstammt einer Familie mit einer dreihundert Jahre alten Tradition ■ des Lehrberufes, und durch Vortrag, Rede und' persönliche Diskussion zu überzeugen, ist' eins seiner besonderen Anliegen. Auseinandersetzungen auch innerhalb des Katholi-: zismus hat Knoll am Beispiel des Gegensatzes zwischen Ignaz Seipel und Anton Orel -. schon während der Reifungsjahre im Wien-, der ersten Nachkriegszeit erlebt. So wie Ernst K. Winter (vgl. Porträt in der „Furche“ vom 12. Februar 1959) suchte auch Knoll einen-Ausweg aus der Alternative des katholischen : lntegraltsmus auf der einen und des liberalen Katholizismus auf der anderen Seite. Die' Formel, die dabei gefunden wurde, war die des Methodendualismus, der mit den Integralen Religion und Staat sowie Religion und Kultur als Einheit empfindet und erbauen will, mit den „Liberalen“ aber beide Sphären methodisch auseinanderhält. Aus diesem Ansatz erklärt sich Knolls Auffassung von der erforderten aktiven politischen und sozialen Wirksamkeit des „Christen in der Welt“ und der zurückgezogenen seelsorglich-zentrierten Rolle des geistlichen Standes. So soll auch der Institution der Kirche ihre konservative, dem Christen aber seine sozialreformerische, wissenschaftlich-kritische und staatspolitische Dynamik voll legitimiert werden.

„Rechtsstehen und linkes Denken“ ist daher eine Parole auch Knolls geworden.'

1924 zum Dr. rer. pol. promoviert, wirkte Knoll seit 1934 als Dozent an der Universität Wien, wo er, häufig vor sehr zahlreicher Hörerschaft. Fragen der Weltanschauung und der politischen Gesellschaftslehre behandelte. Im März 1938 sofort als erster der rechts-und staatswissenschaftlichen Fakultät mit den jüdischen Kollegen entfernt und brotlos gemacht, lebte er mit seiner Familie in Zurückgezogenheit und Verbindung mit der Widerstandsbewegung. 1945 kehrte Knoll an die Universität zurück-, seit 1950 ist er Ordinarius für Soziologie. Seine Bücher und Schriften befassen sich zumeist mit der Geschichte der katholischen Sozialideen und Problemen der Weltanschauungskritik und der Religionssoziologie. Auch seinen sozial-reformerischen Absichten ist Knoll treu geblieben. Seit 1953 ist er Präsident des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform, und in den letzten Jahren ist er als erster mit Forderungen und Plänen zur Gründung einer Sozialhochschule in Linz hervorgetreten.

In seinen soziologischen Seminaren wird keine scholastische Textinterpretation getrieben. Undurchdachtes Wiedergeben von Lesefrüchten hat bei ihm keine Chancen. Er verlangt von seinen Hörern lebendige, kritische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und erträgt es mit wissenschaftlicher Noblesse, wenn die studentischen Schlußfolgerungen zuweilen sehr deutlich seinen eigenen Überzeugungen widersprechen. Dann stellt er sich dem Referenten zur fairen Diskussion von gleich zu gleich. So hat er - vielleicht als einziger der Universität, bestimmt aber als einziger seiner Couleur — dem Marxismus mehrere Semester lang ein gründliches Seminar gewidmet. Bei ihm, dem katholischen Soziologen, wird freimütig über Bernstein und Trotzki, über Tito und Plechanow diskutiert. Wo sonst ist dies heute der Fall?

„In mir steckt eben nicht nur die Verehrung für das konservative Österreich des Kaisers Franz, sondern zumindest zum gleichen Teil die Liebe zur tragischen Größe des Kaisers Joseph...“ pflegt er zur Interpretation seines Österreichertums zu sagen.

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