"Wir werden leben wie Schimpansen"

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Wie werden sie sein - die Menschen von morgen? Glaubt man Susan Greenfield, dann werden sie vor allem eines sein: beherrscht und verformt von den modernen Technologien. Im furche-Interview spricht die britische Neurowissenschafterin mit Sitz im "House of Lords"über die triste Zukunft, die Behandlung von Alzheimer - und ihre eigene Vergangenheit.

Die Furche: In Ihrem jüngsten Buch "Tomorrow's People" zeichnen Sie ein recht düsteres Bild von der Zukunft: Sie prophezeien etwa, dass die modernen Technologien die Individualität der Menschen stark beeinträchtigen würden. Wie meinen Sie das?

Susan Greenfield: Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als würden uns die neuen Technologien helfen, unsere Individualität noch stärker zu entwickeln. Die Menschheit hat ja seit Erfindung des Buchdrucks verschiedenste Technologien zur Verfügung gehabt, ohne dass ihre Individualität eingeschränkt wurde - im Gegenteil. Doch dieses Mal durchdringen diese Technologien den Menschen viel stärker als je zuvor. Wir können etwa bei Kindern beobachten, wie der Computer oder das Mobiltelefon ihr Leben beherrscht. In Zukunft werden uns diese Technologien noch mehr beherrschen: Sie werden in Kleidungsstücken eingebettet sein oder sogar in unserem Körper. Es gibt also eine konstante Annäherung der virtuellen Welt.

Die Furche: Worin besteht nun die Einschränkung der Individualität?

Greenfield: Wir wissen, dass die Gehirn-Verbindungen sehr sensibel auf äußerliche Reize reagieren: Alles, was wir tun, schlägt sich in diesem Netzwerk von Neuronen nieder. Wenn wir also ständig diesen standardisierten, elektronischen Reizen ausgesetzt sind, hat das große Auswirkungen. Wenn wir aber in einer Welt von Bildschirmen leben, wo es immer um Augenblicks-Erlebnisse geht - haben wir dann noch die Zeit für Assoziationen und gedankliche Verknüpfungen, die eigentlich das Denken ausmachen?

Die Furche: Sie fürchten also, dass die Menschheit unter diesem elektronischen Bombardement verblödet?

Greenfield: Sagen wir so: Wir reduzieren uns selbst auf jenen Zustand, den wir einnehmen, wenn wir auf eine Party gehen, wenn wir uns also in eine laute, grelle Welt begeben. Ich glaube, wir werden in einer Welt leben, die gedanklicher Inhalte und Bedeutungen beraubt ist; eine Welt der Kinder - oder der Schimpansen, die nur auf Umweltreize reagieren und dann zur nächsten Banane übergehen; eine Welt, die uns von jeder Angst oder Depression befreit. Aber der Preis, den wir dafür bezahlen, ist ein Gutteil unserer Menschlichkeit. Es ist eine Quadratur des Kreises: Auf der einen Seite vermindern die neuen Technologien Leiden und Schmerz, doch auf der anderen Seite könnten wir es dann mit einer Menschheit zu tun haben, die nie erwachsen wird.

Die Furche: Sie plädieren für Technik-Skeptizismus. Andererseits nutzen Sie selbst die technischen Möglichkeiten für Ihre Wissenschaft: Sie sind Direktorin dreier Biotech-Unternehmen. Eines davon heißt "Brain Boost" und soll den Krankheitsverlauf bei Parkinson-Patienten bremsen. Wie funktioniert das?

Greenfield: Das ist eine ganz einfache Idee, die nicht geeignet ist, die Krankheit zu heilen. Doch wir wissen: Je mehr das Gehirn stimuliert wird, desto kräftiger werden die Neuronen-Verbindungen. Wenn wir also das Gehirn trainieren, verlangsamen wir seinen Verfallsprozess. Die Idee von "Brain Boost" ist, dass die Patienten mit Hilfe eines Computers mit Touch-Screen - das Umgehen mit einer Maus fällt ja gerade älteren Personen eher schwer - gewisse Aufgaben bewältigen sollen. Das verlangsamt nicht nur den Krankheitsverlauf, sondern hat auch einen anderen wichtigen Effekt: Wenn diese Person jeden Tag den Computer benutzt, generiert man Daten über ihren Gesundheitszustand. Das ist auch wichtig, um adäquate Medikamente zu finden.

Die Furche: Manche Ihrer Kollegen fordern zur Behandlung von Parkinson oder Alzheimer den Einsatz von Therapien mit embryonalen Stammzellen. Wie halten Sie davon?

Greenfield: Ich würde die Nützlichkeit der embryonalen Stammzell-Therapie für neurodegenerative Krankheiten generell hinterfragen. Denn auch wenn es funktionieren würde, zerstörte Neuronen zu ersetzen, dann wäre es doch in der Praxis zu teuer, zu gefährlich und außerdem unangenehm. Es ist also nicht wirklich die Behandlung unserer Wahl. Wenn wir eine medikamentöse Behandlung erreichen könnten, wäre das perfekt. Das zweite Problem ist, die chemische Stimulation der Zellteilung so zu gestalten, dass kein Tumor entsteht. Schließlich ist auch die Frage offen, unter welchen Umständen sich diese Stammzellen wirklich zu Neuronen entwickeln. Es gibt also viele Probleme, die den Enthusiasmus in der Stammzelldiskussion bremsen sollten.

Die Furche: Mehr Zurückhaltung wünschen Sie sich auch bei der Erkundung des Gehirns: Sie meinen, dass es keine eindeutigen Korrelationen zwischen Gehirnregionen und Körperfunktionen gäbe...

Greenfield: Ja. Meiner Meinung nach kann man nicht mehr sagen: Es gibt ein Zentrum für dies und ein Zentrum für das - genauso wenig wie es ein Gen für dies und ein Gen für das gibt. Das Gen kodiert ein Protein, und das Protein wirkt in den Gehirnströmen, die wiederum in Regionen zusammenwirken. Und das alles führt zu einem Bewusstseinszustand - doch wie genau, wissen wir noch nicht.

Die Furche: Sie selbst hatten aber eine TV-Sendung mit dem apodiktischen Titel "Religion is all in the Brain". Kann man mystische Zustände tatsächlich im Gehirn produzieren?

Greenfield: Einige Leute behaupten, mit Hilfe von Gehirnstimulationen eine Art religiöser Erfahrung auslösen zu können. All diese Untersuchungen zeigen natürlich nur eine Korrelation zwischen dem Gehirn und bestimmten Zuständen. Aber man kann damit natürlich nicht die Existenz Gottes beweisen - oder auch seine Nichtexistenz.

Die Furche: Glauben Sie an seine Existenz?

Greenfield: Ich wurde in einer nicht-religiösen Umgebung erzogen. Meine Mutter ist Protestantin und mein Vater Jude: Das war damals 1948 die schlimmste Art von Mischehe, die man sich vorstellen kann - meine Großeltern haben sich gegenseitig denunziert. Ich habe also als Kind jede Menge Scheinheiligkeit kennen gelernt. Deshalb glaube ich auch nicht an Gott in einem religiösen Sinn. Aber ich glaube sagen zu können, dass ich meinem Leben eine spirituelle Dimension gebe: Wenn ich etwa auf einen Berggipfel gehe, dann fühle ich einen Frieden, der mehr ist als alles, was in der materiellen Welt zu finden ist.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Baronesse ohne Konventionen

Wenn man ihre Funktionen und Auszeichnungen betrachtet, denkt man kaum an einen weiblichen Wirbelwind im engen Nadelstreif: Susan Greenfield ist eben anders - und das konsequent: Als erste Frau wurde sie 1998 Direktorin der Royal Institution of Great Britain, der ältesten unabhängigen Forschungseinrichtung der Welt. Sie ist zudem Commander of the British Empire, Mitglied der französischen Ehrenlegion und - seit ihrer Ernennung ins "House of Lords" durch Tony Blair - Baronesse. Nebstbei hat sich die Neurowissenschafterin durch zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher ("The Human Brain: A Guided Tour" 1997; "The Private Life of the Brain" 2000) und BBC-Sendungen ("Brain Story" 2000) einen Namen gemacht.

1950 in London als Tochter einer Tänzerin und eines Elektrikers geboren, studierte Greenfield in Oxford Pharmakologie. Nach Forschungsaufenthalten in Paris und New York ging sie an das Institut für Neurowissenschaften in La Jolla, USA. Derzeit leitet sie - neben einer Professur für Pharmakologie an der Queens University in Belfast - ein multidisziplinäres Team in Oxford, das die Gehirnmechanismen bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer erforscht.

Zuletzt sorgte Greenfields Buch "Tomorrow's People: How 21st Century Technology is Changing the Way we Think and Feel" (2003) für Diskussionen. Darin wagt Greenfield einen

ernüchternden Blick in die von Informations-, Reproduktions- und Nanotechnologie beherrschte Zukunft der Menschheit.

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