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Marx, Engels und die Dichter

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Der Marxismus ist mehr als Nationalökonomie oder eine Analyse des klassischen Hochkapitalismus. Insoweit er Weltanschauung sein will, ist er auch in seiner Frühzeit besonders in der Deutung der literarischen Zeugnisse engagiert. Hätten die beiden Großen des wissenschaftlichen Sozialismus nicht mehr geleistet als eine Stellungnahme zum Phänomen der Literatur, wäre ihr Wirken unbeachtet geblieben. Es geht daher im vorliegenden Buch nicht darum, die Literaturinterpretation durch Marx und Engels als epochemachend zu klassifizieren, sondern den Marxismus als einen allseitigen Versuch, die Welt zu deuten, erscheinen zu lassen.

In einer Zeit, in der es gerade die Schriftsteller im Marxismus sind, welche in einer bemerkenswerten Kühnheit gegen den Marxismus konservativer Art Stellung nehmen (Polen und Ungarn), kommt dem Buch eine besondere Aktualität zu, gerade deswegen, weil eben der Marxismus im literarischen Kunstwerk den Reflex gesellschaftlicher Bedingungen sehen will.

Der Autor beschäftigt sich zuerst mit Engels, der in seiner frühen Schaffensperiode literarischen Fragen gegenüber offen ist, wahrscheinlich auch deswegen, weil es auch zur Zeit, als der junge Engels die Literatur seiner Zeit analysierte, so etwas wie eine Flucht in die Literatur gab, stets ein Ausweis dafür, daß bestimmte Ideen nicht in eindeutiger sachlicher Härte formuliert werden dürfen, wohl aber in der literarischen Umschreibung. Insoweit erfüllt die Dichtkunst in der Epoche der Diktatur eine besondere Funktion.

Marx versucht sich in Dichtung, verfaßt ein Trauerspiel, kommt aber dann über Hegel zur Philosophie, und von dort, vor allem beeinflußt durch Engels' Schilderung der sozialen Verhältnisse in England, zur Nationalökonomie. Neue Einsichten bestimmen ihn dann zur Annahme, daß alles, was sich als Geist darbietet, nichts anderes ist als Darbietung ökonomischer Verhältnisse in einer anderen Qualität. Der späte Marx ist freilich nicht mehr „Marxist“, sondern schon „Revisionist“ und läßt ein Eigenwachstum des Geistigen gelten.

An Hand von marxistischen Deutunger. von Shakespeare, Goethe und Balzac wird vom Autor eine Beispielgebung für marxistische Literaturkritik geboten. Den Epigonen von Marx und Engels steht schon die reiche Erfahrung entweder marxistischer Gesellschaftspolitik, zumindest aber einer vollentwickelten Volkswirtschaft zur Verfügung. Für Mehring ist die Dichtung noch immer eng an die vorgegebenen ökonomischen Wirklichkeiten gebunden, ähnlich ist es bei Plechanow, während der große, alte Mann der marxistischen Literaturkritik der Gegenwart, Lukacs, schon Abweichungen anzeigt, trotz seiner steten Anpassung an erkennbare Generallinien. Im Wesen ist aber auch Lukacs die Dichtung nichts als Widerspiegelung von Wirklichkeiten, freilich verfälscht durch das Subjektive im Dichter, der immer durch eine individualistische „Entartung“ daran gehindert wird, der Realität des Gesellschaftlichen gemäße Aussagen zu macheu.

Das mit reichem Material ausgestattete Buch ist nicht allein, wie man aus dem Titel vermuten könnte, eine literaturkritische Auseinandersetzung, sondern erheblich mehr: ein Beitrag zu einer Gesamtdeutung des orthodoxen Marxismus, der heute einige Außenpositionen geräumt hat, aber in seinem Wesen unverändert geblieben ist. Eine der wesentlichen Stellungnahmen und Selbstzeugnisse des Marxismus aber ist sein Standort in der Literaturkritik, der bis vor wenigen Jahren ein ausschließlich soziologischer zu sein schien.

Dr. Anton Burghardt

OFFIZIERE. L'Homme de Guerre. Von Francois Ponthier. 260 Seiten. - HIMMELFAHRTSKOMMANDO. Roman von Carl Otto Schumann. 220 Seiten. — Beide Bücher: Eduard Wancura Verlag, Wien-Stuttgart.

Zwei mit ungeheurer Spannung geladene, mit virtuoser Kraft erzählte Episoden leiten Ponthiers Buch „Offiziere“ ein: das heldische Bravourstück eines deutschen Offiziers vor Stalingrad und, fast schon im Heute, der meisterhaft geführte Kampf eines französischen Offiziers gegen erbarmungslose Araber in Algerien. Von Seite 74 an bildet der' Roman die seelische und geistige Auswertung dieser beiden kriegerischen Szenen. Wundervoll sind die stahlscharfen Dialoge, die die seltsame Freundschaft zwischen dem deutschen Ritterkreuzträger und dem französischen Major zergliedern und klarstellen. Vor dem Hintergrund der deutschen Niederlage und des Wirkens der französischen Armee als Ordnungsmacht, unter dem wankenden Lichte des Eros entwickelt sich der Begriff des Offiziers, des Landsknechtes und Haudegens, des Helden und Ehrenmannes — ein Begriff, der aus Vergangenem in die Gegenwart überleitet und somit zeitgemäß bleibt. Das blendend geschriebene Buch, das nur etwas weitschweifig zum versöhnlichen Ende kommt, ,ist durchaus wertvoll und zu Recht mit dem Literaturpreis der französischen Armee geehrt.

Aus den heißen Problemen des kalten Krieges wächst in rasendem Zeitmaß die Handlung von Schumanns bemerkenswertem Roman „Himmelfahrtskommando“. Werden uns die Sowjets wieder zuvorkommen? Sieben amerikanische Offiziere bilden die erlesene Gruppe, die die ersten Menschen für den Weltraumflug stellen soll. Ebenso viele Familienschicksale verbinden sich damit. Jede der Frauen verhält sich anders zu der tödlichen Gefahr. Für die „Männer ohne Nerven“ geht es um Mut und Vaterlandsliebe, um Ehrgeiz und Angst vor dem Versagen. Die stürmischen Ereignisse, in glänzendem Stil und hinreißender Wucht dargestellt, haben eine typisch amerikanische Umwelt: Sensationslust, geschäftstüchtiges Managertum, Kidnappers, Sowjetspionage.

Die Bereitschaft der Offiziere zum letzten Wagnis, die Wechselwirkungen zwischen Mensch und höchstentwickelter Mechanik steigern sich zum mörderischen Drama, das der Dichter mit feinem Gefühl in ein lyrisches Idyll ausklingen läßt.

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