Ein Problem politischer Kultur

19451960198020002020

Geistliche Kandidaturen für ein politisches Amt sind unmöglich wenn sie "von rechts" kommen. Aber auch solche "von links" sollten ebenso beurteilt werden.

19451960198020002020

Geistliche Kandidaturen für ein politisches Amt sind unmöglich wenn sie "von rechts" kommen. Aber auch solche "von links" sollten ebenso beurteilt werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Daß 1951 bei den ersten Volkswahlen zum Bundespräsidenten ein Priester, nämlich der Sozialethiker Johannes Ude, kandidierte, werden manche noch in Erinnerung haben. Daß aber in der Frühphase der Republik Österreich ein Priester Staatsoberhaupt war, ist kaum noch bekannt. Als am 12. November 1918 die Republik ausgerufen wurde, fungierten bis 16. Februar 1919 als kollektives Staatsoberhaupt die drei gleichberechtigten Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung, darunter der Landeshauptmann von Oberösterreich, Prälat Johann Nepomuk Hauser.

Die Kandidatur der evangelischen Superintendentin Gertraud Knoll für das Amt des Bundespräsidenten brachte urplötzlich das Thema Kirche und Politik in Diskussion, oder besser formuliert: Geistliche Funktion und politisches Amt. Knopfdruckartig brachen die alten Schlagworte vom unsäglichen Kapitel des politischen Katholizismus und die Involvierung des Klerus hervor. Eine etwas differenziertere historische Betrachtung erscheint jedoch notwendig. Dabei ist wahrscheinlich das Thema so alt, wie es Menschen und damit Religionen gibt. Priesterkönigtum, Investiturstreit und geistliches Landesfürstentum seien nur drei kurz erwähnte Stichworte, um die historische Bandbreite aufzuzeigen.

Priester und politisches Amt, wie wir es aus der jüngeren Vergangenheit Österreichs kennen, hatte jedoch andere Wurzeln. Mit Einsetzen des Verfassungslebens in Österreich in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann auch die Geschichte der klassischen drei Parteien (Christlichsoziale, Sozialdemokraten und Deutschnationale beziehungsweise Liberale). Jede politische Partei oder Bewegung braucht Führungskräfte. Bei den Christlichsozialen nahmen sowohl der katholische Adel wie auch Priester am Anfang diese Funktion wahr, bis erst nach dem Ersten Weltkrieg eine eigenständige (akademische) Führungsschicht heranwuchs. Das Engagement der Priester im parteipolitischen Katholizismus hatte daher in diesem Sinne auch und vor allem eine subsidiäre Funktion.

DDR und Österreich Eine ähnliche Situation gab es 1989/90 bei der Wende in der DDR. Zahlreiche regimeunbelastete evangelische Pastoren engagierten sich damals in politischen Funktionen mangels anderer geeigneter Persönlichkeiten.

In der politischen Auseinandersetzung zwischen "Schwarz" und "Rot" nach 1918 wurde der Politiker im Priesterrock zu einem Kampfthema (Ignaz Seipel: "Prälat ohne Milde"), doch diese Polemik läßt weitgehend die objektiven Leistungen der Priester in der Politik vergessen.

Der Beschluß der österreichischen Bischöfe 1933 (und 1945 wiederholt), daß Priester kein politisches Amt ausüben dürfen, wird immer wieder mit pastoralen Überlegungen begründet. Unbeachtet bleibt jedoch folgendes Moment: Priester in hohen politischen Funktionen, etwa die erwähnten Bundeskanzler Seipel oder Landeshauptmann Hauser, hatten infolge ihrer Autorität oft mehr Einfluß in der Kirche als die betreffenden Diözesanbischöfe. Beim Beschluß von 1933 wollte man sich daher auch dieser "starken" Priesterpersönlichkeiten entledigen.

Seit damals gehört es nun zum "common sense" der politischen Kultur in Österreich, daß geistliche Amtsträger für keine politische Funktion kandidieren, um Kirche, Staat und Parteien zum Vorteil aller einen freien und unverkrampften Umgang miteinander zu gewährleisten.

In der evangelischen Kirche ist zwar vieles anders gelagert, nicht zuletzt das Amtsverständnis. Aber in der speziellen Minderheitensituation in Österreich wird sie jedoch vielfach nicht umhin kommen, verschiedene Spielregeln, die vom Katholizismus geprägt sind, ebenfalls zu akzeptieren. Denn vom Normalbürger in einem katholisch geprägten Land wie Österreich ist eine exakte Kenntnis evangelischer Besonderheiten, etwa beim kirchlichen Amt, nicht zu erwarten. Somit ist Nationalratspräsident Heinz Fischer zuzustimmen, daß ja niemand seine berufliche Herkunft mit dem Augenblick der Kandidatur zu einem politischen Amt bei der Garderobe abgibt. Das ist der Kern der Problematik der Kandidatur von Frau Gertraud Knoll.

Und noch eine andere Facette ist erwähnenswert. Die Priesterpolitiker der Vergangenheit werden in der Regel mit "rechts" beziehungsweise "konservativ", nicht selten sogar als "präfaschistisch" und "undemokratisch" qualifiziert. Nach 1945 gab es bei den politisierenden katholischen Priestern und evangelischen Pastoren einen Positionswandel: Sie sind eher auf der "linken" Seite des Spektrums zu finden. Man denke zum Beispiel nur an den Sandinisten Ernesto Cardenal aus Nicaragua. Bei seiner Bewertung machte sich bereits eine Schizophrenie bemerkbar: Viele seiner glühenden Verehrer nahmen keinen Anstoß an seinem Priesteramt, haben aber gleichzeitig ihr negatives Urteil über Seipel bereits gefällt.

Oder auf die gegenwärtige Situation gebracht: Gesetzt den Fall, ein katholischer Dechant, allseits beliebt, ebenso in den Medien bekannt, innerkirchlich systemtreu und in seinen politischen Anschauungen eine moderate konservative Linie vertretend, würde für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren.

Ein Aufschrei durch das Land würde gehen, angeführt von den Gralshütern der "political correctness" in Österreich, mit all den sattsam bekannten Argumenten, warum ein Priester nicht in die Politik gehen darf, welchen Schaden das anrichtet usw. Darunter mit Sicherheit auch viele derjenigen, die nun Frau Gertraud Knoll unterstützen. Nur: Die Verknüpfung von geistlichem Amt und politischer Funktion bleibt auch dann ein eminentes Problem unserer politischen Kultur, wenn man von "links" kommt.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und Leiter der Kölner Niederlassung des Verlages Styria.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung