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Der Tag, den es nicht gibt

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Jeder Staat hat seine Symbole: die Fahne, das Wappen, die Hymne und nicht zuletzt den Staatsfeiertag. Staatssymbole sind wichtig für die Repräsentanz des Staates im Ausland, und sie verkörpern für das Inland den Staatsgedanken, seine Tradition und den Stolz auf seine Leistungen. Symbole dokumentieren das Bleibende in der Geschlechterfolge der Generationen; sie verknüpfen, sinnlich wahrnehmbar, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, denn der Staat ist mehr als eine Addition der Menschen, die auf seinem Staatsgebiet leben.

In Monarchien ist die Frage nach dem Staatsfeiertag kein Gegenstand des Streites, denn er ist identisch mit dem Geburtstag des Monarchen. Im alten Österreich war durch viele Jahrzehnte Kaisers Geburtstag, der 18. August, der Tag Großösterreichs. Diese Identität ist einleuchtend und iwingend.

In Republiken entfallen diese Möglichkeiten: desto wichtiger werden daher die übrigen Symbole und vor allem der Staatsfeiertag, weil auch Republiken eine Stunde der Rüokerirmerung, der Selbstbesinnung sowie der seelischen Erhebung brauchen. Auch die Republik als Staatsform der Vernunft, wie ich sie einmal nannte, muß fundiert sein in seelischen Bereichen. Vernunftgründe können zerbrechen, können in gegebenen geschichtlichen Situationen unvernünftig scheinen, Gefühlswerte hingegen verleihen die Kraft des Widerstandes, in ihrem Zukunftsglauben liegen alle Möglichkeiten zur Überwindung tagespolitischer Schwierigkeiten.

Der Staatsfeiertag ist daher eine Notwendigkeit. Er läjät das Trennende vergessen, er dokumentiert das alle Parteien, Interessengruppen und Gegensätze überwindende Gemeinsame. Krisen der Staatsidee spiegeln sich daher in den staatlichen Symbolen, in ihrer Umstrittenheit oder Unbestrittenheit, in ihrer emotionellen Wirkkraft, also der Gleichgültigkeit oder Liebe, die das Staatsvolk für sie empfindet. Wir alle kennen und wissen doch aus der Geschichte der Ersten Republik, wie umstritten die Staatssymbole und der Staatsfeiertag damals waren. Und in Reden von Vertretern aller heutigen Parteien wird dies unbewußt zugestanden durch die Tatsache, daß sie den Unterschied der Ersten und der Zweiten Republik in dem damaligen Nichtvorhandensein und dem jetzigen Vorhandensein einer gemeinsamen Staatsidee sehen. So marschierte am Staatsfeiertag, ich erinnere mich aus meiner in Linz verbrachten Gymnasiastenzeit daran, das Bundesheer unter völliger Nichtbeachtung der Öffentlichkeit um 8 Uhr zur Parade in menschenleeren Seitengassen, damit für die marschierenden Bataillone der Sozialistischen Partei, die aber nicht rotweißrote, sondern rote Fahnen trugen, die Aufmarschstraßen zum Zentrum der Stadt nicht verlegt seien.

Und damit sind wir schon inmitten der Aktualität von heute. Diese Zweite Republik hat bis zur Stunde keinen Staatsfeiertag, obwohl sie konsolidiert und in sich gefestigter ist als die Erste Republik, obgleich auf allen Gebieten diese beiden Zeitabschnitte neuösterreichischer Geschichte nicht vergleichbar sind. Dies mag schon peinlich nach außen sein, weil unsere Botschaften einen Tag im Jahr brauchen, an dem sie die Fahne hissen, an dem sie ihre Empfänge geben können; ein internationaler Brauch, dem durch das Surrogat vom „Tag der Fahne“ nur notdürftigst Rechnung getragen wurde. Mag schon dies unschön und wenig ruhmvoll für Österreich sein, so ist das Fehlen des Staatsfeiertages noch viel mehr nach innen ein echter Verlust für die Erziehung der Jugend und die Selbstbesinnung des Staatsvolkes auf das uns allen Gemeinsame. Sicherlich, der Tag der Fahne bezeugt ein historisch bedeutsames Ereignis, nämlich den Abzug der letzten fremden Soldaten. Sicherlich, auch er vertieft die Liebe zu den Farben Rot-Weiß-Rot im Herzen der Bevölkerung. Aber dennoch haftet ihm ein Charakter der Verlegenheit an, weil man weder wagt, ihn offen als Staatsfeiertag zu deklarieren, noch ihn zugunsten eines solchen abzuschaffen. In dieser Halbheit steckt das Peinliche, doppelt peinlich deshalb, weil es überflüssig ist.

Aber wir wollen nicht allein kritisieren und nach der heute vielgeliebten Methode fast aller Kritiker, die sich zu irgendwelchen Problemen äußern, lediglich darauf verweisen, daß nun unbedingt von den „Verantwortlichen“ etwas unternommen werden müßte! Die Lösung der Frage bedarf allerdings einer nüchternen, sachlichen Untersuchung der historischen Fakten, wieso und weshalb die Auffassungen sich verkrampften und so schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Logisch wäre sicherlich, wenn auch wir, so wie die meisten Republiken, welche den Tag der Ausrufung der republikanischen Staatsform zum Staatsfeiertag erhoben, das entsprechende historische Datum, nämlich den 12. November, als Staatsfeiertag akzeptierten. Bekanntlich tritt dafür die SPÖ ein, während sich bisher die ÖVP dagegen ausgesprochen hat, was ihr seitens der Sozialisten den Vorwurf eingetragen hat, daß sie nicht genügend republikanisch gesinnt sei, obgleich doch wohl kaum ein Zweifel an dem republikanischen Bekenntnis der Volkspartei bestehen kann. Nun ist zwar der 12. November 1918 tatsächlich der Geburtstag der Republik. Aber dieser 12. November hat noch eine ganz andere historische Bedeutung, und daraus resultiert die Tatsache, daß die beiden Parteien aus völlig verschiedenen historischen Perspektiven das Problem betrachten. Die SPÖ bewertet den 12. November ausschließlich verfassungsrechtlich, nämlich ate Fortschritt in der Herrschaft des Volkes. Aber dieser 12. November — und das wird zuwenig gesehen — bedeutet nicht allein die Änderung der Staatsform in Österreich, wie es in anderen Republiken, wie etwa Frankreich oder Italien, der Fall war, die auch nach Änderung der Staatsform derselbe Staat geblieben sind, sowohl in Umfang wie Größe und politischer Bedeutung. Dieser 12. November bedeutet den Zerfall des Reiches. Das damals entstandene Neuösterreich ist nicht identisch mit Altösterreich, so wie die Republiken Italien und Frankreich identisch blieben mit den Königreichen Italien und Frankreich. Unabhängig von der Änderung der Staatsform und der Exilierung der Dynastie bedeutet er gleichzeitig symbolisch den Zerfall des Großraumes, des Staatsgebietes, jener idealen wirtschaftlichen Einheit und jenes politischen Gebildes, von dem heute alle Historiker, alle Politiker und Wissenden erkennen, daß sein Zerfall eine historische Tragödie war.

Der 12. November 1918 bedeutet nicht die Umwandlung der Donaumonarchie in die „Vereinigten Donaurepubliken von Großösterreich“, sondern besiegelte ein Schicksal, von dem der große Hasser Clemenceau nach der Neuaufteilung Mitteleuropas sagte: „Der Rest ist Österreich.“ Und dieser Rest fühlte sich auch so sehr als Rest, daß er an seine Lebensfähigkeit und Existenzberechtigung nicht glaubte, sondern Geburts- und Sterbeurkunde in einem dokumentierte, indem er im Artikel 2 des Gesetzes vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von sich selbst sagte: „Deutsch-Österreich ist ein Bestandteil der deutschen Republik!“ Die Freude über eine größere Freiheit in einer moderneren Staatsform ist also für weite Teile der Bevölkerung verdunkelt durch dieses große historische Ereignis und seine furchtbaren Folgen. Nicht Boshei oder mangelnde republikanische Gesinnung veranlaßten also die Volkspartei zu ihrer ablehnenden Haltung.

Freüich: Wir müssen die erstarrten Fronten lockern, wir brauchen ein Gesprächsklima, in dem eine Lösung reifen kann. Vielleicht können wir doch einmal die Freude an der Republik in einer Form und an einem Tag feiern, der für alle eine Freude und nicht auch eine seelische Belastung ist. Auch in Krei-, sen der ÖVP wird zwar diskutiert, ob dieser 12. November nicht um des lieben Friedens willen akzeptiert werden könnte; aber kann man einen Staatsfeiertag wirklich nur aus reinen Vernunftgründen bestimmen, wenn er doch, wie ich eingangs sagte, der Tag der seelischen Erhebung sein soll? Um diesem Dilemma zu entrinnen, wurde seinerzeit von der ÖVP der 15. Mai als Staatsfeiertag vorgeschlagen, weil die Unterzeichnung des Staatsvertrages jenes triumphale Ereignis war, das die Österreicher aller Parteischattierungen in einem echten Freude- und Freiheitsrausch feierten — war doch nach langer Fremdherrschaft, zuerst des Dritten Reiches und dann der Besatzungstruppen, diesem Staat die Freiheit wiedergegeben worden.

Die Volkspartei glaubte mit diesem Vorschlag einen für alle Seiten akzeptablen Kompromiß gefunden zu haben, einen Tag, der in sich alle Möglichkeiten birgt, jene emotionellen Kräfte freizumachen, die nötig sind, um das Staatsbewußtsein immer stärker zu vertiefen. Aber offensichtlich ist auch das nicht möglich, weil seitens der Sozialisten der Verdacht zu bestehen scheint, daß die ÖVP hier aus parteipolitischer Gesinnung aus dem Staatsfeiertag einen Julius-Raab-Gedenktag machen will; anderseits mißtraut man wieder in der ÖVP, daß mit dem 12. November die Sozialisten ihr führenden Persönlichkeiten besonders in das Blickfeld rücken wollen. Man fürchtet sich also gegenseitig vor einem SPÖ- oder ÖVP-punzierten Feiertag. Historisch sicherlich begreiflich, aber auf di Dauer unverantwortlich!

So wird man wohl einen anderen Ausweg suchen müssen und Ausschau halten, welche Möglichkeiten sich anderswo bieten. Es wäre diei vielleicht tatsächlich der bisherige „Tag der Fahne“, denn schließlich ist der 26. Oktober nicht so sehr der Tag des Abzugs der letzten Besatzungssoldaten, sondern jener Tag, an dem der österreichische Nationalrat aus freien Stücken die immerwährende Neutralität beschlossen hat, aber emotionell liegen nicht viele Möglichkeiten in diesem Datum, schon eher mit dem 27. April, dem Tag der Wiedererrichtung der Zweiten Republik;, der emotionell angereichert werden könnte durch den Hinweis darauf, daß zum Unterschied von der Ersten Republik in der Zweiten Republik die Staatsbejahung, das Bekenntnis zur Staatsidee in einem selbständigen Österreich zu einem unbestrittenen Gemeingut geworden ist.

Alle diese Möglichkeiten gibt es. Sicherlich wird nochmals über den 15. Mai und ganz bestimmt seitens der SPÖ über den 12. November gesprochen werden. Wie immer die Sache zur Entscheidung kommen mag und wird — fest steht: Wir brauchen eine Entscheidung! Die 20. Wiederkehr des Tages der Wiedererrichtung der Republik verpflichtet uns, den lächerlichen Zustand des Nichtvorhandenseins eines Staatsfeiertages, der ein Kuriosum auf der ganzen Welt ist, zu beenden. Denn Lächerlichkeit tötet nicht nur, wie es das Sprichwort meint, den Ruf des einzelnen, sondern gefährdet auch das Ansehen von Staaten, weil nur der Starke, der Selbstbewußte, der geschlossen in sich Ruhende Respekt erheischt.

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