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Guatemala - ein Symptom?

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Wer mit der Bestürzung eines eingewiegten Mitteleuropäers die Ermordung des bundesdeutschen Botschafters in Guatemala durch verbrecherische Guerillas ad notam nimmt, den brutalen Stil rechtsorientierter Polizeipotentanten und ehrgeiztrunkener Offiziersjunten den Dschungelhelden der Linksrevolution konfrontiert, schließlich das Debakel internationaler Entwicklungshilfe an der unüberwindlichen Mauer iberoamerikanischer Korruption dazutut, dem ist danach, den südamerikanischen Vulkan der Welt einfach abzuschreiben. Steht nun der Gesellschaftsform dieses gigantischen Subkontinents, die wahrscheinlich im Erbe der politischen Gewalttaten spanischer Konquistadoren wurzelt und in der ersatzlosen Vernichtung seiner Tradition fortsetzte, keinerlei konstruktive, demokratisch und zugleich sozial engagierte Kraft gegenüber? Gibt es in Südamerika keine „Christliche Demokratie“?

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Wer mit der Bestürzung eines eingewiegten Mitteleuropäers die Ermordung des bundesdeutschen Botschafters in Guatemala durch verbrecherische Guerillas ad notam nimmt, den brutalen Stil rechtsorientierter Polizeipotentanten und ehrgeiztrunkener Offiziersjunten den Dschungelhelden der Linksrevolution konfrontiert, schließlich das Debakel internationaler Entwicklungshilfe an der unüberwindlichen Mauer iberoamerikanischer Korruption dazutut, dem ist danach, den südamerikanischen Vulkan der Welt einfach abzuschreiben. Steht nun der Gesellschaftsform dieses gigantischen Subkontinents, die wahrscheinlich im Erbe der politischen Gewalttaten spanischer Konquistadoren wurzelt und in der ersatzlosen Vernichtung seiner Tradition fortsetzte, keinerlei konstruktive, demokratisch und zugleich sozial engagierte Kraft gegenüber? Gibt es in Südamerika keine „Christliche Demokratie“?

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Während in den Gehirntrusts der CD-Parteien Mitteleuropas, die einem nunmehr fünfundzwanzigjährigen Abnützungsprozeß unterworfen sind, Kassandrarufe über das nahe Ende der konfessionell akzentuierten christlich-demokratischen Politik schier Ratlosigkeit und Desperation hervorrufen, legitimiert das „Internationale Christlich-demokratische Informations- und Dokumentationszentrum“ in der Via del Plebiscito 107, Rom, nicht sehr weit entfernt von der Vatikanstadt, die spanisch und portugiesisch kolorierten CD-Parteien als hoffnungsvollen Faktor einer im Morgendämmern der nahen Jahrtausendwende aufbrechenden Welt.

In den sechziger Jahren vermochte die CD-Bewegung Lateinamerikas erstmals konkrete Regierungsverantwortung zu übernehmen; in Peru, Bolivien und anderen kleineren Staaten führte dies zur Beteiligung an Koalitionen. In anderen Ländern nahm sie die Macht unmittelbar in die Hand und ging, wie zuerst in Chile und anschließend in Venezuela, siegreich aus freien und geheimen Wahlen hervor. Ziele der lateinamerikanischen Christdemokraten waren zunächst: das Streben nach Reform der bestehenden, spätfeudalen Gesellschaftsstruktur, die Suche nach enger solidarischer und subsidiärer internationaler Zusammenarbeit und schließlich die Mobilisierung der „opinio publica“ gegenüber den eigenen Lebensproblemen der iberischen Staaten jenseits des Ozeans. Gegenüber den erstarrt-reaktionären Offizierskonzepten und dem nahezu anarchisch eingefärbten südamerikanischen Urwald- und Plantagenmarxismus entwickelte die „ODCA“ — die Organisation der christlichen Demokraten Lateinamerikas — Alternativen im Sinne der katholischen Soziallehre, vor allem der jüngsten päpstlichen Weltrundschreiben „Mater et Magistra“ und „Populorum Progressio“. Höhepunkt der CD-Offensive Südamerikas wurde das Jahr 1965, als die Christlich-Demokratische Partei Chiles zur führenden Partei des Landes wurde. Ins Gewicht fiel dabei das Engagement einer katholisch verwurzelten Generation von Zwanzig- bis Vierzigjährigen, die sich nicht mit doktrinären Leitsätzen zufriedengab, sondern grundsatzpolitische Lösungen auf einer breiten, wissenschaftlichen und modernen Basis zu erarbeiten suchte.

Steht nicht der blutige Aufruhr, das unerbittliche Ringen zwischen den rechten und linken Gesellsehafts-extremen dieses lateinamerikanischen Staates als Sympol dafür, daß die Ohristdemokraten in jenem Kontinent eben nicht zu einem gesellschaftspolitischen Sauerteig geworden sind? Die CD-Partei Guatemalas ist eine der jüngsten in Südamerika. Sie wurde mit dem Gründungskongreß vom 27. August 1955 ins Leben gerufen, konnte aber erst wirksam werden, als ein korrespondierendes Parteiengesetz vom Parlament in Guatemala City verabschiedet worden war. Seitdem hat sie an verschiedenen Wahlkämpfen teilgenommen und auf föderativer Ebene eine Reihe von Sozial-, Wirtschaftsund Kulturinitiativen entfaltet. Sie steht einer heimlichen Verschwörung der Machthaber gegenüber. Seit jeher gab es in der guatemaltekischen Verfassung ein absolutes Verbot für die katholische Kirche und Ihre Laienorganisationen, sich mit sozialen Problemen und Arbeiterfragen zu befassen: ein Erbe des militanten Liberalismus — ein südamerikanisches Paradoxon —, ein Erbe des maurerischen Establishments unter dem Zeichen von Zirkel, Schurz und Kelle. Zwar wurde dieses Verbot in die jüngste Verfassung nicht mehr rezipiert, doch handhabt die Regierung Guatemalas eine starke Ab-riegelungsstrategie gegenüber jeglicher gesellschafts- und sozialpolitisch inspirierten Aktivität der katholischen Kirche des Landes. Zweifellos gilt für Guatemala ein Wort, das der Apostolische Nuntius in diesem Lande, Erzbischof Doktor Gerolamo Prigione, der durch seine Mittlerrolle bei den Verhandlungen mit den Mördern des Grafen Spreti weltweiten Ruf erhielt, dem Autor dieses Kommentars anläßlich seines Abschieds von der Wiener Nuntiatur gesagt hat: „Ich gehe als Vertreter des Heiligen Vaters in ein Land mit heißem Boden. Aber es ist ein Land der Zukunft, wenn wir dort die Menschenwürde im Sinne der christlichen Soziallehre verteidigen.“

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