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Auf des Messers Schneide
Der 31. Oktober war der äußerste Termin für die Verabschiedung sämtlicher Etats des italienischen Gesamtbudgets. Trotz großer, von außen hereingetragener Verzögerung gelang es, diesen Termin einzuhalten. Es war also nicht notwendig, wie hin und wieder in der Vergangenheit des Parlamentarismus, am 31. Oktober um Mitternacht die Uhrzeiger anzuhalten, um die noch nicht zu Ende gebrachte Beratung und Abstimmung über sämtliche Etats durch einige Stunden Nachsitzen abzuschließen und mit diesem naiven Selbstbetrug den Vorschriften der Verfassung zu genügen.
Fast zuletzt ging der außenpolitische Etat in der Kammer durchs Ziel. Es geschah nach einer alle Aspekte der italienischen Außenpolitik in oft scharfer sachlicher Auseinandersetzung mit der Rechten und Linken behandelnden Rede des Ministerpräsidenten und Außenministers Amintore F a n f a n i. Ihm gelang der nur von den Böswilligen und den grundsätzlichen Gegnern nicht anerkannte Nachweis, daß die von ihm sofort nach der Konstituierung seines Kabinetts mit fieberhaftem Elan betriebene persönliche Fühlungnahme mit Eisen-hower, Foster Dulles, MacMillan, Selwyn Lloyd, Adenauer, de Gaulle ihre reichen Früchte getragen hat. Ueberzeugend wirkte vor allem die Feststellung, daß der vor nahezu zehn Jahren von de Gasperi und Graf Sforza eingeschlagene Weg europäischer Solidarität von seinen unmittelbaren Vorgängern im Palazzo Chigi (Mar-tino und Pella) resolut fortgesetzt und an Hand der Erfahrungen der letzten Zeit (Suez!) sogar wirksam ausgebaut wurde. Die italienische Außenpolitik mißt sich das Verdienst zu, künftigen Ueberraschungsmomenten innerhalb des Atlantikpaktes dadurch vorgebeugt zu haben, daß sie durch ständig erhobene Vorstellungen innerhalb der NATO dem Grundsatz zeitgerechter gemeinsamer Befragungen und Beratungen zwecks solidarischen Handelns zur Anerkennung verhelfen hat. Diesen Grundsatz hat Italien befolgt, als es seine historisch und geographisch gerechtfertigten engeren Beziehungen mit den arabischen. Staaten in Nordafrika und
, (KUU. Crl glMlim -IIS, , lfill , : ..: I'jliSI IT.. iail. in Nahost ausbauen wollte, wobei es zunächst auf Mißverständnisse, ja auf versteckte und offene Ablehnung stieß.
Fanfani unterließ nicht, auf das gewachsene Prestige Italiens in der Welt hinzuweisen, wobei er unter anderem die Wahl Italiens in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, seine Mitgliedschaft beim Ausschuß für die unterentwickelten Länder und die italienische Beteiligung an dem beabsichtigten Alliierten-Treffen in Fragen der Abrüstung erwähnte.
Die Etatsrede fand bei den beiden Regierungsparteien — Christliche Demokraten und Sozialdemokraten — starke Zustimmung. Aber mit welcher Mehrheit wurde der Außenpolitik
Fanfanis das Vertrauen ausgesprochen? — Mit acht Stimmen! Die Ja-Stimmen betrugen 277, die Nein-Stimmen 269. Leider besteht für die Abstimmungen über die einzelnen Budgets der Zwang der geheimen Stimmabgabe, die natürlich den hier „Francs tireurs“ genannten Abgeordneten die Möglichkeit gibt, gegen die Regierung ihrer Partei zu stimmen. In der Vergangenheit, also bevor der Parteiführer Fanfani die Regierung übernahm, war dies wiederholt geschehen. Nicht nur die Männer der Democrazia Cristiana, sondern auch die überparteiliche Presse hatten dies scharf getadelt. Diesmal aber ist das heimtückische Vorgehen von zwölf oder gar mehr Abgeordneten der
Christlichen Demokraten besonders verwerflich und wird scharf verurteilt. Diese „Autolesio-nismo“ („Selbstverstümmelung“), wie es einzelne Zeitungen nennen, kann das soeben hoffnungsvoll begonnene Aufbauwerk der Regierung nicht nur jäh unterbrechen, sondern auch die mühsam errichtete Koalition mit den Sozialdemokraten zum nicht wiedergutzumachenden .Einsturz bringen. Was dann bleibt, wagt niemand auzu-denken. Denn der nach den Maiwahlen behutsam eingeschlagenen, mit allen Kautelen versehenen Politik von der breiten Mitte nach halblinks würde wohl nur eine ausgeprägte sogenannte „Volksfrontregierung“ folgen können, in der die 84 Nenni-Sozialisten die Hauptrolle spielen würden.
Seine Abstimmungssiege verdankt das Kabinett Fanfani angesichts der ohnehin winzigen Mehrheit nur einigen Abgeordneten der Oppositionsparteien, welche die geheime Wahl zugunsten der Regierungspolitik ausübten. Das Schicksal der Regierung stand also bei den letzten Abstimmungen (nicht nur über die Außenpolitik) auf des Messers Schneide.
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