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Aui der Suche nach einem Staatsfeiertag

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Aus einem kurzen unruhigen Sommerschlaf ist die österreichische Innenpolitik jäh erwacht. Vor dem Hohen Haus am Parlamentsring stiegen an drei heißen Septembertagen die Fahnen, Gesetze von großer Bedeutung wie das Wehrgesetz und das umkämpfte ASVG wurden verabschiedet. Und schon spricht man von neuen Vorlagen... Auch zwischen den beiden Regierungsparteien reißt der Draht nicht ab. Der Staatshaushalt für 1956 ist in seinen großen Linien bereits skizziert, die Detailarbeit wird Aufgabe der nächsten Wochen sein. Inzwischen verlassen — beinahe ist man versucht au sagen, leise und unauffällig — die von Dr. Renner einst apostrophierten vier Elefanten das österreichische Staatsschifflein. Nur.noch ein Monat, dann sind die zehn Jahre alliierte Besetzung Vergangenheit, und nach über siebzehn Jahren stehen in unserem Land, keine anderen Soldaten als die mit der rotweißroten Kokarde auf der Kappe. Oesterreich gehört den Oesterreichern wieder — und nur ihnen allein.

Der Aulaß läßt ein schon innerhalb der letzten Monate da und dort erörtertes Thema wieder Gesprächsgegenstand werden: die F r a g e nach, einem Staatsfeiert a g. Auch die Männer auf der Regierungsbank werden ihre nüchterne Alltagsarbeit einmal unterbrechen und mit dem Kalender in der Hand Ausschau nach einem, nach dem richtigen Datum halten. Sie werden gut tun, sorgfältig zu prüfen und diese Angelegenheit nicht mit der ansonsten sehr schätzenswerten österreichischen Selbstironie zu bagatellisieren. Letzten Endes sind es die so oft vernachlässigten ..Imponderabilien“, die Fragen, auf die eher das Gefühl als der Verstand eine Antwort weiß, stets mit großer Vorsicht anzugehen.

Das haben wir schon einmal erlebt. Der Lln-glücksstern, der über der ganzen Ersten österreichischen Republik stand — jenes Staates, der im 1 der Verfassung seine Geburt verkündete, im 2 aber bereits sein Ende (den „Anschluß“) um zwanzig Jahre vorwegnahm —, leuchtete auch über ihrem Staatsfeiertag: dem 12. November. Aus dem Staatsfeiertag wurde bald ein Parteifeiertag, eine alljährliche Wiederholung des 1. Mai im Spätherbst Große Aufmärsche, bei denen viele Fahnen — nur nicht die des eigentlich gefeierten Staates — entrollt wurden, verstärkten diesen Eindruck. All das war nicht dazu angetan, den noch zögernden oder abseitsstehenden Teil der Bevölkerung für die Republik Oesterreich zu gewinnen. Der „Staatsfeiertag“ war kein Symbol der Einheit, sondern ein Symbol jener Spaltung und Zwietracht — an der dieser Staat auch zugrunde gehen sollte.

Das ist nun, Gott sei Dank, anders. Das 1945 wiedererstandene und in zehn harten arbeitsreichen Jahren auch wiedererworbene und gleichzeitig gegen mannigfache Gefahren verteidigte Oesterreich ist kein „Staat wider Willen“, kein Akt des Triumphes einer Klasse oder einer Partei, sondern eine Sache des ganzen Volkes. Freilich bieten sich auch mehrere Tage an, die ihren Anspruch auf eine „Standeserhöhung“ zum Staatsfeiertag anmelden.

In den vergangenen Sommermonaten wurde mehrmals der 25. Oktober, der Tag, an dem der letzte Besatzungssoldat die österreichische Grenze gemäß dem Staatsvertrag passiert haben muß, als Kandidat genannt. Solche Erwägungen sind im gegenwärtigen Zeitpunkt bestimmt verständlich, halten aber kaum einer ernsten Prüfung stand. Bestimmt: die endgültige Räumung Oesterreichs von fremden Truppen ist Grund genug, diesen Tag in diesem Jahr nicht achtlos vorübergehen zu lassen. Schon hören wir von Vorbereitungen, die zum Beispiel die Gemeinde Wien trifft, um an einem Samstag im Oktober ein großes Wiener Volksfest zu begehen. Aehnliche Nachrichten aber werden wir zum Beispiel aus Vorarlberg oder Kärnten vermissen. Mit Recht: dort sieht man nämlich schon lange keine fremden Uniformen, und das Leben geht bereits seine normale Bahn. Da die Besatzungsmächte nicht das barocke Schauspiel bereitet haben, nach einer großartigen Parade in alle vier Richtungen der Windrose unter den Klängen von Militärmusik abzumarschieren, sondern wie es eben moderne Armeen erfordern, sich allmählich von ihren Garnisonen lösen, so verliert der 25. Oktober stark an Farbe. Außerdem: was hat dieser Tag_ mit der staatlichen Existenz unseres Landes zu tun? Dieses Oesterreich lebt — das müßte sich eigentlich in der Zwischenzeit herumgesprochen haben — bereits wieder seit über zehn Jahren. (Vorsicht außerdem: Könnte nicht die Wahl des 25. Oktober jene ermuntern, die an der falschen Gleichung basteln, zehn Jahre alliierte Besetzung — sieben Jahre Nationalsozialismus, Drittes Reich und zweiter Weltkrieg. Man habe sich also nichts vorzuwerfen. Man sei quitt... Unüberlegte Politiker und Journalisten, die heute oft von „Befreiung“ reden und schreiben, statt von Freiheit, liefern unbewußt Mörtel für die Konstruktion einer neuen Geschichtslüge. Und erst der 25. Oktober als Staatsfeiertag...)

Als ein zweites Datum wurde auch bereits der 2 7. Juli genannt, der Tag, an dem gleichzeitig mit der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde des Staatsvertrages in Moskau die Fahnen am Dache des Alliierten Kontrollrates in Wien niedergingen und diese Institution ihre Tätigkeit einstellte. Allein dieser Vorschlag dürfte bereits nicht mehr ernstlich zur Diskussion stehen — und das mit gutem Grund. Auch dieser Tag ist im Bewußtsein unserer Bevölkerung keineswegs verankert und ist wie man schon heute, wenige Wochen später klar erkennen kann, ohne jede geschichtsbildende Kraft.

Da hat es schon eine ganz andere Bewandtnis mit dem 1 5. M a i — dem Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrages im Belvedere. Nicht nur, daß er gerade über die Grenzen unseres Landes hinausgehende Folgen zeitigte — datiert doch mit ihm der Beginn der Wandlung in den Beziehungen zwischen West und Ost —, so war dieser Frühlingstag wahrhaft ein österreichischer Festtag wie schon lange kein zweiter. Die Eintracht und die frohe hoffnungsvolle Stimmung — sie würden zum Nutzen unseres Gemeinwesens verdienen, festgehalten zu werden. Der 15. Mai ist also ein ernsthafter Bewerber, wenn das Thema „Staatsfeiertag“ auf der Tagesordnung steht.

Er hat praktisch nur einen Konkurrenten: den 2 7. April, an dem 1945 über der vom Krieg verwüsteten und vom Hunger bedrängten Bundeshauptstadt die rotweißroten Fahnen hochstiegen. Es ist jener Tag, an dem mitten in aller Ungewißheit, der große Versuch der Wiedergeburt dieses Staates unternommen wurde. Der 27. April ist — so die historische Wahrheit — der Geburtstag des neuen Oesterreich.

Wenn in letzter Zeit der beherzigenswerte Vorschlag gemacht wurde, den Staatsfeiertag als einen „Tag der österreichischen Flagge“ zu feiern, so kann wiederum die Entscheidung nur zwischen dem 27. April und dem 15. Mai fallen.

Am 27. April 1945 stieg das durch sieben lange Jahre verfemte rotweißrote Tuch wieder als Fahne Oesterreichs in die Luft. Am 15. Mai 1955 grüßte es einen neuen, besseren Tag.

Die österreichische Flagge soll nicht von Oktobernebel umbraut sein. Sie soll im Frühlingswinde wehen. Staatsfeiertage sind Symbole — vergessen wir es nicht.

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