
Geist und Gegenwart der grünen Transformation
Impressionen vom "Pfingstdialog 2022" in Seggauberg, der sich dem Generalthema "Green Europe. Deal oder no deal?" gewidmet hat.
Impressionen vom "Pfingstdialog 2022" in Seggauberg, der sich dem Generalthema "Green Europe. Deal oder no deal?" gewidmet hat.
Was bringt einen Menschen dazu, sein Leben zu ändern? Und was bringt ganze Gesellschaften dazu, bisherige Gewohnheiten über Bord zu werfen? Überzeugung wäre die charmante Variante, Not und Alternativlosigkeit sind die unangenehmeren, aber womöglich wirkmächtigeren Kräfte. Und am wirkmächtigsten ist offenbar ein Krieg. Die geopolitische Zeitenwende, die Wladimir Putin durch seinen Überfall auf die Ukraine vollzogen hat, bedeutet auch eine Zeitenwende im Kampf gegen die Klimakatastrophe. Plötzlich ist etwa binnen kürzester Zeit die Unabhängigkeit von russischem Erdöl möglich.
Dabei hätten die Zahlen schon vor dem 24. Februar Anlass genug gegeben, alles zu hinterfragen: Bereits um durchschnittlich 1,1 Grad hat sich die globale Temperatur gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter erhöht, weiß Birgit Bednar-Friedl, Umweltökonomin an der TU Graz und Mitautorin der IPCC-Klimaberichte. Die Folgen sind bereits jetzt dramatisch: darunter fünfmal häufigere Hitzeextreme, Wasserknappheit und vermehrte Übersterblichkeit. Nur fünf Jahre hätten wir noch Zeit, um das Pariser Klimaziel von 1,5 Grad zu erreichen und damit eine ähnliche Lebensqualität wie heute zu bewahren, meinte die Forscherin vergangene Woche beim zehnten Pfingstdialog „Geist und Gegenwart“ im steirischen Seggauberg. Was dazu umgestellt werden müsse? „Alles.“
Optimismus – trotz allem
Zumindest einiges haben sich die 27 EU-Mitgliedsstaaten in ihrem „Green Deal“ vorgenommen: Bis 2030 wollen sie die Treibhausgase gegenüber 1990 um 55 Prozent reduzieren, bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent werden. Doch ist das realistisch? Ja – wenn gemeinsam agiert und klar kommuniziert werde, lautete das Motto in Seggauberg, das heuer unter dem Generalthema „Green Europa. Deal or no deal?“ stand (nachzusehen unter www.pfingstdialog-steiermark.at). Wie die Gastgeber – Steiermarks Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, Wissenschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl und Bischof Wilhelm Krautwaschl – plädierte auch der Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, Martin Selmayr, für Optimismus. Voraussetzung sei freilich, nicht immer nur eine Krise im Blick zu haben (Corona, Krieg, Klima), sich gemeinsam als Europa zu verstehen, soziale Härten abzufedern und vor allem sich nicht von Putin vom „Green Deal“ abbringen zu lassen. „Das wäre für ihn der ultimative moralische Sieg“, so Selmayr.
„Wir sind zurück im Kalten Krieg“, meinte indes der ehemalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel, der als Keynote-Speaker zum Pfingstdialog gekommen war. Weil für die USA der indopazifische Raum längst wichtiger als der Atlantik geworden sei, werde die Welt für Europa „echt unbequem“. Umso mehr müsse die Politik durch klare Kommunikation die Menschen bei der notwendigen Transformation mitnehmen. Dennoch bleibt auch er zuversichtlich: „Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir es in weniger als einer Generation geschafft, von Auschwitz nach Brüssel zu kommen. Das zeigt, was Menschen schaffen, wenn sie nur wollen.“
Was das konkret für die Energiepreise heißt, wurde unter anderem von WIFO-Chef Gabriel Felbermayr und EcoAustria-Direktorin Monika Köppl-Turyna diskutiert – ebenso, ob es einen neuen Marshallplan für das Klima braucht (u.a. mit den Diplomaten Wolfgang Petritsch und Irene Giner-Reichl). Die Gretchenfrage blieb freilich auch in Seggauberg, warum es so schwierig ist, als Gesellschaft rechtzeitig vor der Katastrophe ins Tun zu kommen. Der Publizist und Autor Richard David Precht sah das Problem – unter anderem in der Diskussion mit der Philosophin Lisz Hirn, Europa-Ministerin Karoline Edtstadler und Landesrat Christopher Drexler – vor allem bei den Sozialen Medien. Aber das ist eine eigene Geschichte (siehe nächste FURCHE).
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