Abschied in die Ratlosigkeit

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Vielleicht gibt es in Österreich ja eine Zivilgesellschaft. Aber: Wo sind dort die Christen?

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Vielleicht gibt es in Österreich ja eine Zivilgesellschaft. Aber: Wo sind dort die Christen?

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Die Caritas muss in die politische Diskussion eingreifen. So lautet das klare Resümee von Caritas-Präsident Franz Küberl, das er in der "Caritas ZeitSchrift" zog. Küberl bezeichnet seine Organisation als "Reibefläche der Gesellschaft": Es sei Aufgabe, "politische Fehlentwicklungen" aufzuzeigen, gleichzeitig aber alle Politiker zu unterstützen, die sich redlich bemühten, eine sozial gerechte Welt zu gestalten. Diese Arbeit, so Küberl, sei nicht immer von angenehmen Zwischenrufen begleitet.

Wie wahr: Erst kürzlich verhinderte die Wiener FPÖ eine Subvention für die Caritas mit der aberwitzigen Begründung, dass die Caritas "sowohl in Zeitungsberichten als auch in Anfragebeantwortungen aus dem Innenministerium immer wieder als Quartiergeberin und Unterstützerin von Drogendealern" genannt werde.

Gertraud Knoll, die evangelische Superintendentin des Burgenlandes, kann seit ihrem Auftritt bei der Wiener Großdemonstration am 19. Februar ebenfalls ein Lied davon singen, wie die FPÖ mit unliebsamen Gegner(inne)n umspringt.

Man mag gegen Knolls politische Positionierung eingestellt sein oder auch die Anwaltschaft für "Menschen ohne Lobby", der sich die Caritas-Oberen rühmen, als nicht angenehm empfinden. Faktum bleibt, dass die Superintendentin ebenso wie der Caritas-Präsident seltene Gestalten darstellen, die in Österreich zur Zeit auch politisch präsent sind - und zwar als Christen.

Es ist evident: Die gesellschaftliche Relevanz der Christen sinkt, zumindest werden die politischen Akteure, wenn sie Christen sind, nicht als solche wahrgenommen.

Auf der Agenda Zwar reklamieren etliche Politiker Christlichkeit für sich. So pochte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bei seiner 15.-Mai-Rede "zur Lage der Nation" darauf, dass christdemokratische Werte (darunter: "gelebte Bergpredigt" - "Herberge geben, wer auf der Flucht ist, Kleidung geben, wer Nachbar in Not ist, Wärme und Gastlichkeit dem anbieten, der aus der Kälte kommt ...") bei ihm "ganz oben auf der Agenda" stünden. Und auch Alfred Gusenbauer, der politische Widerpart, betont unermüdlich, dass es für ihn keinen Widerspruch zwischen Christentum und Sozialdemokratie gebe (vgl. furche 10/2000). Im Gegenteil ...

Aber von einer christlichen Gesellschaftsvision und von der Gestaltung der Gesellschaft durch Christen kann zur Zeit keine Rede sein. Auch die Kirchenleitungen positionieren sich kaum. So ist von den katholischen Bischöfen (wenn überhaupt) bestenfalls Einigkeit in der Ablehnung der EU-Sanktionen zu erhalten, und die evangelische Kirchenspitze ist gleichfalls - trotz Gertraud Knoll - wenig eindeutig: Zur umstrittenen Demonstration des 19. Februar etwa verlautete Österreichs evangelische Kirchenleitung A.B.: "Es entspricht evangelischer Grundüberzeugung, dass der einzelne Christ in seiner Bindung an das Evangelium aus politischer Verantwortung und aus Sorge für das Land und seine Menschen an der Demonstration teilnehmen und das Wort ergreifen oder auch bewusst nicht teilnehmen und dagegen Stellung nehmen kann."

Derart verwaschene Statements sind - für evangelisch wie für katholisch - typisch und nützen niemandem. Sie nähren den nicht unbegründeten Verdacht, dass die Christen im Lande sich aus der Zivilgesellschaft in die Ratlosigkeit verabschieden.

Es gibt Gründe, wenn auch keine Rechtfertigungen für diese Befindlichkeit. Evangelische Christen werden hierzulande - wegen der Kleinheit ihrer Konfession - wenig beachtet. Aber die (immer noch) ungleich zahlreicheren Katholiken treten ebenfalls kaum durch Aktivität hervor - wie etwa noch vor einigen Jahren, als Hunderttausende, von der Katholischen Aktion bis zur Caritas, gegen das Ausländervolksbegehren 1993 der FPÖ mobil machten.

Neue alte Nähe Besonders im katholischen Segment der Gesellschaft zeigt die Entwicklung einige Facetten: * Die regelmäßigen Kirchgänger haben auch bei der letzten Nationalratswahl zu 60 Prozent ÖVP gewählt. Nun führt diese Partei die Regierung, und es erweist sich, dass die alte Nähe zwischen ÖVP und Katholizismus neu zum Tragen kommt - als offene Sympathie oder zumindest als "Beißhemmung" gegenüber der schwarz-blauen Koalition.

* Im Gegensatz zur angeblichen "Politisierung" der Zivilgesellschaft glänzt der Katholizismus des Landes durch Entpolitisierung. Schon in den "Dialog für Österreich" vor zwei Jahren mussten die politischen Anliegen weitgehend hineinreklamiert werden, die Anhänger des Kirchenvolks-Begehrens etwa trugen damals überhaupt nichts zu den gesellschaftspolitischen Fragen bei; es ist kein Zufall, dass auch in der derzeitigen politischen Auseinandersetzung von den "Kirchenreformern" nichts zu hören ist.

* Schließlich hat der innere Zustand der katholischen Kirche sehr wohl mit der gesellschaftlichen Absenz der Christen zu tun: Es gab in den Kirchenkonflikten der letzten Jahre keine Streitkultur und schon gar keine Lösungen; Rückzug in die kleine Welt oder innere Emigration sind die Folge - auch in den gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen.

So reduzieren sich die Christen in der politischen Öffentlichkeit Österreichs auf Galionsfiguren oder Reibebäume (je nach der politischen Position des Betrachters) wie Gertraud Knoll oder Franz Küberl.

Eine prophetische Rolle, welche den Christen in der Gesellschaft zukäme, bleibt aber - von Ausnahmen (siehe oben) abgesehen - vollkommen verborgen. Ähnliches konstatierte der Herzogenburger Propst Maximilian Fürnsinn zu Ostern in der "Presse": Die (katholische) Kirche habe den Dialog mit der Gesellschaft abgebrochen und hänge - in Bezug auf die spirituelle Erneuerung - mehr einer "Mystik des Ausweichens" als einer "Mystik der Durchdringung" an.

Für alle Kirchen des Landes gilt: Die Propheten und die (politischen) Querdenker gehen ab. Vielleicht gibt es in Österreich ja eine Zivilgesellschaft. Die Christen sind dort jedenfalls nicht wahrnehmbar.

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