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Ein österreichisches Schicksal

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Wer die Worte Ferdinand Ebners in sich aufnimmt und emsthaft bedenkt, wird wahrhaft enttäuscht. Freilich ist auch der enttäuscht, der strenge Beweise, ein logisch deduziertes System oder aufsehenerregende Enthüllungen erwartet, aber derlei Enttäuschung bleibt an der Oberfläche. Enttäuscht war auch jener im Vorwort zu „Das Wort und die geistigen Realitäten“ zitierte Professor, als er den „ausgesprochen pathologischen Zug“ des Werkes feststellte, der es wissenschaftlich und philosophisch „glatt unmöglich“ macht. Die Enttäuschung aber, die Ebners Gedanken auslösen, ist ganz anderer Natur, sie ist nämlich in des Wortes ursprünglichem Sinne eine Ent-Täuschung, in der eine tiefreichende, unmittelbar in der menschlichen Gebrochenheit wurzelnde Täuschung durchschaut wird: der Traum vom Geist in der gottfernen Icheinsamkeit.

Wovon Ebner spricht und was ihn als Lebensproblem unablässig beschäftigt hat, ist der werdende Mensch in seiner Freiheit oder, konkreter gefaßt: die Sicht des gelebten Neuen Testaments. Hildegard Jone gab einer Auswahl seiner Aphorismen den Titel „Wort und Liebe“ und schreibt in der Einleitung dazu, daß darin der Gedanke seines Lebens und die Erfüllung seines Lebens den kürzesten Ausdruck finden; sie schließt mit einem Wort Ebners: „Es gibt zwei Tatsachen, nicht mehr, des geistigen Lebens, zwei Tatsachen nämlich, die sich zwischen dem Ich und dem Du zutragen: das Wort und die Liebe. In ihnen liegt die Erlösung des Menschen, die Befreiung seines Ichs aus seiner Selbstabschließung.“ Wort und Liebe, beide in dem Sinn, den er immer wieder in Denken und Leben zu ergründen und zu verdeutlichen sich bemühte, sind der ethische Kern des Neuen Bundes, in dem wir das Wort finden, das uns die Liebe lehrt, und das Zeugnis der Liebe haben, das uns das Wort aufschließt. Und fürwahr: aller Inhalt seiner Schriften und — was mehr zählt — Sprache und Tonfall sind ein Bekenntnis zu Wort und Liebe und daher nur aus der Sprache' der Liebe und dem Ernst des Wortes verständlich. ;

Vorausgesetzt“ — so schreibt Ebner in knappster Darstellung seines Grundgedankens —, „daß die menschliche Existenz in ihrem Kern überhaupt eine geistige ist ... so ist dieses Geistige wesentlich dadurch bestimmt, daß es von Grund aus angelegt ist auf ein Verhältnis zu etwas Geistigem außer ihm, durch das es und i n dem es existiert.“ Der objektiv faßbare Ausdruck für eine derartige Beziehung ist in der Tatsache zu finden, daß der Mensch ein sprechendes Wesen ist, daß er das .Wort hat“. Das Geistige außer ihm, demgegenüber er .ich“ sagt, ist das „Du“. Dabei sind „Ich“ und „Du“ nicht nach Art lebloser Dinge in Beziehung gesetzt, sondern es gilt einzig: Ich bin, da du bist. Doch: wer „bist du“ durch den .Ich bin“?

.Ich bin“ im eigensten Sinne, das heißt ausgesagt von dem, dem dieses Wort ganz zu eigen sein kann, ist die Selbstoffenbarung Gottes als Jahve. Nur den Juden offenbarte sich Gott als Jahve („Ich bin, der ich war“), den Heiden hingegen war er Fluchtpunkt menschlicher Sehnsucht, was der Tiefsinn der Sprache durch den Dentallaut in deus, griechisch theos, altnordisch Tyr, gotisch Tius, andeutet. Der Dentallaut steht aber auch im „Du“ an der Spitze, worin der philologische Hinweis auf die enge Beziehung zwischen Gott und „Du“ zu sehen ist. Als Jahve ist Gott nicht ansprechbar —-

Jahve wurde auch niemals ausgesprochen —, sondern nur als deus (Du).

Das Ich ist demgegenüber ein Werdendes, da „Bin“ (ich bin) auf die Sanskritwurzel bhu (werden) zurückgeht. „Das Ich ist ein Werdendes, das Du etwas Seiendes, das bedeutet im letzten Grunde: jenes ist etwas Menschliches, dieses etwas Göttliches.“ So ist denn der einfachste Ausdruck für Ebners Gedanken: Ich werde durch dich. Diese einfachste Formel läßt sich nicht allein oder auch nur im wesentlichen aus der Philologie ableiten, sie ist im Innersten ethisch. Kierkegaard, das große Vorbild Ebners, faßt das „Ethische als „dasjenige, wodurch man wird, was man wird“, somit als Werdensgrund der Innerlichkeit (Existenz). Während aber Kierkegaard sich als einzelner Gott aussetzt in „unendlicher Leidenschaft“, die sich „absolut zum Absoluten verhält“ (und darin die religiöse Existenz sieht), ist für Ebner Gott vor allem im Nächsten gegenwärtig. Daher auch die zentrale Bedeutung des Wortes, das als menschlich gesprochene Gott gegenüber überflüssig wäre, da Gott jede Regung versteht und nicht erst der Worte bedarf. Um des Menschen willen ist das Wort, den Nächsten geht es an, ihn betrifft auch das amare in deo, das als Nächstenliebe der unmittelbare Ausdruck der Gottesliebe ist. Daß damit nicht die schönsprachige dichterische Liebe gemeint sein kann, geht aus der unmißverständlichen Konkretheit hervor: Ich werde nicht durch ein oder das „Du“, sondern durch dich, der du mir auf der Straße, in der Gesellschaft, in Krankenzimmer und Gefängnis als Ebenbild Gottes begegnest. Angesichts dieser Nüchternheit zerschmilzt aller Traum einer Romantik. Da es aber unsinnig ist, zu behaupten, daß ich — in übernatürlichem Sinne — durch den Nächsten werde, bin ich im Nächsten auf Gott verwiesen, der mir in ihm begegnet. Doch ist der Nächste Sicht etwa nur Anlaß, um „gute Werke“ zu tun, da der Mensch dadurch wieder in seinem Egoismus verbliebe. Andererseits einen Menschen ganz um seiner selbst willen zu lieben, ist Vergötzung, die ihn zum Idol erstarren läßt und so der eigenen Entwicklung beraubt. Nur wenn ich den anderen in seiner Gebrochenheit um des Herrn willen liebe, liebe ich ihn wahrhaftig, da ich ihm die Möglichkeit lasse, seinen eigenen Weg zu gehen, selbst wenn er damit aufhört, mein Idol zu sein.

Da „ich durch dich werde“, muß ich alles aufgeben können, was ich „für mich bin“ und ganz auf dich vertrauen. Durch das Vertrauen, das letztlich wieder in Gott seinen Ruhepunkt findet, werden Gnade und Ethos, diese „Quellpunkte des geistigen Lebens“, ermöglicht, ohne daß die Wechselwirkung ganz durchschaubar würde. Zwischen Gnade und Ethos spielt sich das geistige Leben ab, in dem der Mensch wird. Dieses Werden aber läßt sich weder beweisen noch demonstrieren. Wer einen Beweis verlangt, will gezwungen werden, der Mensch aber wird nur durch das, worauf er in Freiheit vertraut. Demonstrierbar aber ist alles Geistige nur dem, der es im eigenen Werden erfaßt, weshalb die Demonstration zwar Gemeinschaft stiftet, nicht aber Werden und geistiges Leben.

Der Mensch, befangen im Traum des Geistes, sagt: Ich werde durch mein Denken, durch meine tätige Selbstentfaltung, durch Behauptung meiner selbst. Dieser Traum der Selbstgenügsamkeit wäre nicht so tief ohne das verführerische Schlaflied Luzifers: eritis sicut deus. Denn einzig Gott braucht kein Du, da er sagt: Ich bin, der ich bin. Der Mensch aber i s t nur, sofern er durch das Du wird.

Hinter der Nüchternheit und Unscheinbarkeit des Grundgedankens liegen die Zerrissenheit und das Leid eines Menschenlebens. Er selbst wußte, wie eng die Ruhe seiner Worte und die Ruhelosigkeit seines Herzens, die Einfachheit des Ausdrucks und die Unentwirrbarkeit seines Schicksals 1 zusammengehören, wenn er schreibt: Was für Menschen sind das doch, die es augenscheinlich niemals deutlich spüren, wie alle Geistigkeit des Lebens am Rande eines Abgrunds aufleuchtet und alle Tiefe des Geistes gar nichts anderes ist als die Tiefe dieses Abgrunds. Wäre nicht sein ganzes Leben ein Schrei nach Liebe und Aussprache gewesen, er hätte vielleicht Wort und Liebe nicht bis zum tiefsten Grund durchlebt und durchdacht. Doch bleibt uns auch hier nur das Vielleicht einer Vermutung, denn der Sinn seines Lebens ist jenseits aller psychologischen und -philosophischen Berechenbarkeit als Zeugnis der Wirklichkeit des Geistes. Da dieser Geist aber der des Evangeliums ist, bleibt er der Welt wesenhaft fremd und wird vielen nur als „pathologische“ Erscheinung klassifizierbar. So kann es denn sein, daß sein Wort noch lange unterwegs ist von Gablitz nach — Wien, während es in der Welt schon Widerhall gefunden hat.

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