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„Faschisten der letzten Stunde“

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Am letzten Augustsonntag hatten die Neo-faschisten ihren großen Tag. Ein Jahr war vergangen, seit der vorletzte Ministerpräsident, Zoli, die zwölf Jahre lang verborgen gehaltenen irdisehen Ueberreste Mussolinis der Ehefrau Rachele zur Errichtung einer würdigen Grabstätte hatte übergeben lassen. Die erste Wiederkehr dieses für die Faschisten nunmehr bedeutendsten Gedenktages sollte feierlich begangen werden.

In seiner Heimat in Predappio, nahe bei Forli in der Romagna, wurde der am 28. April 1945 in Mezzegra am Corner See von Partisanen erschossene Mussolini begraben. Auf dem kleinen Friedhof von San Cassiano steht in einer Krypta der Sarkophag aus weißem Marmor, umgeben von den Denkmälern der Eltern und des durch einen Flugzeugunfall ums Leben gekommenen Sohnes Bruno. Dort fand die Feierstunde statt, an der auch Donna Rachele teilnahm. Die Besucher waren zumeist mit Autobussen aus fast allen Gegenden Italiens zu mehreren Tausenden angereist. In der unabhängigen Presse ist von 4000 Teilnehmern die Rede, während das römische Parteiorgan „II Secolo d'Italia“, das als Organisator der Veranstaltung verantwortlich zeichnete, die Teilnehmer mit mehr als 20.000 bemißt.

Nach den vorliegenden Meldungen ist diese „Heerschau“ der „Faschisten der letzten Stunde“ friedlich verlaufen. „Faschisten der letzten Stunde“, weil das Gros der entsandten und anscheinend sorgfältig ausgelesenen alten Faschisten zu jenen zählte, die ihrem Duce bis zuletzt, das heißt, bis zum völligen Zusammenbruch die Treue gehalten hatten. Die alten Unentwegten also, dazu, in minderer Zahl, die Nachgeborenen, nämlich diejenigen, welche die faschistische Diktatur nicht miterlebt und am eigenen Leibe verspürt haben.

Im allgemeinen hat die Presse fast aller Schattierungen die Genehmigung dieser Heerschau im kleinen nachdrücklich verurteilt. Denn sie sah in diesem von den Neofaschisten als schlichte „Gedenkfeier“ bezeichneten Aufmarsch der Führer und Unterführer eine wohlberechnete politische Aktion gegen die Regierung Fanfani, die zudem zu höchst unerwünschten Zusammenstößen mit den in der Romagna sehr zahlreichen Kommunisten und Nenni-Sozialisten hätte führen können. Die Arbeitskammer von Forli hatte einen Aufruf verbreitet, der die Neofaschisten vor Provokationen warnte, während die Proklamation der Nenni-Partei, schärfer im Ton, also begann: „Den Trümmern des Faschismus, die erneut auf den Straßen der Romagna zu sehen sind, bringen wir unsere tiefste Verachtung entgegen. Wir warnen sie mit dem Hinweis, daß unsere romagnolische Erde keine Provokationen dulden wird.“ Das eigentlich Politische des Treffens aber lag in etwas anderem: in dem Versuch zur Einigung und Wiederversöhnung der zum Teil schon vor dem letzten Wahlkampf und später durch den Ideenstreit der Richtungen entzweiten Anhänger der Bewegung, die trotz des zwölfjährigen Marsches durch eine völlig anders gewordene Welt zu keiner politisch aufbauenden Handlung vorzustoßen verstanden und die sich auch heute in kleinlichem Streit um die „richtigen“ konstruktiven Gedanken verzehren.

Tatsächlich hat das „Movimento Sociale Italiano“, wie sich die Partei nennt, in den zwölf Jahren nach der Katastrophe, die den unerhörten Aufstieg eines tief erniedrigten Volkes zeitigten, in blinder Negation des Neuen und in unfruchtbarer Anrufung des Alten an dieser trächtigen, der Welt ein neues Antlitz gebenden Zeit vorbeigelebt.

Wie sehr dies geschah und noch geschieht, zeigt der in den von dem Ehrenvorsitzenden der Partei und einstigen U-Boot-Kommandanten Valerio Borghese herausgegebenen Mitteilungsblättern veröffentlichte Aufruf, der jeden Kommentar überflüssig macht:

„Faschisten, steht auf! — Die Demokratie, die eine Religion des Bauches ohne Märtyrer ist, muß zerstört werden. Diese Zerstörung muß erfolgen, bevor der Staat der totalen Auflösung verfällt. Der Staat hat kein Verwaltungsorgan zu sein, sondern Kräfteäußerung! Die Zerstörung werden wir mit allen Mitteln und Waffen betreiben. Im Namen Mussolinis! Für ItalienI“

Die Quittung der Oeffentlichkeit ist schallendes Gelächter. Nur die Presse der äußersten Linken holt zum Schlage gegen die Regierung aus, welche die den Umsturz verkündende extreme Rechte gewähren lasse, während sie die für den Frieden kämpfenden Männer der Linken unbarmherzig verfolge!

Gemach, gemach! — Im Ernst läßt sich kein Bürger ob der hin und wieder auftauchenden Schmerzens- und Drohrufe der nach Macht lechzenden einstigen Unterführer des Faschismus aus der Ruhe aufschrecken. Für die Diktaturen alten Stils ist heute, wo die europäischen Nationen nach Formen freiwilligen Zusammenschlusses streben, kein Raum mehr, ganz abgesehen davon, daß diesen Machtsüchtigen von heute der überragende Führer fehlt.

Das einzige, was den nüchternen Beobachter in Staunen versetzt, ist das Beharrungsvermögen dieser rückwärts gewandten, deshalb politisch unsagbar unfruchtbaren Partei. Das „Movimento Sociale Italiano“, das bei den Wahlen von 1948 in der Kammer schüchtern mit 6 Mandaten begann, erzielte 1953 29 und letzthin, 1958, 25 Mandate. Also nach wie vor eine zahlenmäßig beachtenswerte Partei, dennoch kein politischer Faktor, allenfalls ein Hemmschuh auf dem Weg zu einer gesunden, den Erfordernissen der Gegenwart und Zukunft gerecht werdenden Demokratie.

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