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De Gaulles Lebensversicherung

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Es gibt eine Garantie dafür, daß das Regiment de Gaulle noch dauern kann, obwohl das, was Voraussetzung dieses Experimentes war — die in Aussicht gestellte Beendigung des Algerienkrieges durch de Gaulle —, nicht eingetroffen ist. Diese Garantie besteht darin, daß eine erhebliche Opposition zwar vorhanden, aber vorerst politisch kaum manövrierfähig ist.

Beim umfänglichsten Teil dieser Opposition ist das eine Manövrierunfähigkeit, die sich aus der von Grund auf passiven Natur dieser Opposition ergibt: Es sind die Massen, die zu Beginn der Fünften Republik kurz aus ihrem politischen Schlaf erwachten, aber gleich ihre Souveränität an de Gaulle delegiert haben und inzwischen längst wieder in jene Gleichgültigkeit gegenüber jeder Politik zurückgesunken sind, aus der sie kein Putsch und keine Reiseerfolge des Staatschefs zu reißen vermögen. Diese Gleichgültigkeit scheint uns das wichtigste Faktum der heutigen französischen Politik zu sein. Und man fragt sich besorgt, was überhaupt an politischen Kräften die Massen noch aus ihrer Apathie aufzuschrecken vermöchte — oder, andersherum formuliert: welche politischen Stürme durch dieses Vakuum angesogen werden könnten. Denn man täusche sich nicht: Zum mindesten in der Politik geht keine Energie verloren; zieht sie sich aus einem Teil des Sozialkörpers zurück, so ballt sie sich dafür um so drohender an anderem Orte zusammen.

AUF DER LINKEN NICHTS NEUES

Vorerst aber scheinen die beiden andern Teile der Opposition, die als politische Oppositionen mit aktiven Zielsetzungen auftreten, noch nicht der Ort solcher Ballungen zu sein. Die linke Opposition ist nach wie vor zu ihrem größten Teil in der Kommunistischen Partei blockiert, und diese KPF tut nicht erst seit dem Chruschtschow-Besuch so, als ob sie gar nicht vorhanden wäre. Steckt hinter dieser eigenartigen Untätigkeit die gleiche Idee, die vor 1933 die deutsche KP beherrscht hat: Daß das Land zuerst die „faschistische Erfahrung“ machen müsse, ehe es für den Kommunismus reif sei? Oder ist der Apparat der KPF einfach zu umfänglich und kompliziert geworden, um noch bewegungsfähig zu sein?

Auf jeden Fall fällt auch das, was man sonst in linker Opposition macht, vorerst nicht ins Gewicht. Die aus dem Zusammenschluß der linken Splittergruppen vor kurzem entstandene P S U (Vereinigte Sozialistische Partei) von Mendes-France und den Minderheitssozialisten ist bis jetzt nicht mehr als eine „moralische Macht“ — den Zustrom größerer Massen aus der mehrheitssozialistischen SFIO hat ja deren Generalsekretär Guy Mollet durch einen zum mindesten rhetorischen Übergang in die Opposition abzuschneiden gewußt. Das alles wimmelt so herum, erregt Aufsehen durch Proklamationen, und fällt summa summarum doch politisch nicht ins Gewicht.

DER RASSISTISCHE AFFEKT

Daß die Opposition auf der Rechten sich ebenfalls noch nicht zu einer geschlossenen Front gegen de Gaulle zusammengefunden hat, ist schon erstaunlich — und für das Regime wichtiger. Denn hier haben sich einzelne recht offensive Angriffskeile gegen das Regime gebildet: Bei den Ultras in Algerien drüben, bei einem Teil des Offizierskorps, bei der in Bewegung geratenen Bauernschaft des Mutterlandes und nicht zuletzt auch in der intellektuellen Jugend und ihrer benachbarten Gruppen (allen frisierten Statistiken über die vorwiegend „linke“ Einstellung dieser Jugend zum Trotz). Und dies alles ruht einer kuriosen „Ge-stimmtheit“ eines Großteils der Massen auf — einer Gestimmtheit, von der man zum mindesten sagen kann, daß sie einen Rutsch nach rechts, nach sehr weit rechts sogar, in den Bereich der Möglichkeit rückt. Das widerspricht sich nicht mit der vorher von uns festgestellten Gleichgültigkeit gegenüber der Politik der Massen: Es handelt sich um dumpfe, vorerst noch kaum bei den konkreten politischen Problemen einhakende Gefühle.

Die Dominante dieses diffusen Gewoges von Gefühlen scheint ein ra s s i s t i s c h e r Affekt zu sein. Wir müssen das feststellen, obwohl es allen landläufigen Vorstellungen von Frankreich ins Gesicht schlägt. Allerdings: von den bisher in Frankreich feststellbaren Affekten

ähnlicher Art unterscheidet er sich dadurch, daß er sich nur noch begrenzt gegen die Juden richtet; er zielt vielmehr — eine Folge des Algerienkrieges und der übrigen Ereignisse in Afrika — hauptsächlich gegen „die Farbigen“ Oes gens de couleur). Darin sind die Algerier durchaus eingeschlossen, obwohl bei ihnen zum mindesten rein ethnologisch die Übergänge zu gewissen südfranzösischen (und südeuropäischen) Schlägen durchaus fließend sind.

DIE UNERWÜNSCHTE PATROUILLE

Beispiele sind anschaulicher als alle Längsund Querschnitte. Zu Beginn dieses Jahres hat die französische Regierung in den Algerierquartieren des Pariser Beckens eine uniformierte algerische Hilfspolizei auf gestellt, .die von französischen Offizieren mit nordafrikanischen Erfahrungen in ähnlichen Experimenten kommandiert wird. In diesen Tagen haben wir zum ersten Male diese eigenartige Truppe in einem Viertel gesehen, wo man -sie nicht erwartet hätte: beim Metro-Knotenpunkt Denfert-Rochereau. Eine Patrouille von ungefähr acht solcher uniformierter Algerier bahnte sich, die Maschinenpistole lose im Arm, ,in einer eigenartigen Mischung von trotziger Selbstbewußtheit und Unsicherheit den Weg durch die fast einheitlich „weiße“ Menge.

Bei diesem Anblick kam es in dem Autobus, in dem wir uns befanden, zu einer Explosion. Der Schaffner — ein Veteran des Algerien^ krieges, wie sich später herausstellte — begann laut zu schimpfen: „Jetzt schaut mir doch mal diese ... (unübersetzbar) an! Das glaubt sich wohl in Algerien ... Das Zeug geht. doch von selber los...“ An der Reaktion der Passagiere des Autobusses konnte man ablesen, daß der Schaffner ziemlich genau die -allgemeine Reaktion getroffen hatte. (Zufällig waren keine „gens de couleur“ im Bus.)' Und ein Herr in mittleren Jahren mit Dekorationen hn Knopfloch pflichtete laut bei:'? „Unsere Regierung ist wirklich von allen guten Geistern verlassen!“ („Unsere Regierung“, sägte er, nicht etwa „de Gaulle“ — auch das dürfte typisch sein.)

FEINDLICHE BRÜDER

Bei so viel aufgestapeltem Zündstoff fragt man, sich wirklich mit Staunen, weshalb die Opposition auf der Rechten noch nicht zu einem das gaullistische Regime unmittelbar bedrohenden Strom geworden ist. Einer der wichtigsten Gründe dafür dürfte das Überrundungsmatch sein, das sich die einzelnen Formationen der rechten Opposition liefern. Man sieht das! deutlich an der Schichtung, welche der Kampf um die politischen Lager bewirkt hat.

Für die im Sante-Gefängnis zu Paris sitzenden Ultras ist1 Soustelle ein Verräter, weil er mit seinem „Untergrundnetz“ während des zweiten Putsches von Algier Gewehr bei Fuß gestanden ist, genau wie die Armee. (Für einmal nämlich hat man Soustelle mit dem Konspirationsverdacht wirklich Unrecht getan: Nach allem, was man über die stürmischen Jännertage bisher hat erfahren können, hat er damals wirklich auch hinter den Kulissen nicht mitgemacht — er hielt die Aktion für verfrüht. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß sich in rechtsextremistischen Kreisen mehr und mehr die erstaunliche These verbreitet, der zweite Putsch sei im Jänner von der Regierung provoziert worden, um „den Abszeß aufzustechen“: Die Ultras hätten ihn erst für Mai vorgesehen gehabt.) Für die aus Protest gegen die Verkündung des Selbstbestimmungsrechtes für Algerien aus dem offiziösen Gauliismus ausgeschiedenen Gaullisten (Delbecque, Biaggi und nun auch Soustelle) sind wiederum ihre früheren, bei de Gaulle .gebliebenen Kampfgefährten, wie Debre und Chaban-Dalmas, welche zum mindesten nach der Vorstellung der Linken auch Rechtsextremisten sind, die eigentlichen Verräter. Ganz abgesehen davon, daß es innerhalb der Dissidentengruppe selbst, etwa zwischen einem Delbecque und einem Soustelle, erhebliche Differenzen gibt, die sich am späten Zeitpunkt von Soustelles Absprung entzünden, respektive daran, daß er von Debre zu diesem „Absprung“ gezwungen wurde.

Und damit sind noch längst nicht alle Spaltungen aufgezeigt, die sich durch die Rechte ziehen. Gar manchem geht es, beispielsweise, wider den Strich, daß Soustelle, führender Kopf im Komitee Frankreich—Israel, auf seiner Amerikareise eben wieder mit Betonung die projüdische Karte ausgespielt hat (daß man die Araber zum gemeinsamen Feind habe, rechtfertige das noch nicht). Auch der Graben Vichy—Resistance zieht sich nach wie vor durch den französischen Rechtsextremismus; wer bei der Liberation auf seiten de Gaulles stand, wird von den meisten seinerzeitigen Anhängern Petäins oder Doriots noch heute als unsicherer Kumpan angesehen — mag er “noch sosehr für die „Algene francaise“ sein.

ES FEHLT DER TROMMLER

Hält man sich diese Spaltungen vor Augen, so kommt einem weniger phantastisch vor, was Delbecque kürzlich behauptet hat. Dieser immerhin allgemein als Rechtsextremist geltende Mann sagte aus, die Untergrundorganisation des (seither in die Schweiz geflüchteten) Rechtsextremisten Philippe de Massey habe für den Fall eines Gelingens des Jännerputsches geplant, ihn, Delbecque, zu erschießen. Das ist vielleicht doch mehr als bloß ein Versuch, sich ein, Alibi zu verschaffen. Oft sind es die „Strassers“ im eigenen Lager, die zuoberst auf der Abschußliste stehen.

Angesichts dieses Gewimmels sieht man ein, was dieser Opposition auf der Rechten zum Heile der Republik fehlt. Nicht etwa die Ideologie - in groben Zügen (Algerie francaise,

Antikommunismus, Antiparlamentarismus) ist sie schon da. Nein, was fehlt, ist der T r o m m-ler, der all das hinter eine einzige Fahne schart.

Das deutsche Beispiel hat gezeigt, daß eine — nicht die einzige! — Voraussetzung für einen solchen Trommler ein möglichst verschwommenes Programm ist. Je weniger der Trommler sachlich und ideell festgelegt ist„ desto umfänglicher vermag er die rrei schweifenden Gefühle auf seine Person zu konzentrieren. Dies aber ist ein Handikap für den Mann, der vielleicht die stärkste Persönlichkeit des französischen Rechtsextremismus ist: nämlich von Georges Sauge (vgl. „Die Furche“ Nr. 19). Die Entschiedenheit, mit der er sich auf „die christliche Doktrin“ (wie er sie sieht) als einzigmögliche Waffe gegen den Kommunismus und seine farbigen Verbündeten (für die er Araber wie Neger hält) festgelegt hat — diese Entschiedenheit könnte ihm den Zustrom aus dem Lager des in seiner Essenz nun einmal „heidnischen“ Faschismus abklemmen.

RÄTSELHAFTER „DICKER KATER“ i Mit Soustelles Ausschluß aus der mehrheitsgaullistischen UNR hat sich natürlich von neuem der „Geheimtip“ verbreitet, daß dieser Mann die rechte Opposition einigen werde. In Sachen eines verschwommenen Programms hat nun allerdings Soustelle nicht dasselbe Händig kap gegen sich wie Sauge. Er hat es — außer dem ganz allgemeinen Einstehen für das „französische Algerien“ — bisher geschickt -Verstandes, über seine Endziele Unklarheit zu-lassen. Aber hat er sonst das Zeug zu dtm großen Sammler?

Über Soustelle ist schwer zu urteiIen:Es hat sich um seine Person ein solcher „Mythos“ gebildet, daß man darüber den konkreten Jacques Soustelle ein wenig aus den.Augen verliert. Daß er eine der wenigen wirklieh bedeutenden Persönlichkeiten im französischen politischen Ensemble von heute ist, steht außer Zweifel. Aber es gibt manche Kenner, die mahnen, Soustelle nicht zu überschätzen. Gewiß habe er eine der beachtlichsten „Untergrundorganisationen“ des heutigen Frankreich geschaffen, die ihm persönlich treu ergeben sei. Aber nicht nur sei er kein Volksredner — es fehle ihm auch sonst das „Fluidum“, das ihn zum Hol der Massen machen könnte. Dieser verschlossenverkniffene Kopf hinter der Intellektuellenbrille sei zu sehr im Banne der „Ecole Normale“ geblieben, der er entstamme: Soustelles Schwäche sei, daß er die Politik zu sehr als eiskaltes Planspiel sehe.

Es kommt aber noch etwas hinzu. Nach Soustelles Verabschiedung als Minister hat der „Canard enchaine“ eine jener brillanten Karikaturen veröffentlicht, die zwischen Wahrheit und Übertreibung schillern. Die Unterschrift lautete „Grosmatou geht in die Opposition über“, und man sah auf ihr einen Kater mit Soustelles Kopf — der Soustelle vom „Canard“ angehängte Spitzname ist „Grosmatou“ (dicker Kater) — geduldig und angespannt zugleich vor einem Mauseloch sitzen, das „Elysee“ beschriftet war. In dieser Zeichnung ist die ganze Problematik Soustelles enthalten. Die rechte Opposition hat, zum mindesten vorläufig, zum konkreten Feind den General de Gaulle. Kann aber der Mann zum Sammler der Rechten werden, der seine ganze bisherige Karriere als „junger Mann“ von de Gaulle gemacht hat? Hat nicht dort, wo Soustelle bisher Geschichte gemacht hat — nämlich bei der Überleitung des „13. Mai“ in die Fünfte Republik, die im wesentlichen sein (und Guy Mollets!) Werk ist —, er das nur tun können, weil er als der legitime Beauftragte von de Gaulle galt? Soustelle wird erst noch beweisen müssen, daß er auch außerhalb des großen Schattens seines alten Meisters auf eigenen Füßen gehen kann. Man muß wohl von hier aus das eigenartige Zögern verstehen, mit dem Soustelle Kurs aufs offene Meer nimmt.

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