Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Wenn zwei dasselbe tun ....
Es ist gerade zwei Jahre her, daß der Fall der Kinder Finaly die Spalten der Weltpresse füllte. Die beiden Knaben eines österreichischen jüdischen Ehepaares in Frankreich, das während der nationalsozialistischen Besetzung deportiert und umgekommen war, hatten in der Hut einer französischen Erzieherin französische und christliche Erziehung genossen: nach dem Kriege verlangte eine Tante aus Palästina die Herausgabe der Kinder, und das französische Gericht- gab dem Wunsche der Verwandten statt. Ein Versuch französischer Geistlicher, die damals neun und elf Jahre alten, sich in ihrem Milieu wohlfühlenden und unbekannte Tante wie unbekanntes Land ablehnenden Knaben dem Zugriff des Gerichtes und der Auslieferung an die Verwandten zu entziehen, wurde bestraft: die Knaben “wurden nach Israel gebracht.
Im Februar 1955 haben nun israelische Gerichte über einen Fall zu entscheiden gehabt, der manche Parallelen mit dem Fall der Kinder Finaly aufweist — nur daß Rechtsfindung und Ausgang des Prozesses das genaue Gegenteil der Affäre Finaly darstellen.
Der Vater, ein Jude aus Wien, wanderte 1935 nach Palästina aus. Hier heiratete er eine aus Wien stammende Jüdin, die inzwischen die palästinensische Staatsbürgerschaft erworben hatte. Den beiden wurden 1941 und 1944 zwei Mädchen geboren. Die Mutter wurde bei der Geburt des zweiten Kindes unheilbar geisteskrank. Der Vater übergab die Kinder einem Heim, mit dem er die Unterhaltskosten zur Hälfte teilte. 1948 erwarb der Vater für sich und seine Töchter die österreichische Staatsbürgerschaft (nicht aber für die geisteskranke Gattin): -er kehrte zu seinen Eltern nach Oesterreich zurück, ließ sich 1951 vor einem Wiener Gericht von seiner Gattin wegen ihrer Krankheit scheiden und heiratete eine nichtjüdische Frau. Mit dieser kam er als Tourist nach Israel, um die Kinder nach Oesterreich mitzunehmen. Die Kinder — damals also elf und acht Jahre alt — wollten Israel aber nicht verlassen und flohen heimlich zu einem Verwandten ihrer Mutter. Das israelische Wohlfahrtsministerium weigerte sich, unter diesen Umständen die Kinder herauszugeben: der Rechtsberater der israelischen Regierung stellte dem Gericht den Antrag, die Ausreise der Kinder aus Israel zu verbieten und für sie einen zweiten Vormund in Israel zu ernennen. Das Distriktsgericht in Tel Aviv gab diesem Antrag statt: das Obergericht in Jerusalem wie die
Berufung des Vaters zurück. Nach den Worten des Oberrichters Dr. Silberg ist das Kind in der modernen Auffassung selbst Subjekt, selbst Rechtsträger: „In dieser lebenswichtigen Frage“, sagte er, „geht es nicht an, die Interessen des Kindes hintanzustellen wegen des .Rechtes' irgendeiner anderen Person, und sei dies selbst sein eigener Vater oder seine eigene Mutter.“ Die Zeitung „Hakidmah“, das Blatt der Partei des Justizministers, vom 4. März bemerkt hierzu:,,Die prinzipielle Bedeutung des Obergerichtes liegt darin, daß im Staate Israel die Idee von der Wohlfahrt des Kindes über die veraltete Auffassung von der väterlichen Gewalt endgültig den Sieg davongetragen hat. Wir begrüßen diese Entscheidung als einen Markstein auf dem Weg des wahren Fortschritts.“
Konsequenterweise müßten nun also die Finaly-Kinder — da die Auffassung von der Gewalt einer Tante wohl noch veralteter ist als die von der väterlichen Gewalt — wieder nach Frankreich, wo sie hatten bleiben wollen, zurückgestellt werden. Aber mit der Wohlfahrt eines Kindes, über die andere entscheiden, ist das eben eine schwere Sache. Und ebenso ist wieder einmal, wenn zwei dasselbe tun, es nicht dasselbe.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!