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Unser halber Staatsfeiertag

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Das Ist der Fluch von unserrn edlen Haus: Auf halben Wegen und zu halber Tat, Mit halben Mitteln zauderhaft zu streben. Franz Grillparzer

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Das Ist der Fluch von unserrn edlen Haus: Auf halben Wegen und zu halber Tat, Mit halben Mitteln zauderhaft zu streben. Franz Grillparzer

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. jas Kalenderblatt des kommenden Montags ‘zeigt den 26. Oktober. An diesem Tag wird in Oesterreich der „Tag der Fahne“ gefeiert. Wie in den vergangenen Jahren wird auch heuer wieder das Schwergewicht aller Feiern in den Schulen liegen. Die Klassensprecher werden vortreten und vor ihren Altersgenossen im festlich geschmückten Raum das Lob und die Ehre des rotweißroten Fahnentuches künden. Die Lehrer dürften anschließend ihren Schülern eine tiefere Einsicht vermitteln, daß nicht in allen Zeiten die österreichischen Farben über einem freien und glücklichen Land wehten. Dann werden alle aufstehen und gemeinsam die Bundeshymne singen. Aus. Der Alltag hat sie wieder. Der Alltag: das ist für die Kinder die Rechenaufgabe und die Lateinschularbeit, für die Erwachsenen aber die Sorge um den 14. Monatsgehalt und die Erringung des nächsten Quinquenniums — dazwischen ein Blick in das nächste Mittagsblatt mit den Berichten vom neuesten Mord oder Totschlag.

So wird es gewiß sein. Aber es vird doch auch etwas mehr sein. Der „Tag der Fahne“, der als eine reine Schul- und Schülerfeier begann, hat im Lauf der letzten Jahre doch im Bewußtsein der Oesterreicher — der breiten Schichten unseres Volkes ebenso wie der Regierenden — an Boden gewonnen.

Am Anfang war eine Idee. Der Llnterrichts- minister hatte erkannt, daß man auch in unserer gerne als nüchtern vorgestellten Zeit junge Menschen nicht mit Statistiken über den Rentenaufwand und Jahresberichten über die Steigerung des Sozialprodukts dazu bringen kann, das Land, in das sie hineingeboren sind und in dem sie leben, besonders zu lieben und bereit dazu zu sein, dessen Freiheit und Unabhängigkeit gegen jedermann zu wahren. Dazu braucht es schon mehr. Das Gefühl und auch die Phantasie des jungen Menschen wollen angesprochen werden. Von einer Reise in die angelsächsischen Länder brachte der Bundesminister für Unterricht den Gedanken mit nach Hause, auch in unserem Land die Fahne einmal im Jahr in den Mittelpunkt einer staatspolitischen Besinnung zu stellen. Die Idee brach sich inmitten einer Gesellschaft, die Staatspolitik gerne mit Wirtschaftspolitik identifiziert, nur mühsam Bahn. Doch die Grenze an der Schulpforte scheint gesprengt. War es noch vor Jahresfrist so, daß an alle österreichischen Missionen im Ausland der Auftrag erging, am 26. Oktober zwar die Fahne zu hissen, sich sonst ab-r jeder größeren Veranstaltung zu enthalten — eine Maßnahme, die der entsprechenden süffisanten Reaktion der in diesen Dingen alles andere als nachlässigen fremden Mächte sicher sein konnte so hat man in diesem Jahr wenigstens an der „Heimatfront“ einige Aktivität entfaltet. Ein Nationalkomitee wurde gegründet: Seine Aufrufe an alle Oesterreicher, den 26. Oktober in das Zeichen der rotweißroten Farben zu stellen, sind an den Plakatwänden zu lesen. Daneben laufen verschiedene Aktionen, die alle dazu dienen sollen, den „Tag der Fahne“ im Bewußtsein der österreichischen Bevölkerung zu verankern.

Somit hätte unser „Tag der Fahne" langsam den Rang eines „halben Staatsfeiertages" erreicht. Wir feiern, aber — wie es selbst in offiziellen Ermunterungen heißt — wir feiern nicht zu laut. Wir sind alle Patrioten, aber pst, nicht zu deutlich. Es könnte jene unter uns, denen Rotweißrot nicht zu allen Zeiten gefallen hat, kränken. Wir sprechen deswegen auch gerne von den bitteren zehn Jahren, in denen unsere Fahne im Schatten der vier Alliierten-Banner stand, und unterschlagen, daß es zuvor durch sieben Jahre lebensgefährlich war, sich zu den Farben Oesterreichs zu bekennen. Halbe Wege . . . halbe Taten … halbe Mittel. Grillparzer kannte seine Oesterreicher.

Kann es dabei bleiben? Darf es dabei bleiben? Wir glauben: nein. Es darf, wenn dieses Land nicht eines Tages noch einmal, dann aber endgültig untergehen soll, nicht weiterhin bei einem offiziellen Patriotismus in Moll sein Bewandtnis haben. Zeigen wir, daß wir es ernst und ehrlich meinen: machen wir aus dem „halben Staatsfeiertag“ einen ganzen Nationalfeiertag. Wir denken dabei in einer Zeit, in der die 45-Stunden-Woche Gesetz wurde, gar nicht so sehr an einen arbeitsfreien Tag. Wir denken aber zunächst an eine Korrektur des wenig stimulierenden Datums. Ob am 26. Oktober irgendwo die letzte russische Feldküche die österreichische Grenze passiert hat, ist keineswegs von historischem Belang. In Wirklichkeit war der lange Weg zwischen Befreiung und Freiheit schon viel früher zu Ende. Wenn wir schon nicht den 28. April, an dem die österreichische Fahne 1945 tatsächlich aus der Verfemung hervorgeholt und über einem in Trümmern liegenden Land als Botin der Verheißung besserer Tage wehte, feiern, dann gebührt der Ehrenplatz im Kalender allein dem 15. Mai. Jenem Tag, an dem der österreichische Staatsvertrag unterschrieben wurde — die Magna Charta unserer aller Existenz als freie Menschen in einem freien und neutralen Staat. Herr Beckmesser, der vielleicht einwenden mag, im Mai seien an sich schon so viele Feiertage, schweige: geschichtsmächtige und geschichtsträchtige Tage vertragen keine opportunistische Korrektur, sie fordern ihren Tribut. Welcher Tag wäre besser geeignet, den Oesterreichern in Erinnerung zu rufen, daß ihr Staat mehr ist als ein Superkonsumverein? Wir wissen keinen.

Wir wollen den österreichischen Nationalfeiertag. Deshalb feiern wir dennoch — oder gerade deswegen — auch heuer den „Tag der Fahne“ am 26. Oktober mit. Es ist der halbe Weg zum Ziel.

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